Alte Branche mit neuem Schwung

Landwirtschaft

Landesbauerntag MV: Euphorie nicht grenzenlos

Landwirtschaftliche Themen sind bei der Stadtbevölkerung en vogue. Nach dem ersten Schrecken über steigende Preise sickert mittlerweile die Erkenntnis durch, dass es nicht immer so hätte weiter gehen können: Die Preise mussten rauf.

Rohstoffe verzweifelt gesucht
Auf dem Landesbauerntag Mecklenburg-Vorpommern während der MeLa in Mühlengeez beschrieb Christian Rolfing von der Landjugend Mecklenburg-Vorpommern (MV) den derzeitigen Wandel am besten: Im letzten Jahr waren die Läger auf dem Land noch voll, aber jetzt werde überall gefragt: „Haste nicht noch was?“. Die aktuellen Preise seien ein Traum: Zwischen 30 und 40 Cent für einen Liter Milch, 350 Euro für eine Tonne Raps, 250 für Getreide, für das im letzten Jahr nur 90 Euro gezahlt wurde. Den Bauern merkt man den neuen Spaß am alten Beruf an. Innerhalb weniger Wochen wandelten sich die Forderungen mancher Bauernvertreter von der 40-Cent-Marke für einen Liter Milch zur Forderung, diese jetzt nie wieder zu unterschreiten. In Schleswig-Holstein sollen regional bereits 47 Cent angepeilt sein.
Schwung in das erstarrte Marktgefüge haben viele Faktoren gebracht, von denen die Biomasse am meisten diskutiert wird. Bauernpräsident Rainer Tietböhl weist aber darauf hin, dass die Lebensmittelpreise nicht nur wegen der Nachfrage nach Bioenergie steigen, sondern das der Weltmarkt seinen Anteil daran hat. Der Bedarf an Lebensmittel steigt, die Nachfrage nach erneuerbaren Energien und vollkommen neue Anforderungen kommen auf die Bauern zu. Die chemische Industrie würde am liebsten gleich neben das Feld eine Bioraffinerie aufbauen, die Ernte aufnehmen und Rohstoffe wie Fette oder Kohlehydrate für ihre Produkte gewinnen, so Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes Dr. Helmut Born über Erkenntnisse eines jüngst stattgefundenen Bioraffineriekongresses des Umweltministeriums.
Ulrich Niklaus, Vorstandsmitglied des schweizerischen Bauernverbandes führt weitere Steigerungseffekte für Lebensmittel an. Weltweit nehmen Erosion und Wetterkapriolen zu, so dass die landwirtschaftlich nutzbare Fläche bei steigender Bevölkerung immer knapper werde.
Zudem müssten Verbraucher lernen, die Biomassediskussion auch richtig einzuordnen. Von den in Deutschland erzeugten rund vier Prozent erneuerbarer Energie, stammen 60 Prozent aus Biomasse und davon die meiste aus vorhandenem Holz des Waldes. Eine richtige Flächenkonkurrenz mit Preiseffekten hat also noch gar nicht statt gefunden.

Wermutstropfen in der Branche
Derzeit ist so vieles in Bewegung, dass nahezu jedes Argument zwangsweise zu kurz greift. „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel“, grenzt Dr. Born ein. Was im Ackerbau derzeit glänzt, lässt sich nicht auf die Tierproduktion übertragen. Aktuell befinden sich die Schweinemäster in schwierigem Fahrwasser, weil die Erzeugerpreise bei gestiegenen Futterkosten so weit gesunken sind, dass die Branche fürchtet, es geben viele Betriebe auf. Im nächsten Jahr könnte dann eine Knappheit bei Schweinefleisch bereits für hohe Preise in der Grillsaison sorgen. Dabei ist die „Flucht“ in die Veredlung durchaus ein lohnendes Investment. Tietböhl weist darauf hin, dass je Liter Biodiesel auch 1,4 kg Eiweißfutter anfallen, dass genutzt werden muss.
MV ist ein agrardominiertes Bundesland und Minister Dr. Till Backhaus fördert seit Jahren die verarbeitende Industrie im Land. Aktuell gebe es 212 Förderanträge für die Bereiche Geflügel, Milch und Schweine, die wohl alle bewilligt werden. Neun Prozent der Ernährungswirtschaft gehen in andere Bundesländer. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 15 Prozent, so dass noch eine Menge Luft nach oben sei.
Allein, der Markt regelt nicht alles alleine. Zwischen 40 und 60 Prozent der landwirtschaftlichen Einkommen resultieren immer noch aus Direktzahlungen. Die Subventionen sind Verbrauchern angesichts steigender Erzeugerpreise schwer vermittelbar. Deswegen wird in der EU bereits über die erste Säule, den Direktzahlungen, diskutiert. Für die berufsständische Vertretung sind die Summen der ersten Säule ein Tabu und dienen der unternehmerischen Planungssicherheit für die nächste Förderperiode bis 2013. Die Politik sieht das anders. Die positiven Einschätzungen der Zukunftsaussichten werden nach Dr. Backhaus nicht ohne Auswirkungen auf die Direktzahlungen bleiben.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso forderte vergangenen Mittwoch: „Wir müssen die gemeinsame Agrarpolitik an die neuen Bedingungen und an andere Prioritäten anpassen.“ Der französische Präsident Sarkozy hatte deutlich gefordert, dass die Bauern nur von ihrer Ernte leben sollten und ohne Subventionen auskommen müssten. 1988 flossen noch gut 61 Prozent der EU-Ausgaben in die Landwirtschaft, 2013 sollen es nur noch 32 Prozent sein. Für die Förderperiode 2007 bis 2013 stehen 864 Milliarden Euro zur Verfügung.
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Insgesamt ist die Branche noch skeptisch, ob die Hausse anhält. Born mahnte, die „bäuerlichen Beine auf dem Boden zu lassen“. Man wisse nicht, was im nächsten Jahr passiert.

