+++ 17:30 Uhr +++ Branchengespräch Fleisch
Landwirtschaft
ASP und SARS-CoV-2
Die Schweinehalter in Deutschland sind mehr als in der Bredouille. Das für Menschen hochinfektiöse Virus SARS-CoV-2 hat in der Vergangenheit Schlachthöfe geschlossen, weil wegen der hohen Zahl der Infizierter nicht mehr gearbeitet werden konnten. Aktuell stehen mit Vion in Emstek und Tönnies in Sögel zwei weitere Schlachthöfe in Niedersachsen vor einer pandemiebedingten Schließung. Damit fielen in Niedersachsen Kapazitäten für 120.000 Schweine und 40 Prozent des Normalvolumens weg. Alternativen sind rar, weil andere Schlachthöfe kaum noch mehr Schweine annehmen können.
Des Weiteren gibt es aktuell 55 Wildschweine, die an der Afrikanische Schweinepest (ASP) verendet sind. Das Virus ist zwar für den Menschen ungefährlich, aber alle Exportmärkte in Drittstaaten nehmen deutsche Ware nicht mehr ab. Der Puffer Kühlhaus fällt mittlerweile auch weg. Die privaten Lager sind pandemiebedingt voll und im Falle einer Förderung der privaten Lagerhaltung können keine Paletten mehr eingestellt werden.
Ob sich der Preis bei 1,27 Euro/kg Schlachtgewicht halten lässt bleibt offen, weil die Nachbarländer in diesem Jahr ihre Schweinehaltungen vergrößert haben. Da die Aussichten auf Besserungen in den Schlachthöfen und für neue Absatzmärkte nicht in Sicht sind, stehen die Landwirte unter einem noch nie erfahrenen Druck.
Das zweite Treffen
Vom Erzeuger bis zur Ladentheke saßen am Freitag 67 Teilnehmer per Video mehrere Stunden zusammen, berichtete Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner am Nachmittag. Von den Preisen bei Lockvogelangeboten könnten die Familienbetriebe nicht leben und die Schlachthöfe keine gesunden Arbeitsplätze anbieten. Weil der Markt über die Verbraucher aber höhere Standards nur widerwillig bezahlt, könnte der Staat mit der Tierwohlabgabe [1] als Zusatzfinanzierung abhelfen. Diese Woche wurde die Machbarkeitsstudie vergeben und wird bis Februar 2021 die Europarechtlichkeit für eine Finanzierung ohne versteckte Subventionen vorlegen. Die Bundesländer haben für diesen Fall ihre Unterstützung zugesagt. „Soweit waren wir noch nie“, sagte Klöckner. Nach den Förderkriterien für den Umbau der Schweineställe sollen dann auch die Kriterien für Geflügel und Rinder vorliegen.
Der Umbau ist nicht alles. Lassen sich neue Funktionsbereich in den Ställen einrichten oder sogar ein Auslauf, scheitert nach Expertenansicht der Umbau eher am Emissionsschutz [2]. Dort ist vor allem die TA Luft so verschärft geplant, dass ein Auslauf kaum möglich sei. Julia Klöckner hat jedoch eine Einigung mit dem Bundesumweltministerium erzielt, sagte sie auf der Pressekonferenz. [Inhaltlich wird das nachgereicht; roRo]
In Brandenburg helfen mittlerweile 100 Bundeswehrsoldaten beim Zaunbau gegen Wildschweine mit. Priorität hat das Auffinden verendeter Wildschweine. Denn Deutschland wird erst wieder ASP-frei, wenn 12 Monate lang kein neuer ASP-Fund gezählt wird. Bei jedem neuen Kadaver beginnt der Countdown wieder bei null. Agrarministerin Ursula Heinen-Esser in Nordrhein-Westfalen hat am Freitag zu Jagdreisen nach Brandenburg abgeraten, damit die Jäger das Virus nicht verschleppen.
