Ahnungslos nach Quotenaus

Landwirtschaft

Anhörung im EU-Agrarausschuss zum Milchmarkt

Noch etwas mehr als zwei Monate. Dann endet die Milchquote nach 30 Jahren [1]. Die einen treten dem Begrenzer der Milchseen und Butterberge noch nach, die anderen trauern um die vielen kleinen Betriebe, die noch aufhören werden und suchen eine Angebotssteuerung, ohne die Quote durch die Hintertür wieder einzuführen, wie es Pablo De Costa, italienischer Sozialdemokrat am Dienstag im EU-Agrarausschuss formulierte.

Wären die Milchpreise derzeit nicht Existenz gefährdend tief, wäre der Blick für die Zeit nach der Quote gelassener. Würden Russland und China nicht die Grenzen des Weltmarktes aufzeigen, ebenso. Vor allem: Hätten die europäischen Milchbauern im letzten Jahr nicht rund fünf Prozent zu viel Milch produziert, würden Angebot und Nachfrage preislich optimal übereinstimmen. Aber so viele „Wenn“ und „Aber“ waren nach Aussage der EU-Kommission nicht vorhersehbar. Für den französischen Grünen José Bové hingegen schon, als vor rund sechs Jahren das Aus für die Quote bestimmt wurde. So sagte er.

Viel Zeit ist seit dem Beschluss gegen die Quote vergangen und was genau passiert bleibt noch immer offen. Jahre der Versäumnis, ein plausibles Konzept für die Marktregelung auszuarbeiten, wenn jegliche Form der Marktabstimmung mit der alten Quotenregelung verglichen wird und die Exportorientierung als Teufelswerk bezeichnet wird. Die Heterogenität der Landwirtschaften, von der Almenwirtschaft über den Nebenerwerbsbetrieb bis zu den großen Milchviehställen mit Getreidefütterung sind zu groß, dass ein einzelnes Konzept alleine greift. Doch welche Mosaiksteinchen passen können – darüber gab die Anhörung im EU-Agrarausschuss am Dienstag auch keinen Aufschluss.

Im Auge des Sturms

Berichterstatter James Nicholson, britischer Konservativer, will Ende Februar einen Bericht angefertigt haben, welche Instrumente zur Marktabsicherung vom Europaparlament abgestimmt werden könnten. Der Milchsektor befinde sich im Auge eines Sturms und die Sorge um die Zukunft der Milchviehbetriebe habe zu der Anhörung geführt. Während die Milchkühe in den letzten sechs Monaten immer mehr Milch gaben, kamen die europäischen Bürger mit dem Milchtrinken nicht mehr nach. Nicholson appelliert an die politische Verantwortung der Parlamentarier, die Milchbauern nicht alleine zu lassen.

Nichts hat geholfen

Die Bündelung der Milchbauern, private Lagerung und Interventionspreise sowie die Vertragsgestaltung zwischen Milchbauern und Molkereien sind Teile des Milchpaketes gewesen, dem alle Abgeordneten und Fachleute das Scheitern zuwiesen. Die Kommission habe viel getan, aber es reicht nicht, sagte Mansel Raymond vom europäischen Bauern- und Genossenschaftsverband Copa-Cogeca.

Die großen Verarbeitungsbetriebe sind geblieben, die Gestehungskosten werden nicht berücksichtigt, an den Verträgen habe sich nichts geändert und die Genossenschaften sind außen vor geblieben. Doch in manchen Ländern nehmen sie rund 90 Prozent der Milch auf, beklagte Isabel Vilalba Seivane, galizische Milchbäuerin und Vertreterin der Europäischen Vereinigung Via Campesina.

In Galizien ist die Situation aber anders als in Deutschland. Dort sind nach Patricia Ulloa Alonso, Direktorin der galizischen Agrarproduzenten, die Verarbeiter das schwächste Glied in der Kette. Preisvorhersagen seien kaum möglich, weil die Erzeuger die einjährigen Verträge auch vorfristig kündigen können. In den Branchenverbänden fehlen die Händler. Wichtig seien regionale und nationale Preismonitore, die zeitnah aufgestellt werden müssen.

