Agrarumwelt: Es geht um Alles

Landwirtschaft

Wie lange hält die Aufbruchsstimmung?

Wer einen Stall baut und ein Feld bewirtschaftet, stellt sich die Frage: In welche Richtung werde ich wirtschaften und bekomme ich meine Aufwände entlohnt? Diese Frage stellt sich mit und ohne Insekten. Mit Insekten wird die Antwort deutlich komplizierter. Die neuen Minister sagen, seit 16 Jahren hat die Regierung keine Antworten gefunden. Die neue Opposition sagt, vielleicht gab es keine Antworten, weil die Realität viel komplexer ist, als die neue Aufbruchsstimmung es vorgibt.

Wunsch und Wirklichkeit

Der Mittwoch wurde zum Agrarumwelttag und begann am Morgen mit der Pressekonferenz zur Demonstration „Wir haben es satt“ am kommenden Samstag. Den ganzen Tag über organisierte das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz mit Ministerin Steffi Lemke den Agrarkongress. Der neue Minister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, war nicht nur dort zu Gast, sondern auch am Abend beim Deutschen Bauernverband zum Jahrespolitischen Auftakt. Die Schnittmenge der Gäste war den Gastgebern entsprechend getrennt. Beide Veranstaltungen entwickelten ihre eigene digitale Stimmung. „Aufbruchsstimmung“, so Cem Özdemir, auf dem Agrarkongress, Sorgen um die „Zielkonflikte“, so Bauernpräsident Joachim Rukwied, beim DBV. Wie sich Wunsch und Wirklichkeit zusammen bringen lassen, darüber entscheiden die kommenden Woche und Jahre und stressen alle Beteiligten.

Auf dem Agrarkongress betonte Özdemir: Wir fangen ja nicht bei null an“ und bekannte sich zu den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung. „Die Grundrichtung ist nicht verhandelbar.“ Die wurde allerdings auch schon in den vergangenen Jahren eingeschlagen. Dass die Räder nur gemächlich und mit Widerstand auf den neuen Weg einbiegen, begründete Ralph Brinkhaus (Vorsitzender der CDU/CSU) am Abend damit, „dass wir in der Vergangenheit oft zu schnell waren“. Die Landwirtschaft, ökologisch oder konventionell, hat lange Investitionszyklen von mindestens zehn Jahren. Eine schnellere Taktung resultiert in Planungsunsicherheit und der Missmut über ständig neue Vorgaben und Ziele. Brinkhaus warnte, dass die neue Regierung jetzt nicht eine, also die ökologische, Richtung so präferieren dürfe, dass es bei der nächsten Legislaturperiode wieder einen Richtungswechsel gebe. Die Ampel habe eine Verantwortung für einen dauerhaften Weg, der auch noch in zehn Jahren von einer anderen Regierung fortgeführt werden kann.

Rückenwind aus Brüssel

Die Agrar-Kommission in Brüssel hält an ihrer Gesetzgebung, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) fest. Die Grundzüge der Reform, die 2023 beginnen soll, gehen auf das Jahr 2018 zurück. Dazwischen gab es über die Europawahl ein neues Parlament mit einer Neubesetzung der Kommissionsposten und den „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Wirkung des grünen Vertrages entfalten die zahlreichen Strategien, wie die „From Farm-to-Fork“ (F2F), die zur Erhaltung der Biodiversität und die Klimagesetzgebung. Die Strategien sind eigentlich politische Neuformulierungen für die Agrar- und Umwelt- sowie Klimapolitik – aber eben Strategien und rechtlich nicht bindend. Das hindert aber weder die Europapolitiker noch die deutschen Politiker oder den EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski daran auf die Strategien immer wieder hinzuweisen um aber im Ernstfall zu sagen, rechtlich halten wir an der Reform der GAP fest. So muss die schon lange festgelegte GAP im laufenden Prozess mit Strategien modernisiert werden, deren Ziele so gar nicht vorgesehen waren. Die Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes wird den einzelnen Ländern überlassen, die mit ihren nationalen Strategieplänen F2F in die GAP einbauen müssen. Ein architektonisch gewagtes Experiment, bei dem der Berliner Regierungswechsel die Planungen noch einmal neu formuliert. Die Nachbesserungen an den Eco-Schemes haben bislang die pünktliche Abgabe des Papiers zum 31. Dezember 2021 verhindert. Die Staatssekretärin beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Silvia Bender, bekannte, es habe zu wenig Zeit gegeben, die von der Vorgängerregierung vorgelegte Strategie „grundlegend zu überarbeiten“. Einige Ökoregelungen seien wirtschaftlich zu wenig attraktiv ausgestaltet. Das Ministerium wartet noch auf die neuen Pläne der Bundesländer. „Voraussichtlich im Februar wird der Strategieplan in Brüssel eingereicht“, sagte Özdemir.

