Agrar als Verhandlungsmasse bei TTIP?

Landwirtschaft

TTIP-Leak: Sturm im Wasserglas?

Haben die TTIP-Kritiker bislang untertrieben oder die TTIP-Befürworter das Volk fälschlicherweise besänftigt? In der Nacht zu Montag hat Greenpeace Niederlande Dokumente veröffentlicht, die zumindest in den Medien als original bezeichnet werden. Bislang geheime Dokumente aus den 12 Verhandlungsrunden zwischen den USA und der EU zu einem gemeinsamen Freihandelsabkommen (TTIP). Die am Freitag zu Ende gegangene 13. Verhandlungsrunde ist in den Dokumenten nicht enthalten. Insgesamt werden 25 bis 30 Runden angesetzt. Die Echtheit ist aber im Verlauf des Montags aber auch nicht angezweifelt worden.

Die Dokumente zeigen den starken Willen der USA, einen einfacheren Marktzugang nach Europa zu bekommen und Agrarprodukte als Verhandlungsmasse einzusetzen. Wollen die Europäer Exporterleichterungen für die Automobilindustrie erreichen, dann wollen die Amerikaner umgekehrt ihre Produkte vom Chlorhühnchen bis zu gentechnisch veränderter Ware leichter in die EU verkaufen. Damit würde das EU-Vorsorgeprinzip gekippt. Die Dokumente zeigen auch, dass der Gabriel-Kompromiss zu Investorschiedsgerichten in den USA bislang gar nicht angekommen ist.

Die Dokumente sind Wasser auf den Mühlen der TTIP-Gegner, deren Befürchtungen wahr zu werden scheinen. Die Befürworter sind schlagartig in die Defensive geraten.

TTIP-Leaks

So sehen die Amerikaner in der Umweltrichtlinie REACh ein Handelshemmnis. In REACh werden alle chemischen Stoffe in der EU neu bewertet. Der Verbraucherzentrale Bundesverband liest aus den Dokumenten die weit auseinander liegenden Verhandlungspositionen heraus. Bernd Lange von den europäischen Sozialdemokraten sieht auf Grundlage der Dokumente „Keine Basis für ein gutes Abkommen“, weil „es bislang so gut wie keine Vereinbarungen zwischen den USA und der EU-Kommission gibt.“ „Das Agrarkapitel ist im Grunde kein Kapitel, sondern eine Aneinanderreihung von Klammern, in denen sich unterschiedliche Positionen der EU und der USA gegenüberstehen“. Lange warnt: „Wenn sich die USA nicht bewegen, dann kann es kein Abkommen geben.“

BUND-Präsident Hubert Weiger fasst zusammen: „Die TTIP-Leaks zeigen eindeutig, dass es in den Verhandlungen darum geht, auf Kosten hoher Verbraucherschutzstandards die Interessen der Agrar- und Chemieindustrie durchzusetzen. Bei der Gentechnik-Kennzeichnung oder der Abwehr des Hormoneinsatzes in der Tierhaltung wird es nahezu unmöglich, in der EU geltende Prinzipien beizubehalten.“

Die SPD will keine Agrarprodukte als Verhandlungsmasse einsetzen. In einer gemeinsamen Presseerklärung sagen Dr. Till Backhaus, Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern, und Wilhelm Priesmeier, agrarpolitischer Sprecher der SPD: „Keine Chlorhühnchen für einen VW!“ Die Bundesregierung habe sich auf der Verbraucherschutzministerkonferenz 2014 eindeutig für die Aufnahme von Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerstandards ausgesprochen.

Mit Blick auf die Agrarkrise in Deutschland und Europa warnt Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) vor amerikanischen Verhältnissen. Dort gehören 75 Prozent der Mastschweine im Rahmen der Vertragsproduktion zu Futtermittel-, Fleisch- und Sauenkonzernen.

Die Veröffentlichungen zeigen zumindest eins: Wie im Hinterzimmer um Verbraucher- und Umweltstandards in Europa gepokert wird, kritisiert Katharina Dröge, Sprecherin für Wettbewerbspolitik bei Bündnis 90/Die Grünen.

