Ambrosia: Allergenes Ackerunkraut

Landwirtschaft

Ambrosia im Ackerbau ernst nehmen

1877 wurde in Baden-Württemberg, zwischen Balingen und Geislingen, Ambrosia artemisiifolia das erste Mal nachgewiesen. Es landete in einer amerikanischen Getreidelieferung auf dem alten Kontinent und breitete sich in den Folgedekaden an Umschlagsplätzen und Getreidelagern aus. Mehr als 100 Jahre war die Beifußblättrige Ambrosie kaum ein Thema. Erst in den 1990er Jahren nahm die Population der Pflanze, die eine von mehr als 40 Arten der Gattung Ambrosie ist, stark zu. Mit der Ausbreitung der Pflanze kamen auch in Europa die Zusammenhänge mit allergenen Reaktionen der Menschen auf. Trotz einiger Zweifel, scheint die Beziehung zwischen einer Rhinokonjuktivitis, also einer Erkrankung mit Juckreiz, Fliesnase und Augenrötung, geklärt.

Pollenbelastung und Allergieraten

Den Erkrankungen geht nach Karl-Christian Bergmann vom Allergie-Centrum der Berliner Charité die Bildung von IgE-spezifischen Antikörpern nach Kontakt mit Allergenen aus Ambrosiapollen voraus. Das Hauptallergen heißt Amb a1. Die Pollen haben eine rund zehnfach höhere Allergenmenge als beispielsweise Birkenpollen – vor denen immer gewarnt wird. Ein Hauttest macht die Reaktion sichtbar. Schwierig ist die Herstellung des Zusammenhangs beim Patienten, denn zwischen Erstkontakt mit dem Pollen und Bildung von Antikörpern liegen ein bis drei Jahre. Symptome nach einer Sensibilisierung tauchen noch einmal erst drei bis fünf Jahre später auf.
Zudem ist nicht bekannt wie hoch der Schwellenwert zur Auslösung akuter Nasenbeschwerden ist. Für Deutschland nehmen die Ärzte rund 10 Pollen je Kubikmeter an.
Seit etwa zehn Jahren nimmt die Zahl der Allergien zu und über die Ambrosienart wird mittlerweile regelmäßig berichtet.
Nicht immer in ausreichendem Maße, meint Gerhard Schröder vom Landesamt für ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung in Zossen bei Berlin. Die Ambrosia steht in der öffentlichen Rangliste allergener Pflanzen weit hinter Baumpollen, wie Birke, sowie Gräser und Roggen. Daher gilt das Traubenkraut, wie es auch genannt wird, nicht als gesundheitsgefährdende Art. Als Folge gibt es keine Rechtsverordnung, gegen die Pflanze vorzugehen, und alle noch im Folgenden beschriebenen Tätigkeiten basieren auf freiwilliger Basis. Eine dreitätige Tagung des Julius Kühn-Instituts in Berlin fragte auch aus diesem Grund: „Ambrosia in Deutschland – lässt sich die Invasion aufhalten?“

Die Besonderheiten der Ambrosia

In Kanada und den USA ist Ambrosia artemisiifolia weit verbreitet. In Europa gibt es Kerngebiete in Südfrankreich und Südosteuropa. Die Population in Deutschland wird noch als gering eingestuft. Die Pflanze weist einige Besonderheiten auf. Sie bevorzugt feuchte Standorte und Wärme, zeigt sich aber anpassungsfähig, denn in der Niederlausitz, südlich von Cottbus hat sie sich endemisch eingerichtet. Nach Schröder kam die Pflanze Mitte der 1970er Jahre mit belastetem Sonnenblumensaatgut aus Ungarn in die DDR.
Die Beifußblättrige Ambrosie ist eine Pionierpflanze auf marginalen Böden. Die Einjährige Pflanze blüht zwischen Juli und Oktober und produziert ab Mitte August Samen. Der bleibt in der Regel dicht an der Pflanze liegen, so dass ein neues Gebiet von einem Nestbestand aus erobert wird. Die Blüten werden windbestäubt und bilden durch Selbstbefruchtung keimfähige Samen. Eine einzelne Pflanze kann dann eine neue Population bilden. Sie produziert im Durchschnitt 2.500 Samen im Jahr, die auch schwimmfähig sind .
Wird sie mit mehr als zehn Zentimeter zu hoch geschnitten, dann bildet der Stengel Seitentriebe und die Pflanze regt eine Notblüte an. Ein tiefer Schnitt vor der Samenreife und kontinuierliche Bearbeitung über mehrere Jahre kann das Samenpotenzial der Pflanze erschöpfen und die Ausbreitung verhindern. Das entspricht aber nicht der Mahdpraxis der Straßenmeistereien.
Berichte aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Bayern und Nordrhein-Westfalen zeigen, dass die Ambrosia sich unterschiedlich verbreitet.
In Brandenburg ist sie in der Niederlausitz flächendeckend vorhanden und erobert neue Regionen entlang der Fernstraßen. Der Samen geht vermutlich als Transportverlust bei der Getreideernte verloren und wird von Mähwerken und Maschinen verschleppt, vermutet Stefan Nawrath von der Projektgruppe Biodiversität und Landschaftsökologie in Freiburg.
In Nordrhein-Westfalen gibt es acht Schwerpunktregionen. Die meisten befinden sich im Sennetal, nördlich des Ruhrgebietes und entlang des Rheins. Eine Verfrachtung entlang der Fernstraßen kann Carla Michels vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW nicht bestätigen. Diesen typischen Verbreitungsweg finden die Experten vor allem in Bayern und Baden-Württemberg.

