AGRI bleibt skeptisch gegenüber Mercosur

Landwirtschaft

Selbst Mercosur-Kritiker schlagen Verbesserungen vor

Europaparlament in Brüssel

Die Vorlage zum Handelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur der EU-Kommission ist noch nicht einmal rechtssicher übersetzt. Eine Folgeabschätzung wird im Frühjahr 2020 veröffentlicht. Doch da mit Ländern wie Brasilien und Argentinien der Mercosur eine gewichtige Exportregion für Agrargüter geworden, steht das Abkommen in der Kritik, den europäischen Landwirten den Wettbewerb zu erschweren, sogar den kleinen Betrieben das Ende zu bereiten.

Der Agrarausschuss des Europaparlamentes hat am Montag Fachvertreter zu einer Anhörung eingeladen, die mehrheitlich vor den negativen Folgen des Abkommens warnen. Erst bei genauerem Hinhören zeigt sich, dass einige mit konstruktiven Vorschlägen zur Verbesserung des Abkommens punkteten.

Die Warnungen

Isabella Timm-Guri von der Marketing-Abteilung des Bayerischen Bauernverbandes kritisierte sich die Quote von 99.000 Tonnen Rindfleisch aus dem Mercosur, die neben der so genannten Hilton-Quote in Höhe von 50.000 t Edelstücke aus mehreren Ländern in die EU mehr als nur ein Prozent Marktanteil ausmachen. Der Lebensmittelhandel platziere südamerikanisches Rindfleisch vorzugsweise in die Angebotssparte und setze europäische Ware unter Druck. Rechnerisch seien 80 Prozent des brasilianischen Rindfleisches mit der Zerstörung des Regenwaldes belastet, ergänzt Nicole Polsterer von der Hilfsorganisation Fern für Wälder und Menschen aus Großbritannien. Brasilien müsse Daten zu seinen Viehtransporte für Exportfleisch öffentlich machen und dürfe Zuckerrohr für die Ethanolproduktion nicht weiter in die Regenwaldgebiete ausdehnen.  Pekka Pesonen kommt zu dem Ergebnis, dass die Nachteile bei Rindfleisch, Orangensaft, Geflügelfleisch, Ethanol und Zucker die Exportmöglichkeiten er EU für Wein, Oliven und Milcherzeugnisse überkompensieren und unter dem Strich ein Handelsungleichgewicht entsteht. Der Generalsekretär des europäischen Dachverbandes der Bauern und Genossenschaften Copa-Cogeca unterstützt auch ein vorfristiges Inkrafttreten des Mercosur-Abkommens. Der Handel würde in der EU einen Wertschöpfungsverlust von 1,5 Milliarden Euro erzielen.

Liam MacHale Europadirektor des irischen Bauernverbandes und sprach für die irischen Rinderzüchter, die vom Mercosur als am meisten betroffen gelten. Europa habe in der Vergangenheit mehrfach die Schwachstellen der Rückverfolgbarkeit in Brasilien kritisiert. Das Land müsse erst einmal die Kritikpunkte aus dem Jahr 2017 beseitigen. Exportholdings könnten Rinder von Landwirten vermarkten, die nicht auf der Exportliste stünden. MacHale fürchtet sich vor den „Billigcontainer“ die in Rotterdam ankommen und statt mit erlaubter Premiumware mit Fleisch niedrigen Standards befüllt sind. Die im Vertrag vereinbarte Marktsicherungsklausel komme allgemein zu spät und sei zu wenig.

Brasilien ist stark in der Geflügelfleischproduktion. Mit Blick auf die ukrainischen Tricks, Brustfilet mit angehängtem Flügel als neues Produkt außerhalb der Zollkontingente ohne Begrenzungen einzuführen, fürchtet Jean-Michelle Schaeffer vergleichbares aus Brasilien. Der Präsident des ANVOL-Verbandes für europäisches Geflügelfleisch führte an, dass jedes vierte Brustfilet schon aus Drittstaaten importiert wird. Die Umsetzung des europäischen Salmonellenprogramms sei für die Geflügelhalter sehr teuer und werde durch Brasilien unterlaufen. Selbst wenn die brasilianische Erzeuger europäische Standards einhalten würden, unterbieten sie die Preise durch verringerte Stückkosten über die Massenproduktion. Zudem komme Mercosur mit dem Brexit zum falschen Zeitpunkt. Polen und die Niederlande werden ihre Exportmengen an Geflügelfleisch nach dem Brexit auf den Binnenmarkt lenken und für zusätzlichen Preisdruck sorgen.

Augustín Herrero sprach für die spanischen Exportgenossenschaften für Obst und Gemüse. Er forderte Kontrollen vor Ort und monierte, dass die umgekehrten Zugeständnisse für beispielsweise Wein und Tafeloliven nach Südamerika noch deutlich Luft nach oben hätten.

Wo sind die Gewinner?

Im Detail haben die Experten das Problem der unterschiedlichen Standards im Welthandel aufgeführt. Die Schere gehe immer weiter auseinander, sofern zwar die EU immer höhere Standards auflegt, der Rest der Welt aber nicht folge.

