April-Agrarrat in Luxemburg

Landwirtschaft

EU-Agrarrat: Klima, Seuchen, Erzeugung und Vermarktung

Am Donnerstag kamen die europäischen Agrarminister zu ihrem monatlichen Treffen in Luxemburg zusammen und hatten von der Praxis bis zur Ethik der Landwirtschaft einen vollen Reisekoffer. Jari Läppa reist sogar mit einem Holzkoffer an, den der Minister aus dem waldreichen Finnland passend zum ersten Thema stolz in die Runde zeigte.

LULUCF und AFOLU

Das erste Thema zum Klimaschutz betrifft Land- und Forstwirtschaft in besonderem Maße, denn die beiden Sektoren emittieren nicht nur Treibhausgase (THG), sondern können auch als einziger Sektor THG durch Biomasse und im Boden speichern. Dahinter verbirgt sich der Komplex „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft – abgekürzt als LULUCF. Eine ganzjährige Vegetation mit Untersaaten und Zwischenfrüchten sowie dem Aufbau von Humus in Form der Regenerativen Landwirtschaft [1] verringern die Emissionen. Diese Senkenfunktion geht aber mit fortschreitendem Klimawandel verloren.

Dazu gibt es eine LULUCF-Verordnung seit 2018, die aber in Überarbeitung ist. Der Europäische Rat hatte entschieden die beiden Sektoren in die Klimagesetzgebung aufzunehmen und formulierte im vergangenen Jahr das Klimapaket  „Fit for 55“ [2]. Die Senken sollen bis 2030 rund 310 Millionen Megatonnen CO2Eq (Kohlendioxid-Äquivalenz) aus der Atmosphäre einbinden.

Der Begriff LULUCF steht im Eigentlichen dafür, dass die Art der Landbewirtschaftung über die Emissionen und deren Bindung entscheidet. So ist die Bilanz bei Wäldern anders als bei Feuchtgebieten, dem Grünland oder dem Acker. Die einzelne Bewirtschaftungsform, mit oder ohne Pflug, Fruchtfolgen und Kulturart sowie auch Witterung und Klima arbeiten an der Bilanz mit.

Die Berechnungen sind also von einer sehr großen Zahl an Ungenauigkeiten geprägt und beispielsweise haben die Dürrejahre 2017 bis 2019 Humus auf allen Böden abgebaut und die Wälder so ausgetrocknet, dass sie für eine Senkenleistung kaum noch in Frage kommen.

Dennoch sollen die Mitgliedsstaaten nach Willen der Kommission verbindliche LULUCF-Werte festlegen, die sich auf den Wert des Kohlendioxids beziehen. CO2 ista ber nicht das einzige Treibhausgas. Es geht auch um Methan als Vertreter der „Nicht-CO2-Emissionen“, für die in der Landwirtschaft eine neue Berechnungssäule (AFOLU) ab 2031 eingeführt werden soll. Diese Abkürzung steht für „Agriculture, Forestry and Other Land Use“. Diese Werte sollen in das Europäische Emissionshandelssystem einfließen.

Lastenverteilung

Das waldreiche Finnland ist als Emissionssenke schon länger aktiv und kann hölzerne Aktenkoffer in die ganze Welt verkaufen. Malta hat es da schon schwerere, weil das Land waldarm und von Ausbreitung der Ariden Standorte betroffen ist, wie Landwirtschaftsminister Anton Refalo betonte. Auch sein irischer Amtskollege Charlie McConalogue hat damit Probleme, weil Irland sehr viele torfreiche Böden bewirtschaftet und diese nicht alle vernässen kann. Daher ist zwar eine Lastenverteilung vorgesehen, die Gutschriften zwischen den Mitgliedsländern verteilt – was aber Jari Läppa noch Kestutis Navickas aus Litauen gefällt. Beide wollen nicht, das andere von ihren Klimaanstrengungen einfach profitieren.

Hinzu kommt, dass nicht nur durch den Klimawandel „natürliche Störungen“ wie Waldbrände, Überschwemmungen und Trockenheit die Pläne durchkreuzen können. Doch was genau „natürliche Störungen“ sind und welche Entschädigungen vorgesehen sind, ist noch offen, beklagt die kroatische Landwirtschaftsministerin Marija Vučkovič.