Auf der Pressekonferenz vor dem Agrarkongress feierten Özdemir und Lemke „die neue Hausfreundschaft“. „Die Zeit ist reif“, sagte Özdemir, die Aufgaben könne kein Haus alleine schaffen und brauche sogar die Zusammenarbeit aller Häuser in der Bundesregierung. Die Industrialisierung der Landwirtschaft nach der Wende in Ost und West hat nach Steffi Lemke zu gravierenden Umweltproblemen geführt, in Zusammenarbeit mit dem BMEL korrigiert werden: „Wir brauchen eine Landwirtschaft, in der es sich lohnt, mit der Umwelt pfleglich umzugehen.“ Lemke hofft auf eine bessere Zusammenarbeit nicht nur mit dem Agrarministerium, sondern auch mit dem Bauernverband.

Für den aus Brüssel zugeschalteten EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius ist das ein „historischer Zeitpunkt“, wenn Umwelt und Landwirtschaft gemeinsam am Schutz der Artenvielfalt zusammenarbeiten. So habe beispielsweise auch die Düngung die planetaren Grenzen überschritten und müsse gemeinsam eingefangen werden. Mit dem Green Deal und der Strategie F2F habe die Europäische Union bereits einen holistischen Ansatz gewählt. Sinkevičius freut sich auf die Zusammenarbeit mit Deutschland beim geplanten Bodenschutzgesetz, betont aber auch, dass die neue GAP bereits neue Flexibilitäten für die Mitgliedsländer eingeführt habe. Die EU müsse den Bauern bei der Anpassung an den Wandel helfen.

Wie neu ist neu?

Umbau der Tierhaltung, faire Preise, Bindung von Kohlenstoff im Boden durch Wiedervernässung., selbst die Moorschutzstrategie [1], der Aufbau von regionale Wertschöpfungsketten, Honorierung von Klima- und Umweltleistungen und kooperativer Naturschutz nach dem Vorbild der Niederlande, haben als Begriffe die Bundestagswahl überlebt. Die Aufbruchsstimmung resultiert also nicht von den Inhalten her. Was die einen hoffen und die anderen fürchten hat Steffi Lemke so formuliert: „Wir müssen die Strukturen so verändern, dass sie den gesellschaftlichen Wünschen gerecht werden.“ Das BMEL hat die Umweltaufgaben bislang als Belastung empfunden, sagte Özdemir. Mehr Biotopverbünde, mehr Dauergrünland und die Bindung der Tierzahlen an die Fläche sind die Aufgaben. Für die Umsetzung gilt nach Özdemir: „Wenn das vier Jahre hält, haben wir wirklich was gerissen.“

Bis Ostern hat Steffi Lemke ein Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz für die Biodiversität und den Moorschutz versprochen. In vier Pilotvorhaben sollen in zehn Jahren insgesamt 48 Millionen Euro für die Paludikultur fließen. Lemke hält am Ausstieg von Glyphosat fest und will mit der Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatze die Nicht-Zielorganismen schützen. Mit Forschung und Entwicklung sollen umwelt- und klimagerechtere Alternativen erforscht werden. Ob die Verbesserung der Ökosysteme ins Insektenschutzgesetz oder ins Bundesnaturschutzgesetz gesteuert werden, ist derzeit noch offen Özdemir und Lemke hoffen bei Glyphosat auf ein europaweites Ende [2].

Grenzen der Vorlagen

Die beiden leitenden Köpfe der Vorlagen haben die Grenzen ausformuliert. Peter Strohschneider leitete die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und begreift das Ergebnispapier [3] und schreibt ihm einen „Wert als übergreifenden Konsens über alle Beteiligten hinweg“ zu. Bewegt sich die Politik innerhalb der ZKL-Aussagen bleibt sie auch mehrheitsfähig. Strohschneider: „Die Transformation muss für alle gelten“, und meint damit nicht nur die ökologischen und konventionellen Landwirte, sondern auch die Verbraucher, die sich nicht allein auf den Staat als Hüter der Regeln verlassen dürfen.

