Agrarstaub aus der Ukraine

Landwirtschaft

Klimawandel kann Böden forttragen

Aufkommender starker Wind wehte im letzten Jahr in der Nähe des Kachowkaer Stausees am Unterlauf des Dnjepr. Zwei Wochen lang hatte es nicht mehr geregnet und die Ackerböden sind im Frühjahr ausgetrocknet. Der Schwarzerdeboden in der Ukraine gilt als sehr fruchtbar, ist aber auch sehr fein und daher besonders windanfällig. Am 23. März 2007 frischte der Wind bis auf 90 Stundenkilometer auf und trug eine große Staubwolke hinfort, die sogar auf den Wettersatelliten zu sehen war. Ein Hoch über Skandinavien und ein Tief, das sich vom Schwarzen Meer in Richtung Italien bewegte, ließen die Luftmassen schnell nach Mitteleuropa driften – und mit ihnen den Staub. Keinen Tag später war er in Deutschland angekommen.

Leipziger auf Spurensuche
Im Erzgebirge zeigte sich ein leichter Gelbschimmer am Himmel und die Filter der Luftüberwachungsnetze färbten sich bräunlich. Die Feinstaubexperten des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung begaben sich auf Spurensuche, woher die Staubfahne kommt. Dr. Wolfram Birmili forscht seit Jahren über den Ferntransport von Staub und konnte schnell Luftverschmutzungen wie Waldbrand oder Industriestaub ausschließen. Es gab keine erhöhten Kohlenmonoxid- und Kohlendioxidkonzentrationen. Zudem waren relativ viele grobkörnige Partikel über 0,001 mm Durchmesser in der Luft. Die Wetterlage schloss auch eine Staubverfrachtung aus der Sahara aus. Eine deckelartige Temperaturinversion hielt den Staub am Boden, der mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h nach Westen zog. Selbst in Großbritannien fingen Messgeräte ihn ein.

Mehr als 60.000 Tonnen Sand
Auf Grund der europäischen Feinstaubrichtlinie konnte Dr. Birmili auf insgesamt 360 Analysepunkten in fünf EU-Ländern zurückgreifen und ermittelte die Wolke bis zur Slowakei. Jenseits der EU-Ostgrenze wurde er auf Satellitenbildern fündig, die am 23. März eine auffällige Rotfärbung über dem Süden der Ukraine zeigten. Die Wolke breitete sich explosionsartig aus, teilte das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig mit.
Foto Milan SalekDie Experten berechneten die Wolkengröße auf rund 60.000 Tonnen Staub, wobei die Menge des aufgewirbelten Ackerbodens noch viel größer gewesen ist, denn die Geräte erfassen nur Partikel, die kleiner als 10 Mikrometer, 0,01 mm, sind. Dr. Birmilis Kollegen aus Tschechien schätzen die Gesamtlast der Wolke auf drei Millionen Tonnen. Dr. Jindrich Hladil vom Institut für Geologie der Akademie der Wissenschaften in Prag konnte auch die letzten Zweifel an der Herkunft klären. Er verglich die Staubproben aus der Luft direkt mit dem ukrainischen Boden: „Die mineralogisch-petrologischen Fingerabdrücke der Partikel über 10 Mikrometer können eine Menge über die geologische Herkunft verraten.“ Die tschechischen Forscher fanden zudem Pollen in den Proben, die typisch für die Ukraine sind.

Vorgeschmack auf den Klimawandel
„Letztlich war es eine Kombination aus trockenem, verwundbarem Boden, starken Windböen und raschen Transport innerhalb einer trockenen und stabilen Grenzschicht, die dieses Staubereignis für Mitteleuropa außergewöhnlich macht“, erklärt Dr. Birmili. Der EU-Grenzwert für Feinstaub liegt bei 50 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Tagesmittel. Am 24. März wurden PM10-Feinstaubwerte in Spitzenkonzentrationen zwischen 200 und 1400 Mikrogramm je Kubikmeter gemessen.
Über zwei Drittel der Ukraine sind Felder und Wiesen. Auf rund 220.000 km2 gilt der Boden als erosionsgefährdet. Seit den 1930er Jahren hat in der Sowjetunion die Winderosion durch die Kollektivierung der Landwirtschaft und die dadurch entstandenen großen Ackerflächen deutlich zugenommen, blicken die Umweltforscher zurück. Im Rahmen des Klimawandels weiten sich die bedrohten Flächen auf die bislang halbtrockenen Standorte weiter aus. Ein Staubsturm kann pro Hektar und Stunde bis zu 70 Tonnen leichten Schwarzerdeboden aufwirbeln. „In den letzten 40 Jahren hat es laut russischen Studien durchschnittlich drei bis fünf derartige Staubstürme pro Jahr in der ukrainischen Steppe gegeben“, berichtet Birmili. Der Klimawandel kann noch mehr ukrainischen Boden bis nach Deutschland wirbeln.

Lesestoff:
Über die ungewöhnliche Staubwolke haben die Wissenschaftler bereits mehrere Veröffentlichungen erzielt:
Birmili, W. et al.: An episode of extremely high PM concentration over Central Europe caused by dust emitted over the southern Ukraine. Atmos. Chem. Phys., 8, 997 – 1016
Hladil, J et al.: An anomalous atmospheric dust deposit event over Central Europe, 24 March 2007, and fingerprinting of the SE Ukraine source. Bulletin of Geosciences, 83, (2), pp. 1-32

roRo; Foto: Milan Salek, Bulletin of Geosciences: Die Ablagerung ukrainischen Staubes auf einem Auto am Rande von Brno im Südosten der Tschechischen Republik

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