Agrarwende bei der Kapitalismuskritik angekommen

Landwirtschaft

Der Konzernatlas gibt den leisen Tönen Schall

Titel Konzernatlas

Landwirte kaufen als Unternehmer Inputs preiswert ein und verkaufen Veredeltes und Gewachsenes teurer an den Handel. Die Differenz ist der Gewinn. So sollte es sein. So ist es aber nicht. Selbst wenn die Milchpreise derzeit wieder über 30 Cent geklettert sind, deckt der Erzeugererlös die Vollkosten nicht. Seit eineinhalb Jahren steckt die Ladnwirtschaft weltweit im Dilemma der guten Ernten und niedrigen Preise. Auf der Suche nach den Ursachsen sind sich die Etablierten schnell einig: Der Deutsche Bauernverband sieht den Kaiser´s-Deal wegen steigender Machtkonzentration nach wie vor skeptsch. Josef Plank von der österreichischen Landwirtschaftkammer will auch die Marktkonzentration auf der Zuliefererseite nicht vernachlässigt wissen, wie er diesen Monatg im Agri-Ausschuss anführte. In der Agrarpolitik gibt es kaum jemanden, der den Megadeal zwischen Bayer und Monsanto gutheißt.

Vor diesem Hintergrund benennt der am Dienstag in Berlin vorgestellte Konzernatlas kaum etwas Neues. „Auf allen Ebenen verwandeln sich Oligipole in Monopole“, führt Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung an. Der Konzernatlas zeigt, dass die Landmaschinenindustrie weltweit rund 50 Prozent größer als die Agrochemie ist. Die Lanawirte stecken im Sandwich zwischen den Konzernen und müssen mittlerweile teurer einkaufen und ihre Produkte billig verschleudern.

Kapitalismuskritik am Beispiel der Landwirtschaft

Die Lautstärke ist angebracht. BUND-Präsident Hubert Weiger bezeichnet die Debatte als „überfällig“, denn sie wird von nahezu allen aufgenommen, wie das neueste Thema Digitalisierung zeigt. Es geht die Angst bei den Landwirten um, nicht mehr Herr der eigenen Daten zu sein und zu einem verlängerten Arm der Konzerne zu werden. Das Unternehmertum des Landwirts steht auf Spiel, wenn es außerhalb der Agraropposition auch leiser ausgesprochen wird. Der Konzernatlas ist bei näherer Betrachtung kein Gegenpol zur etablierten Landwirtschaft [1; 2]. Hubert Weiger spricht die Landwirte frei. Sie wenden Mittel an, die zugelassen sind und die im rechtlichen Rahmen erlaubt sind. Dieser politische Rahmen bewirke den Prozess, der Landwirte vom Lebensmittelerzeuger zum Rohstofflieferanten degradiere. Da habe die Marktmacht die politische Macht erreicht, die über Grundwasser und Fruchtfolgen bestimme – letztlich, was die Menschen auf den Teller bekommen.

In dem Punkt wendet sich der Konzernatlas von der Landwirtschafts- zur Kapitalismuskritik, weil die Politik nicht nur im Bereich der Lanwirtschaft  mit den industriellen Komplexen die Lebenswelt der Armen im Süden und der Mitte im Norden bestimmt. „Die Politik ist Teil des Problems“, sagt Unmüßig und Dagmar Enkelmann als Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung mahnt an die Verpflichtung des Eigentums im Grundgesetz.

Das Bruttoinlandsprodukt ist nicht alles. Die Enquete-Kommission des Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ hat bereits neun weitere Leitlindikatoren für die Wohlstandsmessung definiert [3]. Die neue Agrarpolitik ab 2020 wird neue Aspekte berücksichtigen müssen [4]. So unumkehrbar wie die Konzernfusionen, so unumkehrbar ist der städtische Trend des Einkaufens ohne Konzerne. Das zeigen die Gründungen der Ernährungsräte in Berlin und Köln. Schließlich hat der Bauernverband auch den Alleinvertretungsanspruch verloren, weil sich neben dem Bauernbund auch unzufriedene Milchbauern neu zusammengefunden haben. Ein wirklich neues Gleichgewicht zwischen allen Akteuren und in allen Branchen hingegen gibt es noch nicht.

„Sammelsurium“…

Sichtbar an den Reaktionen auf den Konzernatlas. Die Lebensmittelbranche fühlt sich herausgefordert. Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff vom Bundesverband der Deutschen Ernährungsindustrie erklärt: „Der sogenannte Konzernatlas dokumentiert ein absurdes Sammelsurium verkürzter Behauptungen oder falscher Unterstellungen gegen die Lebensmittelbranche und einzelne Unternehmen. Eine tatsächliche Übersicht über den globalen Lebensmittelmarkt gibt der Bericht nicht. Während 65 Prozent der europäischen Lebensmittelhersteller mit dem größten Anteil am globalen Umsatz in dem Bericht gar nicht auftauchen, wird sogar Autoherstellern oder Softwareunternehmen eine Einflussnahme auf das Lebensmittelangebot angedichtet.“

… und wachsames Auge

Auf der anderen Seite will das Bundeskartellamt den Lebensmitteleinzelhandel weiter beobachten. Die Kaiser´s-Lösung mit Rewe führe nur zu einer „relativen Wettbewerbsverbesserung“, heißt es im Jahresrückblick. Präsident Andreas Mundt: Da die Konzentration auf Händlerseite voranschreitet, werden die Beschwerden der Hersteller über die große Marktmacht sicher nicht weniger werden. Ein wichtiges Musterverfahren über Forderungen, die EDEKA nach unserer Auffassung in unbilliger Weise nach der Übernahme der Plus-Märkte von seinen Lieferanten erhoben hat, ist noch vor dem Bundesgerichtshof anhängig. Zudem soll die Missbrauchsaufsicht im Lebensmitteleinzelhandel mit der laufenden Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verbessert werden und da einspringen, wo die Strukturkontrolle – auch nach der Ministererlaubnis EDEKA/Kaiser’s Tengelmann – an ihre Grenzen stößt. Dies wird kein leichtes Unterfangen werden und Einfluss auf unsere weitere Arbeit haben.“

Konzernfrei leben

Neben dem schwierigen politischen Weg, zeigt der Konzernatlas mit der solidarischen Landwirtschaft und regionalen Wirtschaftsmodellen Lösungen für den erhalt des Kleinteiligen auf. Beim Reisanbau gelingt das schon im globalen Maßstab.

Lesestoff:

Den Konzernatlas finden Sie beispielsweise unter www.boell.de

[1] Kommt die digitale Dividende auch beim Landwirt an? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/welche-chancen-hat-genom-editing.html

[2] Genom Editing ist eine Chance für die Kleinen und Mittleren Unternehmen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/welche-chancen-hat-genom-editing.html

[3] Leitindikatoren für einen neuen Wohlstand: https://herd-und-hof.de/handel-/abschied-vom-bip.html

[4] Die GAP ab 2020 wird ganz anders: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/id-2020-wird-die-gap-ganz-anders.html

Roland Krieg

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