Schlachthöfe
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vereinen rund 70 Prozent der deutschen Schlachtkapazitäten. Daher sind Schließungen so weitreichend. Einen „Schweinestau“ gibt es seit dem Pandemiegeschehen bei Tönnies in Rheda. Die Schließung für Sögel hält Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast für unverhältnismäßig, weil 800 Nicht-Infizierte wegen zwei Infektionen nicht zur Arbeit dürfen. In Emstek ist nur eine Schicht betroffen. Die Schlachthöfe haben berichtet, dass sie zu 95 Prozent ihrer Schlachtkapazitäten unter Einhaltung von Corona-Bedingungen aufrecht halten könnten. Obwohl die Firmen ein Hygienekonzept haben, will Otte-Kinast zusammen mit dem Gesundheitsministerium noch einmal einen Managementplan unter Corona ausarbeiten.
Der Vorschlag für Schlachtungen an Sonn- und Feiertagen scheint keine ausreichende Lösung zu sein. Niedersachsen bereitet Arbeitserleichterungen für die Schlachtbetriebe vor, Nordrhein-Westfalen bei nachweislichem Überhang. Aber die Schlachthöfe haben keine freien Arbeitskapazitäten mehr. Sie könnten allerdings vorhandenes Personal flexibler einsetzen.
Weitere Hilfen
95 Prozent Schlachtkapazität könnte das Schlimmste auf den Betrieben, die Notschlachtung, verhindern. Auf dem Branchentreffen hat sich auch kein Teilnehmer für die Förderung der privaten Lagerhaltung ausgesprochen. Nicht nur, weil die Kapazitäten fehlen, sondern nach Julia Klöckner auch, weil es derzeit kaum eine Aussicht gibt, wann es wieder eine Zeit für die Räumung gebe. Dauerhaft mache die private Lagerhaltung keinen Sinn. Derzeit sprechen die Landwirte von einem Überhang in Höhe von 400.000 Schweinen. Die Schlachtkapazität von 95 Prozent ist für Heinen-Esser ein gutes Signal, aber keine dauerhafte Lösung. Die nächste Viehzählung steht erste im November an. Die Politik kann sich derzeit nicht erklären, woher der Überhang bei den seit Monaten reduzierten Schlachtkapazitäten komme.
Mitte November gibt es ein drittes Branchentreffen Fleisch. Bis dahin haben die landwirtschaftlichen Betriebe und Verbände Zeit, Vorschläge für die nächsten neun bis 12 Monate zu machen. Mindestens solange wird Corona Deutschland noch beschäftigen, sagt Heinen-Esser. Die Vorschläge sollen einen Link zur nachhaltigen Tierhaltung der Zukunft haben.
Existenzfrage Schweinestau
Bauernpräsident Joachim Rukwied wirbt für alle Möglichkeiten, die Schlachthöfe offen zu halten und notwendige Schließungen zu verkürzen: „Die Not in unseren Betrieben ist groß. Der Schweinestau in den Ställen kann für viele Betriebe zur Existenzfrage werden. Die Tiere müssen schnellstmöglich geschlachtet werden. Diese gefährliche Mischung aus Corona-Pandemie und Afrikanischer Schweinepest ist eine Gefahr für unsere Schweinehalter. Coronabedingte Sperrzeiten bei Schlachthöfen müssen verkürzt werden. Es gibt mittlerweile gute Konzepte aus den bisherigen Coronafällen in der Fleischwirtschaft. Diese müssen genutzt werden, um sich ressortübergreifend auf bundesweit einheitliche Vorgehensweisen bzw. Managementkonzepte bei zukünftigen Corona-Ausbrüchen zu verständigen. Ziel muss sein, bei Beachtung des notwendigen Gesundheitsschutzes für die Mitarbeiter und die Bevölkerung die vorhandenen Schlachtkapazitäten möglichst auszulasten.“
Lesestoff:
[1] Erstes Branchentreffen Fleisch: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/1620-uhr-einigung-bei-tierwohlabgabe.html
[2] Der Tierschutz wird am Emissionsschutz scheitern. https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-tierschutz-wird-am-emissionsschutz-scheitern.html
Roland Krieg
© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html