Gegenläufige Signale
Derzeit sind 90 Mitarbeiter des Bioethanolwerks in Schwedt mit Reinigungsaufgaben beschäftigt. Das Werk hat seine Produktion eingestellt. Zum einen resultieren die Schwierigkeiten aus dem Getreidepreis, der derzeit dreimal so hoch ist, wie zu Bauzeiten der Anlage. Aus dem Getreide wird Ethanol hergestellt. Zum anderen habe die Bundesregierung das Versprechen gebrochen, Bio-Kraftstoffe steuerfrei zu halten. Das Bundesverfassungsgericht hatte einer entsprechenden Klage von Kraftstoffherstellern nicht entsprochen.
Der Biomasseboom bringt offensichtlich nicht nur Gewinner hervor. In MV gibt es acht mittelständische Biodieselanlagen und in Sternberg wurde kräftig investiert. Herd-und-Hof.de wollte von Dr. Backhaus wissen, wie sicher die Zukunft dieser Anlagen sind, denn 20 Prozent der Fläche könnten problemlos für erneuerbare Energien verwendet werden – sagte er auf dem Bauerntag.
Er erinnerte darauf hin noch einmal an die Begründung, die Besteuerung eingeführt zu haben. Während die Herstellung des Biodiesel lediglich mit 56 Cent zu Buche schlägt, wurde der Treibstoff an der Tankstelle für rund 90 Cent verkauft. Die EU hatte daraufhin gemahnt, die zu hohe Wertschöpfung zu minimieren und die Steuerfreiheit als Doppelsubvention abzuschaffen.
Auf der im Herbst stattfindenden Agrarministerkonferenz werde das Thema auf die Agenda gesetzt. „Beimischen und Aussetzen“ heiße die Devise. Marktentlastung soll die Erhöhung der Beimischung zu konventionellen Treibstoffen bringen und die Aussetzung der nächsten Steuererhöhung. Dr. Born fügte noch hinzu, dass nicht jede Marktentscheidung der Bauern klug für die Branche sei.
Vielleicht hat er dabei auch an die vor einigen Monaten durch die Presse gehende „Tortilla-Krise“ in Mexiko gedacht. Die hat nicht nur die Biomassekritiker in Deutschland auf den Plan gerufen, sondern zieht mittlerweile auch Konsequenzen in Mexiko nach sich. In Gesprächen mit dem mexikanischen Bauernverband sei herausgekommen, dass dieser aus der Krise gelernt hat und wieder Mais für die eigene Nahrungsproduktion anbaut, weil der Wert für heimischen Mais stark angestiegen sei. So gesehen kann die Biomasse auch als „Ankurbelungsprogramm“ für Bauern in den Entwicklungsländern gesehen werden.

Bioumstellung hat es schwer
Ein anderer Nachfragemarkt hat es derzeit schwer. Wer ökologisch lebt und bereits anbaut, der fühlt sich bei den großen Nachfragesteigerungen im Markt wohl. Wer allerdings neu einsteigen will, der muss die drei Jahre Übergangszeit überstehen. Dem bieten sich mit erneuerbaren Energien jedoch bereits im nächsten Jahr erste Gewinne an.
Der Deutsche Bauernverband müsse mehr für die Umstellungsphase tun, forderte Born, denn gerade junge Landwirte stünden vor der Entscheidung „mehr in den Klimaschutz oder in den Ökolandbau zu investieren“. Wenn die Discounter für ihren Absatz in der nächsten Woche 60 Tonnen Biomöhren forderten, könne das die Branche eben nicht leisten.
Während die deutschen Ökoverbände ihre strengen Verbandsregeln haben, könnten am staatlichen Biosiegel auch teilumgestellte Betriebe partizipieren. Würde das europaweit geändert, dann stellten auch mehr Betriebe auf die ökologische Produktion um, prognostiziert Backhaus. MV hat die Prämien- und Ausgleichszahlungen für den Ökolandbau für die kommende Förderperiode von 75 auf 105 Millionen Euro erhöht.
Eine einseitige Ausrichtung des Bundeslandes auf den Ökolandbau werde es aber nicht geben. Der Minister will neben der Biobranche auch eine wettbewerbstarke Veredelungsindustrie und eine starke Forschung im Bereich der Gentechnik aufrechterhalten.

Roland Krieg

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