Antibiotika in der Nutztierhaltung

Landwirtschaft

Expertenanhörung zum Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung

In der Europäischen Union tut sich was. Nach der neuen EU-Verordnung 2019/9 über Tierarzneimittel muss im Rahmen der Antibiotikaüberwachung die Nutzung in der Nutztierhaltung ab 2024 von allen EU-Ländern an die Europäische Arzneimittelbehörde gemeldet werden. Das übergeordnete Ziel ist die Verringerung des Antibiotikaeinsatzes, weswegen in Deutschland das Tierarzneimittelgesetz (TAMG) angepasst werden muss. Es sollen alle Nutztierarten zur Überwachung verpflichtend aufgenommen werden und Defizite bei der Festlegung der Therapiehäufigkeit durch abgehende Tiere aus dem Bestand werden mit einer neuen Formel reduziert. Der Bundesrat stimmte dem neuen TAMG-Vorschlag der Bundesregierung zu, lehnte aber die vorgeschlagenen Ahndungsmöglichkeiten ab [1].

Am Montag fand in Berlin im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft eine Anhörung zum Gesetzvorschlag statt. Die Praxis sieht die Vorlage anders als Politik und Humanmedizin.

Multiresistente Keime nehmen zu

Der Einzelsachverständige Prof. Dr. Matthias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena wies noch einmal auf die Bedeutung der sorgsamen Antibiotikanutzung hin. Im Jahr 2019 sind weltweit mehr als 4,95 Millionen Menschen mit und 1,27 Millionen Menschen an Infektionen mit multi-resistenten Keimen verstorben. Der sorglose Umgang mit Antibiotika hat viele der wichtigsten Mittel im Kampf gegen Infektionen unbrauchbar gemacht. Daher sei die im Gesetzentwurf vorgesehene Reduzierung der häufig in der Tiermedizin verwendeten Fluorchinolone und Cephalosporine der 3./4. Generation zu begrüßen. Resistente Bakterienstämme gelangen immer wieder aus der Tierproduktion über die Lebensmittelkette zu den Menschen. Die vorgesehene Überwachung der Antibiotikaeinsätze in der heimischen Nutztierproduktion müsse auf importierte Lebensmittel ausgedehnt werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine kritische Prioritätenliste aufgestellt, die auch Carbapeneme umfasst. Wie wichtig die Verringerung des Antibiotikaeinsatzes ist, zeigt, dass jeder zehnte in ein Krankenhaus eingelieferte Patient mit multi-resistenten Bakterien besiedelt ist, sei die vorgeschlagene Isolation von betroffenen Patienten seit 2012 nicht mehr umzusetzen. Der Mediziner verschweigt aber nicht, dass auch Reisende die resistenten Bakterien zurückbringen. Eine Untersuchung der Universität Jena hat gezeigt, dass Reisende in belastete Gebiete vor der Abfahrt zu sieben Prozent mit den  Bakterien besiedelt waren und bei der Rückkehr zu 31 Prozent. Da die Betroffenen nicht in einem Krankenhaus weilten, haben sie die Keime über Lebensmittel aufgenommen.

Reduktionen seit zehn Jahren

Die verschiedensten Berichte vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die Europäische Behörde zur Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Arzneimittelbehörde weisen nach Dr. Michael Schmaußer vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte den Rückgang der Antibiotikanutzung in der Tierhaltung nach. Eine weitere Reduzierung bringe die Tiergesundheit und damit das Tierwohl in Gefahr. Vor allem im Molkereibereich gibt es seitens der verarbeitenden Industrie umfangreiche Kontrollen, so dass kaum noch weitere Reduzierungen möglich seien. Der Veterinär weist mit dem eklatanten Mangel an Tierärzten für den landwirtschaftlichen Bereich auf einen neuen künftigen Engpass hin. Es müssen aus seiner Sicht Veterinäre einwandern, denen durch Entbürokratisierung die Arbeit auch leichter gestaltet werden muss. Um es gerade im Geflügelbereich den Kleinsthaltern einfacher zu machen, sollten diese eine jährliche Meldepflicht und keine Einzelbehandlungsmeldung durchführen dürfen.