Mercosur wird das Problem nicht alleine lösen können. Die Kritik aber negiert die Fortschritte, die John Clarke aus der Generaldirektion Agrar „Richtig stellen“ musste. Kommission und Europaparlament haben alles andere als eine gemeinsame Sichtweise auf das Mercosur-Abkommen entwickelt. Die Anhörung habe nur die eine Seite der Argumente hervorgebracht, stellte Clarke fest. Selbst wenn das Abkommen im Bereich der Landwirtschaft nicht nur Gewinner hervorbringt, so gibt es in anderen Wirtschaftsbereichen wie bei den Dienstleistungen fast nur Gewinner auf europäischer Seite. Mercosur dürfe nicht nur mit der Agrarbrille gesehen werden. Der Mercosur öffne mit dem Abkommen erstmals seine Wirtschaft gegenüber einer anderen Wirtschaftsregion und die Europäer haben die Chance des Pioniers, breitflächig auf den Markt zu gelangen. In den sensiblen Agrarmärkten habe es ausschließlich zumutbare Zugeständnisse gegeben und das Abkommen beinhalte erstmals ein Nachhaltigkeitskapitel mit Schlichtungsmechanismus. Clarke musste die Selbstverständlichkeit betonen, dass Importe den gleichen Regeln unterliegen, wie bei der heimischen Produktion. Es dürfe kein mit Antibiotika erzeugtes Fleisch, dürfen keine höheren Rückstandshöchstwerte bei Pflanzenschutzmitteln eingeführt werden. Gammelfleischskandale hat es auf beiden Seiten des Atlantiks gegeben. Einige kanadische Rindfleischerzeuger nach dem CETA-Abkommen ihre Exportträume aufgegeben, weil die geforderten und zertifizierten Standards zu hoch waren. Mit dem Mercosur soll es eine gemeinsame Veterinärgruppe für Tierwohlstandards geben. Es gebe zwar einige berechtigte Sorgen, so Clarke, aber „wir haben die Antworten darauf“.

Das Problem

Der Handel bleibt schwierig, wenn die Standards unterschiedlich sind und steigen mit der Differenz sogar an. Der regelbasierte Welthandel über die Welthandelsorganisation WTO steht mit anwachsendem Bilateralismus auf Kippe. Dort wäre die beste Gelegenheit, den Handel bei unterschiedlichen Standards fair auszugestalten. Möglicherweise sollte bei Lebensmitteln ein anderer Handelsstandard angelegt werden, wie bei anderen Wirtschaftssektoren. Doch welche Möglichkeiten hat Europa beispielsweise auf die brennenden Amazonaswälder? Den Boykott? Die Anklage? Der Zugriff über Handelsabkommen? Gilt die jetzt geäußerte Kritik gegenüber Brasilien oder gegenüber dem Präsidenten Jair Bolsonaro? Trump und Bolsonaro werden wieder verschwinden, sie sind lediglich Hindernisse der allgemeinen Entwicklung und können dauerhaft keine Umkehr erzwingen. Außerdem wird die brasilianische Politik auch im eigenen Land  kritisiert. Helfen neu ausformulierte Handelsabkommen nicht eher, als ein Rückzug? Menschenrechte und Regenwaldzerstörung müssen nach Nicole Polsterer auch ohne Mercosur dringend auf den internationalen Prüfstand.

Die Vorschläge der Experten

Der italienische Sozialdemokrat im Agri-Ausschuss Marc Tarabella warf ein, dass Rohstoffe, wie Zucker, Getreide oder Milch von Handelsabkommen ausgenommen werden sollten. Hingegen sollten sich die Wirtschaftsregionen ausschließlich mit verarbeiteten Produkten beschäftigen. Der Christdemokrat Herbert Dorfmann aus Südtirol sieht das ähnlich: „Man muss nicht jeden Zoll auf null setzen.“ Isabell Timm-Guri kann sich damit anfreunden: „Ein Zoll kann auch als Qualitätsschutz angesehen werden.“

Nicole Polsterer schlägt eine unternehmerische Sorgfaltspflicht für Menschen- und Umweltrechte vor, die es vereinzelt in einigen europäischen Ländern bereits gibt und in Deutschland geplant ist. Polsterer setzt dabei auf die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die in ihrem Green Deal die Wertschöpfungskette nachhaltig gestalten will. Grundsätzliche Lösungen sind dringend gesucht, ergänzt Timm-Guri. Hausaufgaben für Europa sieht Pekka Pesonen. Man dürfe einen europäischen Mehrwert nicht ohne Wissenschaft begründen. Wenn bestimmte Technologien in Europa nicht eingesetzt werden dürfen, kommen sie über Importe dennoch auf den alten Kontinent. Damit plädiert Pesonen für einen sensibleren Umgang mit möglichen Restriktionen.

Selbst Liam MacHale will  Mercosur nicht gleich ad acta legen. Die Gesetzgebung in Brasilien ist gut, aber Bolsonaro setzt sie nicht um oder aus. Misstrauen gibt es gegen den Präsidenten und nicht gegen die brasilianische Wirtschaft. Jean-Michele Schaeffer will die Agenda 2030 und die Pariser Klimaziele in der WTO verankern und damit eine Wirtschafts- und Finanzwende in Richtung Nachhaltigkeit begründen.

Lesestoff:

Die Mercosur-Kritiker verrennen sich: https://herd-und-hof.de/handel-/mercosur-kritiker-verrennen-sich.html

Roland Krieg

Zurück