Aktionsprogramme

Fast alle Länder haben seit mehreren Jahren Aktionsprogramme. Neben der Öffentlichkeitsarbeit ist die Meldung von Beständen ein wesentlicher Faktor für die Bekämpfung. Die Erfahrungen sind aber sehr unterschiedlich. Was in Berlin mit so genannten Ambrosia-Scouts und einer Ambrosia-App für die Allgemeinheit gut funktioniert, zeigt in anderen Regionen Schwachstellen. So melden nach Nawrath Gartenbesitzer oftmals einzelne Pflanzen, während eine Ambrosia-Populationen auf einem Brachgelände neben einer Kirche und einer Arztpraxis in Fürth mit mehr als 100.000 Pflanzen lange „unentdeckt“ blieb.
Bayern und Brandenburg sind auf Suchstrategien umgeschwenkt. Im Stile einer Rasterfahndung fahren die Ambrosia-Wissenschaftler mit Auto und Fahrrad mögliche Besiedlungsgebiete gezielt an.
Hier zeigen sich die Folgen, dass die Ambrosia im Allergengeschehen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Sowohl Stefan Nawrath als auch Gerhard Schröder monierten die fehlende Rechtsgrundlage für Monitoring, Meldezwang und Bekämpfung. Während die Meldestelle in Baden-Württemberg von Harald Gebhardt mit einer Mitarbeiterin in der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz alleine geführt wird, hat Bayern in jeder Kreisverwaltung einen Ambrosiabeauftragten benannt. Der meldet über die Landesstelle beim Landesamt für Landwirtschaft zur Bundesstelle beim Julius Kühn-Institut. In Bayern gab es 2007 einen Landtagsbeschluss, führte Jutta Brix vom Bayerischen Umweltministerium aus. Jährlich werden Berichte angefertigt. Weil Meldungen aber nicht geregelt und ungenau sind, gibt es keine wirklich genaue Deutschlandkarte mit Ambrosia-Funden. Und es gibt auch keine Weisungsbefugnis an die Kommunen, Ambrosia-Bestände gezielt zu bekämpfen.
Mit Ausnahme von Brandenburg zeigen die Fundstellenstatistiken vergleichbare Größenordnungen. Über 50 Prozent der Befunde weisen weniger als zehn Pflanzen auf. Noch einmal 23 Prozent der Stellen sind mit zehn bis 100 Pflanzen bewachsen. Die richtig großen Bestände mit mehreren 100.000 Pflanzen sind nur an wenigen Plätzen vorhanden.

