AMK: Starker Appell mit Europabremse

Landwirtschaft

+++ 15.04.16 // 16:55 Agrarministerkonferenz zur Agrarkrise

Das Top-Thema der Agrarministerkonferenz (AMK) in Mecklenburg-Vorpommern war selbstverständlich die Agrar- und hauptsächlich die Milchkrise. „Wir befinden uns in einer Bruchlandung“, fasste Gastgeber Dr. Till Backhaus zusammen. Den Ministern auf dem Podium gelang es nicht mehr von einem Strukturwandel zu sprechen. Sie nannten bereits den Begriff „Strukturbruch.“ Bei Preisen in Richtung Spotmarkt mit unter 20 Cent je Kilo wird bei zu Ende gehender Liquidität vieler Betriebe langsam die wirtschaftliche Luft knapp. Alleine durch die Aufgabe weiterer Milchviehbetriebe gehen dem ländlichen Raum vier bis fünf Milliarden Euro Wertschöpfung verloren. Milchpreise unter 20 Cent bei Oktoberfestbierpreisen nahe zehn Euro findet Johannes Remmel aus Nordrhein-Westfalen beschämend. Remmel betont aber auch: „Wir haben es mit einer Störung der Marktordnung zu tun. Wir leben nicht in einem freien Markt.“

Daher gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Situation zu lindern. Doch welche? Die AMK hat einen starken Appell gefasst, der in Richtung Landwirte und Molkereien geht. Aber der Appell hat eine eingebaute europäische Bremse, wie die Dr. Hermann Onko Aeikens für die Unions-Länder skeptisch anmerkte.

Die April-AMK appelliert „zum letzten Mal“ an freiwillige Mengenvereinbarungen zwischen Milchviehaltern und Molkerei. Sofern mit freiwilligen Maßnahmen zur Mengensteuerung bis zur nächsten Agrarministerkonferenz im Herbst keine spürbaren Fortschritte erreicht werden, sollen Sanktionen greifen. Ein Begriff, den Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt lieber erst noch ausdefinieren will.

Zudem fehlen dem dringenden Appell die Brüsseler Unterstützung und daher die Zähne. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt wird mit dem Appell beauftragt, in Brüssel zunächst einmal die Möglichkeiten auszuloten, die realisierbar sind. Kommt er mit leeren Händen zurück, verhallt der Appell ins Leere und Schmidt hat den schwarzen Peter zugesteckt bekommen.

Schon heute ist absehbar, dass frühestens im Juni-EU-Agrarrat neue Gelder als die bisherigen markiert werden können. Bis dahin könnte die EU ihren Bedarf über alle Ressorts ausgelotet haben. Frühestens dann wird klar, wie viel Mittel aus welchen Haushalten für welchen zeitlichen Rahmen und mit welchen Aufgaben im Agrarbereich zur Verfügung stehen. Schmidt betont gegenüber Herd-und-Hof.de, dass die Mittel für alle Agrarbereiche wie Schweinemarkt und Getreidemarkt verausgabt werden müssten. Den Griff auf die Krisenreserve schließt Schmidt aus. Diese Gelder müssten über eine Minderausgabe der ersten Säule im Jahr 2017 refinanziert werden. Ein paar Euro ließen sich vielleicht finden: Schmidt erinnert daran, dass von den 420 Millionen Euro Hilfspaket noch immer nicht alles abgerufen wurde. 160 Millionen Euro sollen noch in Brüssel liegen, die erneut verteilt werden könnten. Aber: „Ich nehme den Auftrag an“, sagte Schmidt tapfer.