Das von Jochen Borchert geleitete Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung hat mit seiner Studie und vom Thünen-Institut vorgenommenen Machbarkeitsstudie [4] vor allem die finanziellen Grenzen aufgezeigt. Markt alleine reicht nicht, unterstrich Borchert auf dem Agrarkongress. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer für tierische Produkte oder eine Abgabe, die zielgerichtet für den Umbau verwendet werden kann, sind einige Beispiele für ein Finanzmodell, dass es bislang nicht gibt. Der Stallbau selbst nimmt nach Borchert nur den kleinsten Anteil an Kosten auf. Rund 80 Prozent entfallen auf die  laufenden Kosten des Betriebs. Wird am Ende das Produkt für die Verbraucher zu teuer, bestehe immer die Gefahr der Produktionsverlagerung ins Ausland.

Annette Kirste von Aldi Nord sagte, dass die Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren zur Hauspolitik geworden sei. Im Jahr 2030 sollen nur noch die Haltungsstufen 3 und 4 in der Tierproduktion gelten. Aktuell sind die Angebote flächendeckend noch gar nicht vorhanden. Der Discounter will in den kommenden Jahren zusammen mit den Landwirten an der Umstellung arbeiten. Der Lebensmittelhandel dürfe nach Wettbewerbsrecht nur direkt an die teilnehmenden Landwirte über den Handel weiterleiten. Der Auftrag vom LEH geht also über die Verarbeiter, die den Landwirten neue Marktprogramme schmackhaft machen müssen.

Schweinemäster Jens von Bebber, der mit seinem Offenstall Bunte Bentheimer Schweine in Niedersachsen hält, ist einer der Pioniere für die neue Landwirtschaft. Es gibt viele, aber keine Breitenwirkung. Bislang stehen Einzelentscheidungen von Landwirten als Beispiel in der Presse, aber wer den Umbau in die Fläche bringen will, müsse auf politischer Ebene an Bau- und Immissionsschutzgesetz arbeiten. Zielgerichtete Förderung von Ausbildung und Beratung entfalten ebenfalls eine Breitenwirkung.

Özdemir beim DBV

Mit gleicher Wortstärke, aber emotional gedämpfter mit neuer Nuancierung  trat der neue Agrarminister beim Bauernverband auf. „Die Landwirtschaft ist keine Franchise-Filiale, die vorgeschrieben bekommt, wie sie zu arbeiten hat.“ Die Silben „Wirtschaft“ müssen bei den Landwirten gleichermaßen wie Umwelt und Soziales beachtet werden. „Wir wollen die kluge Stimme und nicht die altkluge Stimme für den ländlichen Raum sein.“ Einen Umbau allein auf Kosten der Landwirte werde er nicht zulassen: Ich will Minister für alle Bäuerinnen und Bauern sein.“

Der SPD-Vorsitzende Rolf Mützenich schränkte am Abend die grüne Vorherrschaft mit den Worten ein: „Die SPD als stärkste Partei hat sich mit den beiden Partnern auf dem Weg zum Koalitionsvertrag gemacht.“ Wenn am Ende Verbraucher höhere Preise bezahlen müssen, gehe das nur  über eine Erhöhung der Einkommen. Mit der Anhebung des Mindestlohns habe die SPD bereits den Anfang gemacht. Steffen Bilger von der CDU erweitert den Aspekt, weil es nicht nur um die prekären Arbeitsplätze und Hartz IV-Empfänger geht, sondern auch die Familien mit Kindern müssen sich die höheren Lebensmittelpreise leisten können. Schließlich ist die Frage, wer am Ende den Umbau der Tierhaltung und höhere Standards bezahlt noch offen. Nach Britta Haßelmann, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, gibt es aber schon einen „fachlichen Gedankenaustausch“.