Viele Baustellen

Lidia Senra Rodriguez von der Linksfraktion in Spanien vermerkt, dass so viel über mögliche Chancen auf dem Binnenmarkt geredet wird. Die Milch könnte auch ohne Exportorientierung durch Förderung des Konsums auf dem Binnenmarkt untergebracht werden. Martin Häusling von den deutschen Grünen will mehr Augenmerk auf das Mengenproblem legen. Die Zukunft liege weder in Russland noch in China. Offen seien die Fragen, wo die Produktionsgrenzen und das Marktgleichgewicht in Europa liegen und welche Chancen der Binnenmarkt bietet. Auf den allerdings will Sofia Ribeiro, Christdemokratin aus Portugal, nicht setzen. Der demografische Wandel wird die Binnennachfrage begrenzen. Der slowenische Christdemokrat Franc Bogovic sorgt sich vor allem um die vielen kleinen Betriebe in den benachteiligten Gebieten, die höhere Gestehungskosten haben. In dem Zusammenhang bedauerte es Marijana Petir aus Kroatien (Christdemokratin), dass aus den neuen EU-Ländern keine Fachexperten eingeladen wurden. Dort ist die Struktur der Milchviehbetriebe kleiner als in der „alten EU“.


Screenshot von der aktuellen Anhörung im EU-Agri

Zukunft Vertragslandwirtschaft?

Einen umstrittenen Beitrag lieferte der britische Milchbauer Duncan Maugham. Nachdem er seine ganze Milchviehherde durch Krankheit verloren hatte, baute er sich mit Hilfe von Nestlé eine neue auf. Dort liefert er seine Milch nicht nach Menge, sondern nach Inhaltsstoffen, die der Konzern gut vermarkten kann. Mit guter Rassenwahl und kontrollierter Fütterung habe er einen Überblick über sein Einkommen und erhalte einen fairen Milchpreis. Wer höhere Preise für qualitative Milch bekomme, der investiere auch. Selbst Maßnahmen wie Interventionspreise lehnte er ab.

Zwischenrufe der Abgeordneten wegen Konzernwerbung im Parlament ertrug Maugham mit britischer Gelassenheit. Vorteile sähe er auch bei dem Konzern, der über die Transparenz der Lieferkette auf den ökologischen Fußabdruck seiner Produkte achten könne.

Was Maugham vorstellte, heißt in der Wirtschaft vertikale Produktion. In Deutschland wird das beispielsweise im Gemüsebau praktiziert.

Ohne Export keine Chance

Vincent Chatellier vom französischen National Instute of Agronomic Research und David Dobbin von den United Dairy Farmers in Großbritannien geben der Milchproduktion ohne Export keine Chance. Frankreich habe im Molkereisektor in den vergangenen fünf Jahren kaum neue Märkte innerhalb der EU erschlossen, aber mit China und neuerdings mit Afrika neue Geschäftsbeziehungen aufgebaut. Für Landwirte mit hohen Gestehungskosten in der Milchproduktion sieht Chatellier langfristig keine Chance mehr. Auch für Dobbin muss jeder zusätzliche Tropfen Milch künftig exportiert werden. Wenn also der Milchsektor nach dem Quotenende wächst, muss der Absatz auf den Drittmärkten wachsen. Irland und Deutschland könnten mit relativ wenig zusätzlicher Milch alleine für den Exportüberschuss sorgen.

Doch wie sieht es bei den Mitbewerbern um die Exportmärkte aus? In Neuseeland ist die öffentliche Unterstützung gering, so Chatellier, und die Umweltanforderungen haben die Grünlandhaltung in den letzten zehn Jahren deutlich expandieren lassen. Das Wachstum geht nahezu komplett in den Export. In der Schweiz ist die Milchquote ebenfalls nach 30 Jahren ausgelaufen, aber schon im Jahr 2009. Ein kleiner Betrieb erzeugt rund 3,5 Millionen Tonnen Milch, die überwiegend auf dem Binnenmarkt abgesetzt wird. Die Schweiz profitierte zwar von der Liberalisierung des Käsemarktes mit der EU, leidet aber derzeit an der eigenen Finanzpolitik. Kanada wird gerne als Vorbild für eine Marktorientierung genannt, sagte Chatellier. Der Milchmarkt in Kanada ist klein und weist derzeit ein Defizit von 470 Millionen Dollar auf. Es komme sogar zu einem „Käseschmuggel“ aus den USA. Während die USA seit Jahrzehnten gleichmäßig vier Prozent des selbst produzierten Volumens importierten, musste Kanada seinen Milchimport von acht auf 15 Prozent erheblich steigern. Ursachen seien beispielsweise Strafgelder für Mehrproduktion.