Im besten Falle wird Artikel 221 der Gemeinsamen Marktordnung aktiviert. Über den könnte eine entschädigungslose Mengenreduzierung umgesetzt werden. Allerdings hat dieses Thema einen Haken: es gibt zahlreiche EU-Länder, die auf weitere Ausdehnung der Milchproduktion, wie beispielsweise Irland, das Heimatland von EU-Agrarkommissar Phil Hogan, setzen. Ohne einheitliche Regelung wird das nichts. Auch die großen deutschen Molkereien werden sich nicht begrenzen lassen, denn, wie beispielsweise der Deutsche Milchkontor auf der Agrarfinanztagung diese Woche in Berlin ausführte, sie verdienen derzeit nur noch mit ins Ausland verkaufte Milch und Molkereiprodukte. Den Molkereien steht auch ein Klagerecht gegen Artikel 221 zu. War es also ein Beschluss mit mutigem Umfang, den es so schon lange nicht mehr in der AMK gegeben hat, oder brauchte es Mut, den Beschluss ob seiner Ausweglosigkeit zu fassen?

Bund und Länder sind eigentlich doch ein Herz und eine Seele. Christian Schmidt (Bundeslandwirtschaftsminister, CSU) und Jörg Vogelsänger (Agrarminister in Brandenburg, SPD)

Nur zu deutschen Mitteln wollte sich Schmidt gegenüber Herd-und-Hof.de nicht äußern. Das hatte seine Staatssekretärin diese Woche bereits im Bundesagrarausschuss getan: Sie habe noch keine Mittel aus Schäubles Ressort in Richtung Landwirtschaftsministerium fließen sehen.

Der AMK-Milchappell ist am Ende so vage, wie das Finden einer Lösung zur Mengenregulierung, ohne das Wort Milchquote in den Mund zu nehmen.

Ähnlich geht es auch der Forderung, die Lieferverträge zwischen Molkereien und Landwirte zu ändern. Vor allem die Genossenschaften werden an dem Prinzip Andienpflicht und Abnahmegarantien festhalten.

Dr. Aeikens beklagte, dass Politik und Branche in den letzten Jahren verpasst haben, sich auf solche Marktsituationen einzustellen. Jetzt kann nur noch an einem Flickenteppich gewebt werden. Sachsen-Anhalt und Sachsen lehnen in einer Protokollerklärung jede Verquickung von Liquiditätshilfen mit einer Mengenreduzierung ab.

Weiterentwicklung GAP

Dazu haben die Minister keinen Beschluss gefasst. Es sind nur noch vier Jahre, dann müssen erste und zweite Säule neu festgezurrt sein. Derzeit soll es mehrheitlich beim Säulenmodell bleiben. Zudem wird eine Erhöhung der Umschichtung aus der ersten in die zweite Säule vor 2020 auf den möglichen vollen EU-Satz von 15 Prozent nicht ins Auge gefasst. Johannes Remmel allerdings glaubt nicht daran. Alle anderen Politiken der EU schauen auf den großen Agrarhaushalt, der Begehrlichkeiten, beispielsweise in Richtung Flüchtlingshilfe, weckt. Auch in Deutschland wird genau geschaut, für wen die Agrargelder ausgegeben werden. Demnach wird trotz laufenden Strukturbruchs öffentliches Geld nur noch für öffentliche Aufgaben geduldet werden können. Ein Weiterdenken sei nicht verboten, so Remmel. Jörg Vogelsänger aus Brandenburg hält allerdings an der ersten Säule als Liquiditätshilfe fest.

Qualitätsoffensive

Die niedrigen Preise im Lebensmitteleinzelhandel führen zu einer schleichenden Entwertung der Nahrung. Die AMK hat dagegen eine Qualitäts- und Branchenoffensive beschlossen. Bundesweite Branchenorganisationen sollen durch den Bund gegründet werden. Deutschland soll ein einheitliches Tierwohl-Label erhalten und der Ökolandbau soll im Forschungsbereich deutlich mehr Unterstützung finden. Im nächsten Jahr soll ein Sonderrahmenprogramm aufgelegt werden.

Versicherungen

Passend zur Marktorientierung soll die Versicherungswirtschaft neue Indexversicherungen auflegen. So könnten sich Landwirte künftig gegen „Dürre“ versichern lassen.

