+++ 16:00 +++ Agrarministerkonferenz in Warnemünde
Landwirtschaft
Das Jahr der Agrarministerappelle
Die Herbstkonferenz der Agrarminister in Warnemünde verlief ruhiger als im Frühjahr in Göhen-Lebbin [1]. Da waren die Appelle noch mit Glauben an die eigene Politik gespickt, den Markt bewegen zu können. Seit dem werden viele Millionen Euro über Hilfspakete an die Landwirte und vor allem an die Milchbauern verschickt, doch grundsätzlich ändert sich nichts. „Der politische Dissens ist sehr deutlich“, sagte der AMK-Vorsitzende Dr. Till Backhaus. „Ein rein liberales Modell hilft in der Krise rein gar nichts.“ Es gibt ein Marktungleichgewicht durch Überschussproduktion. Das zu bereinigen ist Aufgabe der Politik im Sinne der sozialen Marktwirtschaft. Man solle sich nicht an der Politik des Deutschen Bauernverbandes orientieren, warnte Backhaus.
Die Agrarminister wollen die flächendeckende Landwirtschaft erhalten, appellieren an die Marktbeteiligten, die Lieferverträge zu bereinigen und haben mittlerweile in allen Bundesländern ein Programm zur freiwilligen Mengenreduktion im Milchmarkt aufgelegt. „Wichtig ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass wir die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik langfristig auf krisensichere Beine stellen. Im Bereich der Marktordnung müssen Instrumente eingebaut werden, um Marktkrisen künftig besser zu meistern und einen Sinkflug der Preise möglichst zu verhindern. Eine wesentliche Stellschraube ist dabei der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung, der die Lieferbedingungen regelt. Mit einvernehmlichen Positionen von Bund und Ländern haben wir heute einen wichtigen Schritt getan.“ Das sagte Backhaus zu den in der Ostsee demonstrierenden Milchbauern. Nicht nur Backhaus hält an der weiteren Prüfung einer obligatorischen Mengenregulierung innerhalb der ganzen EU fest. Auch Christian Meyer aus Niedersachsen fordert diese Politik stellvertretend für die sechs grünen Landwirtschaftsminister.
Der neue Staatssekretär und erfahrene Agrarminister Dr. Hermann Onko Aeikens bleibt in seinem neuen Berliner Amt nur der Appell: Die zeitlich befristete Mengenregulierung wird im Grunde gegen EU-Agrarkommissar Phil Hogan und gegen die Molkereien durchgesetzt: „Wir pflegen den Dialog.“ Im liberalen Markt kann die Politik nur an die Beteiligten appellieren, sich zusammen zu setzen, was lediglich in Einzelfällen zum erfolg geführt habe.
Geld für das Reduktionsprogramm soll zur Hälfte nach Antragsstellung fließen, Details werden mit dem Justizministerium besprochen.
War es in Göhren-Lebbin noch Aufgabe Aeikens auf die verpasste Chance einer Krisenpolitik nach der Milchkrise 2008/09 hinzuweisen, durfte jetzt Till Backhaus diese Karte ausspielen. Die Genossenschaften haben sich seit dem „null bewegt“, weswegen die Politik endlich an das Genossenschaftsrecht müsse. Die Privilegien innerhalb des Marktes gehörten abgeschafft. An der Krise verdienen derzeit nur die Molkereien, mehr als 5.000 Betriebe in Deutschland haben bereits aufgehört.
Aeikens sieht das ein wenig differenzierter: er verstehe das Ohnmachtsgefühl der Milcherzeuger gegenüber „ihren Molkereien“. Wer die Andienflicht abschaffen will, der müsse aber bedenken, dass die Abnahmegarantie der Molkereien den Betrieben geholfen habe, die jetzt in der Krise ihren Bestand und damit die Milchmenge ausgeweitet haben.
Als positiv bezeichnet Dr. Aeikens gegenüber Herd-und-Hof.de den Beschluss des Europäischen Gerichtshofes, dem Rat die ausschließende Kompetenz in der Gemeinsamen Marktordnung zuzugestehen. Offenbar erleichtert das Urteil politische Umsetzungen gegen die Kommission [2].
„Wanderkühe“, die der EU-Agrarausschuss in der letzten Woche als Ergebnis der freiwilligen Mengenreduktion voraussieht [3], wird es nach Backhaus und Hauk in Deutschland nicht geben. Beide verweisen auf die Landeskontrollverbände, in deren Datenbank jederzeit nachzulesen ist, wo welche Kuh steht.
GAP 2020
Am Ende richtet sich die Agrarpolitik in ihre rahmengebende Aufgabe ein. Sie hat sich in den letzten beiden Jahren in der Krisenbewältigung eine blutige Nase geholt. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. So soll jetzt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe nach sich schon der Fragestellung für eine Agrapolitik nach 2020 widmen. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) müsse der Ernährungssicherung dienen, Umwelt und Natur mehr berücksichtigen und den ländlichen Raum als Gegengewicht zum Trend der Urbanisierung aufwerten. Das informelle Treffen der EU-Agrarminister sprach bereits Anfang des Monats von der Möglichkeit einer 3. Säule für die Krisenbewältigung. Doch ob genug Geld vorhanden ist, bleibt offen. Auf den Agrartopf wollen viele zugreifen und welche Auswirkungen der Brexit hat, steht auch noch nicht fest.
