Antibiotika: Einig bis auf Details
Landwirtschaft
Europaparlament: Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes
Die Zahl der Wortmeldungen im Europaparlament ist ein Zeichen für die Wichtigkeit eines Berichtes. Am Montag haben sich nach 22:00 Uhr noch sieben Abgeordnete zum Bericht der dänischen Konservativen Anna Rosbach gemeldet, um vor der Abstimmung heute auf Gemeinsamkeiten und Unstimmigkeiten aufmerksam zu machen.
Hinter dem Titel „Das Problem der Mikroben – die steigende Gefahr der Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe“ verbirgt sich eine komplexe Diskussion.
Weg in die Krise
Sowohl in der Tier- als in der Humanmedizin hat der übermäßige Einsatz von Antibiotika Bakterien resistent gemacht. In der EU, Island und Norwegen infizieren resistente Bakterien jährlich rund 400.000 Menschen, 25.000 Menschen sterben dabei. Produktivitätseinbußen und zusätzliche Gesundheitskosten belaufen sich auf 1,5 Milliarden Euro, so der Bericht des Europäischen Parlamentes. Erschwert wird die Situation, weil seit 1970 nur drei neue Wirkstoffe in der Medizin entwickelt wurden und den Ärzten die wirksamen Mittel knapp werden.
Niemand zweifelt die Daten an und jeder betont die Ernsthaftigkeit der Situation sowie die Notwendigkeit für neue Maßnahmen.
Verschärfung
Das Parlament kritisiert den Kommissionbericht aus dem Jahr 2011, dass zu viele Maßnahmen des Fünf-Jahres-Programms schon vor zehn Jahren nicht gefruchtet haben und legt schärfere Maßstäbe an. Die Kontrollen auf den landwirtschaftlichen Betrieben sollen strenger, die Daten des Medikamenteneinsatzes elektronisch erfasst werden. Die Überarbeitung des Gemeinschaftskodex für Tierarzneimittel 2001/82/EG soll den Rechtsrahmen für Medizinalfutter und Tierarzneimittel schärfer fassen. Krankenhäusern sollen einen eigenen Epidemiologen erhalten und die Neuentwicklung von Medikamenten soll mit privaten Partnern vorangetrieben werden.
Ein Überwachungsnetz für die Resistenzbildung soll das epidemiologische Geschehen aufzeichnen ohne den Landwirten neue finanzielle Bürden aufzuladen.
Unentschieden
Das Papier für eine Strategie gegen die Resistenzbildung liege in einem umfassenden Ansatz endlich vor, so Rosbach. Dennoch gibt es zwei unentschiedene Punkte. Nicht alle wollen Verschreibung und Verkauf der Antibiotika trennen. Das aber würde den Anreiz verringern, Medikamente wegen einer Gewinnerzielung zu verkaufen. Gegenstimmen halten auch die routinemäßige Untersuchung von Ausbrüchen in Krankenhäusern nicht für gesetzeskonform. Offen bleibt auch das Abstimmungsergebnis, ob die erhobenen Daten nur für Experten und Entscheidungsträger, oder für alle sichtbar werden sollen.
Finnland besteht beispielsweise darauf, dass der Verkauf den Tierärzten nicht verboten wird. Die landwirtschaftlichen Betriebe liegen oft zu weit von den Zentren entfernt, wo die Medikamente gekauft werden müssen.
In der Pflicht stehen aber auch die EU-Bürger. Sie haben sich daran gewöhnt, bei Ärzten nach Antibiotika zu fragen und machten sich keine Gedanken über die Zusammenhänge. Mehr Ausbildung und Aufklärung müssen die Strategien begleiten. Nach Anna Rosbach werden Antibiotika fälschlicherweise auch gegen Viren eingesetzt.
Der neue EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg hatte seinen ersten Einsatz im Europaparlament und legte den Fokus auf die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Die EU habe sich in diesem Jahr mit der pharmazeutischen Industrie auf 203 Programme für 147 Millionen Euro geeinigt, um neue Antibiotika als Teil der Effizienzstrategie einzusetzen. Die Möglichkeit, Medikamente nur gegen Verschreibung auszuhändigen sei genauso wichtig wie das Verbot der Selbstmedikamentation.
Roland Krieg