+++ 16:44 Uhr +++ Sonder-AMK in Berlin
Landwirtschaft
Noch 100 Fragen offen
Mit Mühe und Not haben Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Streit um die Nitratrichtlinie einen Entwurf über die neue Dünge-Verordnung geschrieben, damit die EU-Kommission keine Strafe von 800.000 Euro pro Tag verhängt. Das Thema ist zum Drama geworden, weil viele Jahre lang die Politik nichts zur Einhaltung der Nitatwerte im Grundwasser unternahm und die Branche sich darauf ausruhte, es wurden Daten aus dem Belastungsmessnetz gemeldet, die für Deutschland nicht repräsentativ waren. Die Debatte vergangenen Freitag im Bundestag hat die Grenzen des noch immer möglichen Verhandlungsspielraums deutlich aufgezeigt.
Es hängt alles am 03. April, wenn der Bundesrat über die Dünge-VO abstimmt. Ob das gelingt hat die Sondersitzung der Agrarminister in Berlin gezeigt. Auf Einladung des Umweltministeriums des Saarlandes, das den Vorsitz inne hat, sind die Fachminister in ihren auseinander divergierenden Positionen in die saarländische Landesvertretung gekommen und haben einen Testlauf für die Länderabstimmung Anfang April durchgeführt.
Praxis
Landwirte können nur das anbauen, was am Markt auch gefragt ist. In den so genannten roten Gebieten mit Nitratwerten von über 50 mg/l Grundwasser soll die Düngemenge pauschal um 20 Prozent gekürzt werden. Wenn Landwirte das gleiche anbauen wollen, wie immer, ließen sie ihre Pflanzen verhungern. Die Alternativen an Feldfrüchten sind rar. Das die EU-Kommission bei den Bauern Wut erzeugt, erklärte der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes Franz-Josef Holzenkamp auf der Bilanzpressekonferenz diese Woche. Statt 20 Prozent Pauschalreduzierung müssen Landwirte Zwischenfrüchte anbauen, die über den Winter Nährstoffe aufnehmen. Die Lagerkapazitäten müssen vergrößert werden, damit Wirtschaftsdünger auch erst in der Vegetationszeit ausgebracht wird. Vor allem müssen die Landwirte die Nmin-Werte kennen.
Schon jetzt mit der aktuellen Dünge-Verordnung müssen die Landwirte die Stickstoffmengen ihrer Böden kennen. Entweder, sie führen Bodenproben jährlich durch oder greifen auf Zahlen bei vergleichbaren Böden zurück, die von Landesämter gerade wieder veröffentlicht werden. Mit Blick auf die zurückliegende Vegetation und Wetterverläufe variieren die Werte an Stickstoff und Phosphor regional sehr stark. Falsche Berechnungswerte führen zu falschen Düngermengen und werden sanktioniert.
Länderpolitik
Niedersachsen hat in seinem gerade erst veröffentlichten sechsten Nährstoffbericht von zwei Landkreisen berichtet, die mittlerweile unterhalb der Durchschnittswerte liegen und praktisch ergrünt sind. Es kann also auch kurzfristig etwas passieren.
Nordrhein-Westfalen hingegen modernisiert sein Nitratmessnetz und will künftig exakter messen. Ob die roten Gebiete dadurch kleiner oder größer werden, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall es in die Zukunft gerichtet und hilft dem Kind aus dem Brunnen. Deshalb sagte Düsseldorfs Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser im Vorfeld der Sonder-AMK gegenüber dem Tagesspiegel: „Ich hoffe, dass es eine Mehrheit für das gibt, was Julia Klöckner und Svenja Schulze ausgehandelt haben.“ Sie gibt aber auch zu: „Die Stimmung ist schwierig.“ Zweifel an der Richtigkeit der Messstellenergebnisse haben sich durchaus als berechtigt ergeben.
Sonder-AMK
Die Stimmung blieb auch den ganzen Tag über schwierig. Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber sagte im Anschluss, neben Bayern seien auch Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen verärgert gewesen. Saarlands Umweltminister Reinhold Jost präzisierte dann, die Art und Weise, wie die Dünge-Verordnung in den letzten Monaten angegangen sei, habe vielen nicht gepasst. Manche Länder fühlten sich nicht genug beteiligt, der Bund sprach immer von ausreichenden Informationen. Offene Briefe an Länderminister aus Berlin und die direkte Zuleitung des Entwurfes an den Bundesrat ohne Kabinettsbeteiligung haben offenbar Befindlichkeiten jenseits von Partei- und Landesgrenzen verletzt.
Befindlichkeiten. Genau darum ging es am Vormittag offenbar. Die Schuld für das Drama wollte Jost niemandem zuteilen. Bund, Länder und Branchenvertreter haben in der Vergangenheit keine Einigung erzielt. Jetzt drängt es. Jost machte nach der Sitzung klar, dass die Sanktionen der EU-Kommission keine Option sind, sondern beim Scheitern am 03. April sehr schnell Realität werden.
Ob die Länder am 03. April für den Entwurf votieren, wollte Jost nicht sagen. Aber er differenzierte. Es geht um das Schutzgut Wasser und eine Strafe von 800.000 Euro am Tag. Wer will nach diesem Schwarzen Peter greifen und die Dünge-VO scheitern lassen? So gesehen bewertete Jost die Sonder-AMK als Erfolg.
Dennoch haben die Länder in drei Sitzungsstunden mehr als 100 Fragen und Anträge gestellt, die in den nächsten drei Wochen vom Bund zu beantworten sind. Dazwischen liegen zwei Sitzungen des Agrarausschusses beim Bundesrat. Erst kurz vor dem 03. April zeige sich ein klareres Bild über das mögliche Abstimmungsergebnis, so Jost.
Die Fragen und Anträge beziehen sich aber nicht auf die Dünge-VO selbst, sagte Jost zu Herd-und-Hof.de. Das ist nur der Inhalt. Ummantelt wird sie von der Verwaltungsverordnung, in der die Vorschriften für die Umsetzung liegen. Da geht es um die Auslegung des Messnetzes, um die Definition der Binnendifferenzierung, es geht um Fristen und Alternativen für Projektlösungen. Und es geht im Wesentlichen um Geld. Der Bund muss darlegen, welche Mittel aus der so genannten Bauernmilliarde für welche Projekte verausgabt werden. Offenbar sind sich Bund und Länder darüber einig, dass ein Bundesprogramm aufgelegt wird. Die Mittel werden nicht über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) ausgegeben. Da müssten die Länder mitfinanzieren.
Für die Verwaltungs-Antworten hat Deutschland sechs Monate Zeit, sobald die Dünge-VO in Kraft getreten ist. Jost wird in der nächsten Woche in Brüssel mit dem EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski den Zeitplan ausloten und noch einmal auf die Befindlichkeiten der Länder hinweisen.
So sieht die Lösung für den 03. April aus: Mit einem schmerzhaften „Ja“ vermeidet die Länderkammer die EU-Klage mit Sanktionen. Und weil nach der Dünge-VO auch vor der Dünge-VO ist, gehen Bund und Länder die technischen und Verwaltungsfragen längerfristig an.
Roland Krieg
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