Die USA haben ein neues Programm zur Margenabsicherung eingeführt [2]. Wie es wirkt wolle Chatellier erst abwarten.

Europa ist in seiner Situation nicht allein. Russlands Bann hat auch andere Regionen getroffen, die im Milchsektor zugelegt haben: Die EU verzeichnete im letzten Jahr ein Plus von fünf Prozent. Australien zwischen 0,5 und einem Prozent, die USA zwischen zwei und drei und Neuseeland verzeichnete ein Plus von 10 – 11 Prozent.

Hoffnung Export

Trotz schlechter Signale setzt Prof. Dr. Ludwig Theuvsen von der Universität Göttingen auf den Export. Langfristig sind die Absatzchancen durch das Wachstum der Schwellenländer gut. Der Weltmarkt bliebe immer volatil, weil nur ein Teil der produzierten Milch international gehandelt werde. Ohne das Exportventil müssten noch mehr Betriebe aufgeben, warnt Theuvsen. Die Betriebe in den benachteiligten Regionen müssten auf angepasste Wirtschaftsstandbeine wie extensive Rindfleischerzeugung oder Mutterkuhhaltung ausweichen. Dort habe eine moderne Milchmarktpolitik nichts verloren. Den Betrieben stünde die zweite Säule der regionalen Entwicklung zur Verfügung.

Jeder neue Eingriff in den Markt führe zu neuen Lagerbeständen und höheren Kosten. Zudem seien Regelungen kostenintensiv. Das Freihandelsabkommen mit den USA schaffe neue Märkte für die Milchbetriebe. Werde der regionale Schutz für Produkte eingehalten, bieten sich auch Möglichkeiten für regionale Produkte.

Mit Qualität in den Wettbewerb

Für Alfred Enderle, Präsident des Bezirksverbands Schwaben im Bayerischen Bauernverband, ist der Allgäuer Emmentaler mit geschützter Ursprungsbezeichnung (g.U.) für rund 40 Molkereien ein sicherer Absatz. Niemand seiner Bauern würde sich die Produktionsmengen vorschreiben lassen. Enderle wünscht sich von der EU eine breit angelegte Informationskampagne für die Teilnahme an der Warenterminbörse. Das wirkliche Problem in Deutschland bestünde in der Marktkonzentration von 85 Prozent in den Händen von nur fünf Lebensmittelhändlern: „Damit sind marktübliche Preisbildungen großflächig ausgehebelt.“ Teile Schwabens sind benachteiligtes Gebiet. Die Politik könne da nur begrenzt helfen. Im Allgäu hätten sich die Landwirte daran gewöhnt, ein zweites Standbein aufzubauen.

Oder doch Marktverantwortungsprogramm?

Die Zahl der Gegenreden lässt an leichten Lösungen zweifeln. Die Wirklichkeit ist schneller und komplexer als manche Hoffnung. Das European Milk Board versucht die Balance zwischen Marktliberalisierung und Risikoabsicherung mit dem Marktverantwortungsprogramm zu schließen. Sieta van Keimpema hat das dem Parlament noch einmal detailliert vorgestellt. Die Milchbauern bräuchten einen Mechanismus, der während einer Krisenzeit den Bauern hilft. Sie sagt aber auch: Es fehlt noch immer eine klare Definition, was eine Krise auf dem Milchmarkt ist.

Was am Ende umgesetzt wird bleibt offen. Genauso was Ende 2015 diskutiert wird, nachdem die ersten Auswirkungen des Quotenendes vom nationalen und internationalen Markt auf den Höfen eingetroffen sind.

Lesestoff:

[1] Ungewisse Zukunft des Milchmarktes

[2] US-Dairy Margin Protection Program

Roland Krieg; Foto Europaparlament: roRo

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