Tierhaltungsverfahren

Verbraucher können sich bald in einem Online-Informationsportal über die verschiedenen Haltungsverfahren informieren. Informationen über Tiergerechtigkeit, Umweltwirkung und Wirtschaftlichkeit sollen im Vergleich untereinander darin abgebildet werden. Sachlich wird das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) darin eingebunden.

Pflanzenschutz

Pflanzenschutzmittel können über große Entfernungen hinweg verdriftet werden [1]. Die AMK will dazu ein Monitoring für bestimmte Wirkstoffe mit hoher Flüchtigkeit einrichten. Möglicherweise wird diese Monitoring Teil des Zulassungsverfahrens wird.

Die Nanotechnologie macht auch bei den Pflanzenschutzmitteln nicht halt. Die Länder fordern das Landwirtschaftsministerium auf, das Thema „Nanopartikel in Pflanzenschutzmittel“ zusammen mit den Herstellern zu verifizieren. Das Thema soll in den „Nanodialog der Bundesregierung“ aufgenommen werden.

Zwischen Ökobetrieben und konventionellem Ackerbau wird der „Integrierte Pflanzenschutz“ oft vergessen. Dabei wird erst nach Festlegung und Feststellung einer Befallsschwelle jeglicher Art von Pflanzenschädlingen gespritzt. Das Demonstrationsvorhaben „Demonstrationsbetriebe Integrierter Pflanzenschutz“ soll nicht nur weiter geführt, sondern auch der Unterglasanbau bei Obst und Gemüse mit einbezogen werden.

Zum Thema Glyphosat wurde kein Beschluss gefasst, aber der Kompromiss des Europaparlamentes von den G-Ländern kritisiert. Das BMEL wurde zur Einleitung eines Biomonitorings aufgefordert und soll Alternativen zur Anwendung formulieren [2].

Gentechnik

Das Opt-out bei der Gentechnik soll nun doch bundeseinheitlich umgesetzt werden. Dieser Kompromiss geht in der Diskussion über die Marktsituation unter. Die Protokollerklärung der mehrheitlich grünen und roten Agrarländer überträgt die Detailklärung, die bislang in den Bundesländern stattfinden sollte, auf den Bund.

Antibiotika

Im Rahmen der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes soll die Rabattierung von großen Abnahmemengen verboten werden. Wirkstoffe, die ausschließlich in der Humanmedizin eingesetzt werden, sollen eingeschränkt und möglichst in der Nutztierhaltung verboten werden.

Biomasse

In der laufenden Novellierung des EEG droht die Biomasse aus dem Bündel der erneuerbaren Energien zu fallen. Der Wachstumspfad von 100 MW pro Jahr wird das Ausscheiden von Altanlagen nach Ende der Einspeisevergütung nicht ausgleichen können. Dabei ist, so Brandenburgs Vogelsänger, „die Biomasse wichtig für die Landwirtschaft und gut für die Energiewende“. Schließlich ist die Biomasse die einzige derzeit speicherbare und grundlastfähige neue Energie. Für den ab 2017 beginnenden Ausschreibungsprozess sollen Größenklassen, Einsatzstoffe und Altanlagen berücksichtigt werden. Bei Güllekleinanlagen von weniger als 150 MW soll die Fördergarantie im Rahmen einer Bagatellreglung fortgeführt werden. Der Flexibilitätszuschlag soll verankert werden, damit die Biogasanlagen ihren dezentralen Platz in der Energiewende behalten können.

Streit beim Export

Über den Agrarexport scheiden sich im Agrarbereich noch immer die Geister. Export- und Zertifizierungsfragen sollen künftig bei den Agrarexportstarken Ländern gebündelt werden. In einer Protokollerklärung haben Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen eine generelle Steigerung von Agrarexporten abgelehnt. Das fördere die Überschussproduktion und störe Kleinbauernmärkte in Übersee.

Lesestoff:

[1] Ferntransport von Pflanzenschutzmitteln

[2] Glyphosat: Alles halb so wild

Roland Krieg; Fotos: roRo

Zurück