Ambrosia in der Landwirtschaft

Ambrosiasamen fand sich lange Zeit in Vogelfuttermischungen als Verunreinigung von Sonnenblumensaat. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Saatgut und Umschlagplätze Ausgangspunkte für die Invasion der Ambrosia gewesen sind. Andreas Lemke von der TU Berlin hat fünf Jahre lang rund 500 Kilometer Straße in der Niederlausitz kartiert. Hohes Verkehrsaufkommen verdichtet Einzelpflanzen bis hin zu kilometerlangem Begleitgrün auf dem Bankett. Die Ambrosia wandert auch in die Ackerrandstreifen ein und letztlich auf das Feld. Seit 2010 gab es in Brandenburg 150 Mal die Meldung: „Befall der Ackerfläche“. Sonst ist das Ackerland nur zu sieben Prozent an der Verbreitung der Ambrosiasamen beteiligt.
Das ist in Ungarn ganz anders. Dort sind 80 Prozent der Ackerfläche mit Ambrosia verunkrautet. Dass es in der Niederlausitz noch nicht ganz so weit gekommen ist, liegt an den Bauern. Ambrosia kann sich in Mais, Sonnenblumen, Ackerbohnen, Lupinen und Futtererbsen gut ausbreiten. Die Landwirte bauen diese Feldfrüchte kaum noch an. Sie sind auf Wintergetreide und Winterraps ausgewichen, der ein Auskeimen der Ambrosia im nächsten Jahr gut unterbindet. Auch fünf Jahre Grünland können die Ausbreitung wirksam stoppen.
Dennoch ist das keine Lösung, weil im Rahmen der Eiweißstrategie künftig mehr Futterleguminosen angebaut werden, zwischen denen auch die Traubenkirsche gut wächst. Ewa Meinlschmidt vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Dresden-Pillnitz berichtete über Parzellenversuche mit verschiedenen Herbiziden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Vor allem im Mais ist eine ausreichende Herbizidpalette vorhanden, Ambrosia effektiv bis zu 95 Prozent zu bekämpfen. Die Ergebnisse fließen in die Beratung ein. Es wurden auch Versuche mit Totalherbiziden wie Glyphosat in der Stoppelbearbeitung gemacht. Hier muss zweimal gespritzt werden, weil 60 Prozent der Ambrosia erneut aufläuft. Wenn aber nur wenige Pflanzen vorhanden sind, dann sollen die Bauern der Ambrosia mechanisch zu Leibe rücken.
Gerhard Schröder ist aber skeptisch. Die Landwirte könnten eine andere Fruchtfolge einhalten, was aber kaum eine Rechtsgrundlage hat. Mit einer Ausnahmeregelung könnten einmalig auch Gewässerrandstreifen und Feldraine chemisch behandelt werden. Der Einsatz auf der Stoppel mit Glyphosat ist in der Öffentlichkeit umstritten. Und ein mehrmaliges Mähen koste ebenfalls Geld. Für Schröder erhöht die Ambrosia auf dem Feld die Betriebskosten, ohne dass es dafür eine Entschädigung gibt.
Noch schwieriger ist es im Ökolandbau, der gar keine Bekämpfungsmittel zur Verfügung hat. Die Ökobauern versuchen mit höheren Saatdichten die Pflanze zu unterdrücken. Schlägt das fehl, müssen sie auf den verseuchten Flächen mehrjährigen Futteranbau betreiben.
Auch die Straßenmeistereien könnten eine Ausnahme beantragen, die Straßenbankette chemisch zu behandeln. Schröder will die Flächenbesitzer generell in die Pflicht nehmen, die Ausbreitung der Ambrosia zu stoppen. Vorarbeit sei die „Anerkennung“ das Traubenkraut als gesundheitsgefährdende Pflanze.

Die neue Gefahr

In Berlin sind die Ambrosia-Scouts unterwegs und die Bevölkerung kann über eine App Fundstellen melden. Nach vier Jahren Aktionsprogramm gegen Ambrosia hat Thomas Dümmel vom Meteorologischen Institut der FU Berlin aber alles andere als eine gute Nachricht.
In vier Jahren wurden 2,8 Millionen Pflanzen gemeldet, von denen 1,5 Millionen ausgerottet wurden. Aber: Ein näherer Blick auf die Datenbasis zeigt eine beunruhigende Entwicklung. 86 Prozent der Meldungen stammen aus Westberlin. 80 Prozent der Pflanzen sind Ambrosia artemisiifolia. 14 Prozent der Funde sind in Ostberlin. Dort ist die Art Ambrosia psilostachya zu 97 Prozent bestandsbildend. Diese Pflanze unterscheidet sich durch ihre Mehrjährigkeit. Sie wächst mit unterirdischen Trieben auch im nächsten Jahr weiter und konnte bislang noch an keinem Standort ausgerottet werden. Dümmel bezeichnet diese Art als „Zeitbombe“.
Ambrosia psilostachya nutzt den bislang unterschlagenen Weg der Ausbreitung: Transporter mit Erde und Kies. Deshalb wächst die Pflanze mittlerweile auch an Baustellen und am Hauptbahnhof in Westberlin. Überall dort, wo Erde wieder aufgefüllt wurde. Zunächst einmal gilt es die Quelle der Erde zu finden, so Dümmel. Als zweites schlägt er vor, mit den Bau- und Transportfirmen zusammenzuarbeiten. Sie sollen nur noch ambrosiafreie Erde verwenden. Das ist weniger dramatisch als es sich anhört. Die übliche Erde kann ab 50 Zentimeter Tiefe verwendet werden, weil der Samen dort nicht mehr bis an die Oberfläche keimen kann. Nur für die Oberflächenfüllung müsste die Erde die neue Norm aufweisen.

Lesestoff:

Ambrosia-Startseite des Julius Kühn-Instituts: http://pflanzengesundheit.jki.bund.de/index.php?menuid=60&reporeid=73

EU-Forschungsprojekt www.halt-ambrosia.de

Aktionsprogramm Bayern mit Jahresberichte: www.stmug.bayern.de -> Gesundheit -> Aufklärung und Vorbeugung -> Umwelt und Gesundheit -> Ambrosia

Roland Krieg

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