CETA und TTIP
Die Agrarminister haben zu diesem Tagesordnungspunkt keinen Beschluss gefasst. Dr. Aeikens verwies auf die Notwendigkeit der Abkommen, weil Deutschland ein traditionell starkes Exportland ist. Christian Meyer aus Niedersachsen hingegen hält sich an den Beschluss der Verbraucherschutzminister, die den Agrarbereich ausgliedern wollen, weil die roten Linien beim vorbeugenden Verbraucherschutz schon überschritten sind. Niedersachsen ist übrigens im nächsten Jahr Gastgeber der AMK.
Greening
Das Thema Entbürokratisierung hat vor allem beim Greening zu einem Beschluss geführt. Ähnliche ökologische Vorrangflächen sollen zusammengeführt werden und Uferstreifen dürfen nicht mehr angerechnet werden. Leguminosen sollen auch im Gemenge anerkannt werden dürfen. Wenn die Futtergrundlage aufgrund schlechter Witterung knapp wird, sollen Zwischenfrüchte zur Futtergewinnung genutzt werden dürfen. Einige Länder wollen den Stillegungszeitraum bei sechs Monaten belassen und fordern die Beibehaltung des fakultativen Verbots von Pflanzenschutzmitteln bei Leguminosen auf den ökologischen Vorrangflächen. Eine weitere Protokollerklärung fordert eine Verlängerung des Aussaattermins von Blühstreifen bis zum 15. Mai.
EU-Ökoverordnung
Die Überarbeitung zieht sich auch unter slowakischer Ratspräsidentschaft länger als geplant hin. Aeikens widersprach den Stimmen, die bis Weihnachten eine Verordnung oder den Ausstieg aus den Verhandlungen fordern. An dem Paket werde in intensiven Trilogen in Brüssel „engagiert“ weitergearbeitet.
Aufklärung
Ernährung und Landwirtschaft brauchen eine aufklärende Stimme. Unter diesem Motto baut das Bundeslandwirtschaftsministerium an einem Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). Dr. Aeikens betont, dass die Bevölkerung eine starke Stimme brauche. Zum Thema Lebensmittelverschwendung wird der Bund auf der Frühjahrstagung in Niedersachsen einen Zwischenbericht abgeben.
Pflanzenschutzmittel
Als Sprecher für die Unionsgeführten Länder nahm Peter Hauk aus Baden-Württemberg an der Pressekonferenz teil. Sein Bundesland ist durch die vielen Niederschläge und anhaltend hohe Luftfeuchtigkeit einem besonderen Pilzdruck in den Kulturen ausgesetzt. Vor allem der Obst- und Weinbau ist beim aktuellen Sortiment an Pflanzenschutzmitteln dem Ende nahe gekommen. Der Ökolandbau hat derzeit nur noch Kupfer und Phosphonate in einem Großversuch zur Verfügung, der überhaupt noch eine ernte 2016 sicher stellt. Notfallzulassungen seien keine dauerhafte Lösung. Als Ursache fehlender Neuzulassungen führt Hauk die hohen Hürden an. Die AMK bittet den Bund nachdrücklich auf, im Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmittel (NAP) das Ziel umzusetzen, bis 2023 für 80 Prozent der Anwendungsgebiete mindestens drei Wirkstoffgruppen zur Verfügung zu stellen.
Charta für Holz
Im Rahmen der Waldstrategie 2020, der Allianz für den Wald und der Pariser Klimaverträge wollen die Agrarminister die Charta für Holz wiederbeleben. Die Ökobilanz und die Nachhaltigkeit sollen darin gestärkt werden. Peter Hauk kritisierte nach Abschluss der AMK die kartellrechtliche Auseinandersetzung über die Landesforstbetriebe. Das Bundeskartellamt will diese separieren, sehe den Wald aber ausschließlich unter wirtschaftlichen Bedingungen. Da der Wald mit seinem Funktionen Klimaschutz und Erholung auch gesellschaftliche Aufgaben erfülle, sollten die Landesbetriebe ihre Aufgaben für private Waldbesitzer auch künftig durchführen können.
Aquakultur
Die nachhaltige Aquakultur kann einen wichtigen Beitrag für die Selbstversorgung mit Fisch leisten. Zur Gewährleistung sollte beispielsweise in Kreislaufanlagen zur Fischaufzucht der anfallende Filterschlamm in die Düngemittelverordnung aufgenommen werden.
Lesestoff:
[1] Starker Appel mit Europabremse
[2] EuGH stärkt Deutschland den Rücken
[3] Wanderkühe zur Mengenreduktion
Roland Krieg; Fotos: roRo; Iris Kiefer