Die Probleme in der Praxis

Dr. Andreas Wilms-Schulze Kump ist Tierarzt in Visbek im Landkreis Vechta und verweist auf die jährlich berichteten Rückgänge des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung. Die 25 Prozent der schlechtesten Betriebe sollen auch künftig gemaßregelt werden, aber angesichts der Minderung stelle sich die Kosten-Nutzen-Frage. Die Betriebe müssten auch bei „One-Shot-Präparaten“ einen Maßnahmeplan für eine Minderung vorlegen, der keinen Sinn mache. Da die EU in ihrer Verordnung eine strikte Bindung der Nutzung an die Zulassungsbedingungen gebe, gäbe es für ein Therapieziel keine Alternativsuche nach anderen Wirkstoffen. Das laufe dem tierärztlichen Sachverstand entgegen. Nach Wilms-Schulze, der überwiegend für Geflügel und Schweine zuständig ist, könne eine veränderte Haltungsform den Krankheitsdruck reduzieren. Wenngleich auch vermeintliche Tierwohlgünstige Haltungsformen, wie freilaufende Legehennen, auch durch engeren Kontakt mit E.coli-Bakterien dem gegenteiligen Effekt unterliegen und krank werden. Aus Sicht des Praktikers ist auch die Übertragung der Meldepflicht auf den Veterinär kritisch zu sehen. Bislang haben die Betriebe den Einsatz gemeldet und könnten, so argwöhnt Wilms-Schulze, bei eventueller Ahndung auf Fehlmeldungen des Veterinärs verweisen.

Die Frage des Tierschutzes

Roger Fechner vom Deutschen Bauernverband (DBV) verwahrte sich gegen pauschale Reduktionsziele, die nicht mit einer Vermeidung von Resistenzen gleich gesetzt werden dürfe. Selbst bei den voranschreitenden Reduktionen müsse das Tierwohl auch im Krankheitsfalle beachtet werden, was die Tierhalter verantwortungsbewusst umsetzten. „So wenig wie möglich und so viel wie nötig“ müsse die Devise lauten. Mit der Neuaufnahme der 40.000 Milchviehbetriebe müssten ganze Infrastrukturen wie Datenbankabläufe neu geschaffen werden. Die zeitnahe Umsetzung ab dem 1. Januar 2023 sei nicht zu schaffen. Bei der Bestimmung der Therapiehäufigkeit nach § 57 könnten die Korrekturfaktoren dazu führen, dass Tierhalter und Veterinäre nicht die beste Therapie einsetzten. Die Ahndung, die Tierhaltung ruhen zu lassen, sei zu weitgehend, besonders wenn die angeordneten Maßnahmen sich als unwirksam erwiesen.

Die Wichtungsfaktoren finden auch bei Dr. Sabine Schüller vom Bundesverband für Tiergesundheit Ablehnung. Die einmalige Behandlung bei einer kombinierten Anwendung würde deutlich übermäßig berücksichtigt. Außerdem sollten zugelassene Wirkstoffkombinationen nicht als getrennte Wirkstoffe erfasst werden. Gerade bei Kombiprodukten für Milchkühe fehlten nach Schüller wissenschaftliche Begründungen und werteten die Zulassungsüberprüfung ab. Die Übertagung der Meldepflicht an die Veterinäre gehe über die europäischen Anforderungen hinaus.

Niedersachsen begrüßt den Entwurf

So richtig funktioniert der One-Health-Ansatz für eine gemeinsame Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt nicht [2]. Die Praxis findet viele Gegenargumente, und neben dem Humanmediziner findet auch die Politik den Entwurf als gelungen. Dr. Heidi Kulper vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Niedersachsen begrüßt die systematische Datenerhebung und die Übertragung der Meldepflicht. Es wird nicht nur um landwirtschaftliche Nutztiere, sondern auch um Haustiere wie Hunde und Katzen gehen. Da ist der Veterinär über die Verwendung informiert. In den Haustierpraxen lägen die Daten auch bereits digital vor. Gerade dort werde „ein relativ hoher Antibiotikaeinsatz kolportiert, insbesondere von sogenannten Reserveantibiotika“. Nach Kulper bleibt der Gesetzentwurf sogar hinter den Erwartungen zurück. Die von Niedersachsen und Sachsen in den Bundesrat eingebrachte adjustierte Formel zur Therapiehäufigkeit werde von der Bundesregierung in der Entgegnung zum Bundesrat nicht mehr berücksichtigt.  

Lesestoff:

[1] TAMG im Bundesrat am 16. September: Leseclub 39/2022

[2] Rückstände der Humanmedizin in der Umwelt: Leseclub 32/2022

Roland Krieg

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