Was wurde veröffentlicht?

Die Texte sind „konsolidierte Texte“ und spiegeln die Verhandlungspositionen beider Seiten wider. Sie sind keine Verhandlungsergebnisse, stellte Staatssekretär Matthias Machning aus dem Bundeswirtschaftsministerium am Nachmittag klar. Es sei klar gewesen, dass TTIP keine einfache Verhandlung werde und die in den EU-Texten aufgeführten EU-Positionen seien die „roten Linien“, die nicht überschritten werden. „Es wird keine Absenkung von Standards in den Bereichen Umwelt- und Verbraucherschutz oder im Gesundheitsbereich oder bei Arbeitsplatzstandards geben.“ So gebe es kein Zurück zu privaten Schiedsgerichten, sagte Machning. Die Verhandlungen seien noch lange nicht am Ende.

Die Bundesregierung geht in die Defensive und nimmt die Veröffentlichungen erst einmal zur Kenntnis. Eine Sprecherin aus dem Wirtschaftsministerium legte dar: „Wie gesagt, handelt es sich bei den Dokumenten offensichtlich um Textvorschläge, um Forderungen. Forderungen sind keine Ergebnisse. Verhandlungspositionen sind keine Ergebnisse.“ Aus diesem Grund bezeichnete EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström die Reaktionen auf die Veröffentlichungen auch als „Sturm im Wasserglas“. „Kein EU-Handelsabkommen wird das Schutzniveau für Verbraucher und Umwelt oder bei der Lebensmittelsicherheit absenken.“

Das gelte auch für den Gabriel-Vorschlag zu den Schiedsgerichten, den die EU als Verhandlungsposition aufgenommen habe, sagte die BMWi-Sprecherin. „CETA [das Abkommen mit Kanada; roRo] definiert die Messlatte für ein Abkommen und unter dieser Messlatte wird es keine Zustimmung geben.“

Ähnlich äußerte sich auch eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Agrarchef Christian Schmidt hatte am Morgen in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk bereits die Einhaltung der EU-Standards versprochen. „Lebensmittelsicherheit und Vorsorgeprinzip sind kein Tauschobjekt gegen gemeinsame Technikstandards.“ Standhaft zeigte sich auch das Bundesumweltministerium, das schon eher skeptische Töne gegen TTIP äußerte. An REACh wolle die EU festhalten.

Kritik an Kritikern

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU, Michael Fuchs, rügt Greenpeace: „Die neuen Veröffentlichungen durch Greenpeace enthalten nichts Neues und sind reine Angstmacherei. Greenpeace und andere NGOs sollten sich gelegentlich fragen lassen, ob ihr gebetsmühlenartiger Widerstand gegen TTIP nicht selbst ein fragwürdiges Geschäftsmodell ist.“ Fuchs sieht Chancen, über TTIP europäische Standards international durchzusetzen.

Wirtschaftsethiker Johannes Wallacher von der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München beklagt die verkürzte Diskussion, die wieder einmal deutlich wurde. „Von einer konstruktiven Diskussion kann aktuell weder auf Seiten der Befürworter noch auf Seiten der der Gegner die Rede sein. Auf der einen Seite werden wirtschaftliche Interessen überhöht, während auf der anderen Seite die Ängste vor einem Absenken bestehender Standards alles andere dominieren.“ Die Veröffentlichungen zeigen allerdings wie „Partikularinteressen einzelner Wirtschaftszweige vertreten werden.“ Würden sich beide Seiten auf die jeweils höchsten Standards einigen, hätte das eine Signalwirkung auf „eine bessere Ordnung des gesamten Welthandels“.

Lesestoff:

Die Dokumente finden Sie unter www.ttip-leaks.org

Die Studie „Gerechte Regeln für den freien Handel“ der Deutschen Bischofskonferenz finden Sie unter www.dbk-shop.de/de/gerechte-regeln-freien-handel.html

Roland Krieg; Fotos: roRo

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