Für den FDP-Vorsitzenden Christian Dürr müssen die Landwirte als Mittelständler behandelt werden. Für die müsse ein entsprechendes Umfeld geschaffen wird. Da ist er sich mit dem SPD-Politiker Matthias Miersch einig: „Die Unternehmen sollen in die Lage versetzt werden, neben ökonomischen, auch allgemeine gesellschaftliche Interessen umsetzen zu können und dafür honoriert zu werden.“

Die Frage, wie viel Staat der Markt verträgt, ist im Ampelbündnis noch nicht geklärt. Der CSU-Politiker Artur Auernhammer zog am Abend auch den dritten Grünen im Bund mit ein, der im Agrarumwelt-Komplex ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen wird: Robert Habeck will als Wirtschaftsminister die Energiewende allgemein forcieren und ist nach Auernhammer auf die Landwirte angewiesen. Sie erzeugen die speicherbare Biomasse für die Grundlast. Auernhammer aus Ansbach kritisiert seinen Freistaat, der mit der 10 H-Regelung die Landwirte an der Aufstellung neuer Windräder hindere. Im Wettbewerb um Flächen für Lebensmittel, Artenschutz und Biomasse stehen die neuen Freiflächen-Photovoltaikanlagen unnütz im Weg. Vor allem für landwirtschaftlich aktive Pächter sei es unerträglich, wenn der Verpächter statt einem neuen Pachtvertrag, das Land lieber an eine Solargemeinschaft vergibt. Lemke und Özdemir müssen ihre Hausfreundschaft auf die Invalidenstraße erweitern, wo das Wirtschaftsministerium seinen Sitz hat.

Ernährung

Eine wirkliche Neuheit kann die Verbindung zwischen Agrarumwelt zur Ernährung sein. Landwirte sind Mengenanpasser und produzieren das, was der Konsument nachfragt. Die Umstrukturierung der Landwirtschaft wird ohne neue Teller in der Küche nicht funktionieren. Essen die Verbraucher das, was sie im Regal vergeblich suchen, finden sie die Produkte ihrer Wahl im Importgeschäft.

Daher fordert die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eine Transformation im Ernährungsbereich. Der kann tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen, denn Dr. Britta Renner will das Ernährungsumfeld verändern. In den Städten wird an jeder Ecke rund um die Uhr für Essen geworben. Daran scheitern viele Menschen, die ihre Ernährung umstellen wollen. Die Verheißungen der schnellen und ständigen Nahrungszufuhr beginnen schon bei den Werbungen für Kinder. Die Ernährungspolitik hat bislang den Einzelnen Konsumenten im Blick, der bei seiner sekundenschnellen Kaufentscheidung am Lebensmittelregal die Welt retten soll. Da unterliegt er aber den „Hinweisreizen Essen“, die oft genug emotional aufgeladen sind. Mit einer „Zukunftskommission für nachhaltige Ernährung“ sollen die Weichen für ein neues Lebensumfeld geschaffen werden, das beim Verbraucher ansetzt und über die Nachfrage das Angebot mit regelt.

Diese Zukunft hat schon begonnen. Aus den 2016 gegründeten Ernährungsräten in Köln und Berlin ist mittlerweile ein Netzwerk mit 70 Initiativen entstanden, die ernährungsdemokratisch einen kulinarischen Gesellschaftsvertrag formulieren. Das sagt Gundula Oertel vom Netzwerk der Ernährungsräte. Vorbild sind die Bürgerräte, die in der Bundesrepublik noch zögerlich einberufen werden. Beispiele aus Irland zeigen die hohe Kompetenz und Vielfalt auf dem Weg zu Ergebnissen. Sie werden von der Regierung benannt, sind aber unabhängig und frei. Oertel betont, dass die Bürgerräte keine Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats sind. Sie stünden nicht ohne Grund im Koalitionsvertrag. Derzeit läuft eine Machbarkeitsstudie über faire Preise.

Die neue Regierung ist erst seit fünf Wochen im Amt. Steffi Lemke sagte, dass eine Ernährungsstrategie in Arbeit ist. Gesunde Ernährung, ihre Umsetzung und, nach Analyse der ZKL; auch die gesundheitlichen Folgekosten falscher Ernährung sollen darin aufgearbeitet werden.

Lesestoff:

[1] Dachvereinbarung Moorschutz: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bund-laender-moorschutz.html

[2] Frankreichs Parlament hat das Glyphosatverbot abgelehnt: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/januar-agrarrat-in-bruessel.html

[3] ZKL: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-zkl-abschlussbericht-und-die-reaktionen.html

[4] Folgenabschätzung Borchert-Studie: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/folgenabschaetzung-borchert.html;jsessionid=C3C080A51B63CD4568ABED172B398DBA.live832

Roland Krieg

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