Agrarpolitik als systemisches Dumping?

Landwirtschaft

Gesellschaftswandel über die Landwirtschaft?

Die Tagung „Wer ernährt die Welt“ hat sich nicht nur um die klassischen Themen der Nahrungsmittelhilfe, Entwicklungshilfegelder und Exporten von Überschüssen beschäftigt. Die Diskussion ist feingliedriger geworden und bietet über den Fokus Landwirtschaft einen kritischen Blick auf die beschleunigte ganze Welt.

Reicht die Entkopplung aus?
Nach Dr. Dietrich Guth, Abteilungsleiter für EU-Politik und Internationale Zusammenarbeit im Bundeslandwirtschaftsministerium, hat die EU mit der Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktionsmenge den richtigen Schritt gemacht, die Anzahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Hinzu kommen der Abbau der Stützzahlungen für den Export und dass nur eine kleine Menge an Agrargütern in die Entwicklungsländer ausgeführt werden. Demonstrationsbetriebe in den Entwicklungsländern zeigten, dass angepasste Technik, Ausbildung und Ressourceneinsatz den Ertrag gegenüber der traditionellen Produktionsweise nahezu verdoppeln können, um vor Ort, mehr Nahrungsmittel zu produzieren.
Nitya Gothge hat in Indien Anthra gegründet. Eine Nichtregierungsorganisation, die sich um Bildung, Ausbildung und Gerechtigkeit für die Biodiversität einsetzt und hauptsächlich auf der Tierhaltung beruht. Die Direktorin fürchtet, dass es weltweit bald nur noch eine vergleichbare Produktion mit Lebensmitteln gibt, die sich ebenfalls ähneln. Europa und der Süden wiesen die gleichen Entwicklungsrichtungen auf Kosten der Kleinbauern auf. Regionale Produkte verschwinden. Auch in Indien frage man sich, wie die jungen Menschen auf dem Land gehalten werden können. Die Landwirtschaft habe ein schlechtes Image und sei nicht mehr attraktiv genug.

Problem Rationalisierung
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) steht der kommenden neuen EU-Agrarreform skeptisch gegenüber. Sie werde nicht verhindern, dass die großen Agrarbetriebe 80 Prozent der Eiweißfuttermittel importieren müssen. Für Baringdorf ist es „verstecktes Dumping“, wenn die europäischen Bauern Rohstoffe billiger aus anderen Ländern beziehen, als sie bezahlen müssten, stammten sie von hier. Die von der EU geförderte Rationalisierung und Industrialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe hat den europäischen Binnenmarkt auf den Weltmarkt heruntertransferiert – und wirke wegen des Rohstoffbedarfs ähnlich handelsverzerrend wie mit Exportsubventionen.
Romuald Schaber, Vorsitzender der Bundesvereinigung Deutscher Milchviehhalter (BDM) rechnete vor: Vorher zahlte die EU rund zwei Milliarden Euro Exportsubventionen für die Milch. Heute liegt der Erzeugerpreis rund zehn Cent unter den Gestehungskosten und wird anderweitig, wie über den Agrardiesel ausgeglichen oder aufgefangen. Bei 12 Milliarden Litern Milch summieren sich die Hilfen auf 1,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen weitere 1,5 Milliarden Euro an Direktzahlungen: Nach Schabers Rechnung ist damit der Betrag für die „versteckte Exportförderung“ damit höher als die „alte Exportsubvention“. Eine Rechnung, die Dr. Guth allerdings nicht nachvollziehen konnte.

Ernähren Kleinbauern die Welt?
Es geht um die Vorstellung, welche Landbewirtschaftung die Welt ernähren werden kann. Werden sich weltweit genug Kleinbauern finden, neun Milliarden Menschen zu ernähren? Wollen Kleinbauern immer nur Kleinbauern bleiben?
Die Lösung liegt nach Baringdorf nicht in der Bewirtschaftungsgröße, sondern in der Bewirtschaftungsart. Die „bäuerliche“ Bewirtschaftungsweise steht dabei im Vordergrund. Dabei stehen der Erhalt des Hofes, das Denken in Generationen, die Einbindung in die Region und sich ergänzende hofnahe Stoffkreisläufe im Zentrum der Arbeit. Zwar fühle sich die EU dem „bäuerlichen Agrarmodell verpflichtet“, doch die Umsetzung der Agrarreform geht möglicherweise doch in die andere Richtung. So sollen mehr Gelder in die zweite Säule gesteckt werden. Dort allerdings ist auch die Förderung zur Wettbewerbsfähigkeit untergebracht. Graefe zu Baringdorf fürchtet, dass sich nicht viel ändern wird.

Wie spricht man Landwirtschaft?
Zuletzt geriet Agrarminister Dr. Till Backhaus auf dem Landesbauerntag in Mecklenburg-Vorpommern durch eine Bemerkung in schweres Fahrwasser. Der bäuerliche Lebensalltag ist nicht mehr Mehrheitsfähig und ob Landurlauber wirklich sehen wollen, wie das Schwein geschlachtet wird, bleibt offen. Doch gerade die Stadtbevölkerung wird über das Europäische Parlament an Einfluss auf die Agrarpolitik gewinnen. Der politische Verkauf der Argumente über die GAP-Reform wird mindestens so spannend, wie die inhaltliche Auseinandersetzung.
So erhält ein Betrieb von 400 Hektar bei einer Prämie von 300 Euro je Hektar 120.000 Euro im Jahr. Der durchrationalisierte Betrieb kommt mit fünf Arbeitskräften aus. Auf die Arbeitskraft verrechnet erhält der Betrieb je Beschäftigten 24.000 Euro. Der 2.000 Hektar Ökobetrieb erhält zwar 600.000 Euro Flächenprämie, so Baringdorf, setzt aber 50 Arbeitskräfte ein: 12.000 je Arbeitskraft.
Und auch die „Neubewertung der Natur“ muss nicht abstrakt sein. „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) versucht das unsichtbare öffentliche Gut sichtbar zu machen. Weltweit werden verschiedene Nutzungsansätze durchgerechnet und relative Vorzüglichkeiten für eine ressourcenschonende Landbewirtschaftung mit ihrem ökonomischen Gewinn dargestellt.

Lesestoff:
Hier geht es zum ersten Teil der Tagung
Das umfangreiche Positionspapier „Für eine grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik“ von Verbänden aus den Bereichen Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft finden Sie hier: www.die-bessere-agrarpolitik.de

Roland Krieg

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