Unter anderem auch Deutschland spricht sich gegen jahresscharfe Zielvorgaben aus.

Die Gemeinsame Agrarpolitik bietet nach EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski mit der Förderung für das Anpflanzen von Hecken, dem Carbon Farming als neues Geschäftsmodell, Wiederaufforstung und dem Anbau von Leguminosen zahlreiche Möglichkeiten LULUCF und AFOLU zu erfüllen.

Die Generaldirektion Landwirtschaft ist auch nicht federführend bei dem Thema ihre Entschließung den Umweltrat weitergeben.

Geflügelpest

Die Seuchensituation bei der Hochpathogenen Aviären Influenza (HPAI) ist unverändert bedrohlich [3]. Der französische Ratsvorsitzende Julien Denormandie betont, dass für Geflügelhalter derzeit nur die Kontrolle der Bestände und Biosicherheitsmaßnahmen als Vorbeugung bleiben. Wenn ein Bestand erkrankt ist müssen die Tiere, auch die gesunden, gekeult werden. Für den Julirat hat Denormandie Ergebnisse aus laufenden Impfversuchen angekündigt, um zumindest die Zahl der gesund gekeulten Tiere zu verringern. Für Rasmus Prehn, Landwirtschaftsminister in Dänemark, ist die Seuchenlage wiederholt ungewöhnlich hoch und erwartet zur Wintersaison künftig noch mehr Ausbrüche. Prehn will daher alle Optionen inklusive einer Impfung prüfen. Das Thema ist nicht nur wegen der noch fehlenden Impfstoffe schwierig, sondern auch im internationalen Handel, weil geimpfte Tiere die Krankheitserreger in sich tragen und von Importen in der Regel ausgeschlossen werden.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit bereitet nach Denormandie ein Gutachten zur Impfpflicht vor. Zusammen mit einem Impfstoff und den Regeln für die Verwendung wird könne in der zweiten Jahreshälfte eine Kommissionsempfehlung für eine Impfstrategie ausgegeben werden, ergänzte Wojciechowski. Zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation für Tiergesundheit OIE sollen dann auch Regionalisierungskonzepte für den Handel ausgearbeitet werden.

Ernährungssouveränität

Die Mehrheit der Agrarminister will gegen den Hunger in der Ukraine und der drohenden Hungersnot auf dem afrikanischen Nachbarkontinent mehr Lebensmittel anbauen. Zumindest nutzen sie die Möglichkeit für den Anbau von Futter- und Lebensmitteln auf den Brachflächen. Vereinzelt gab es Stimmen, auch die vierprozentige Stillegungsfläche pro Betrieb 2023 auszusetzen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bleibt seiner Haltung und will nur die Futternutzung in diesem Jahr erlauben. Die monetären Ukrainehilfen sind seinen Worten nach eine gutes Zeichen der Solidarität. Auch die Einsicht der Agrar-Kommission in eine EU-weite Eiweißstrategie sind begrüßenswert – doch eine deutliche Effizienzsteigerung der Produktivität könne auch ohne die Bewirtschaftung von Brachflächen umgesetzt werden, Özdemir zog dabei aber eine neue rote Linie: Bei der Risikobewertung der neuen Züchtungsmethoden lasse er keine Abstriche zu.

Die Sicherung der Ernährung wird unterschiedlich weit gefasst. Alle Minister sind mit Özdemir und Agrarkommissar Wojciechowski darüber einig, dass es für Deutschland und Europa keinen Lebensmittelmangel geben wird.

Aber schon mit Blick auf die Ukraine weicht die Sicherheit schon auf. Die EU liefert Dünger, Saatgut und Diesel sowie Landmaschinen in die Ukraine, damit die Landwirte das Zeitfenster für die Frühjahrsbestellung noch nutzen können. Der neue ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyi hält aber die Zeit schon für abgelaufen. Rund 3,5 Millionen Hektar, etwa ein Drittel der Ackerfläche Deutschlands, komme für die Ernte 2022 wegen Kampfhandlungen, Minen und fehlenden Betriebsmitteln nicht mehr für die Ernte 2022 in Betracht.

Hinzu kommen Getreidelieferdefizite nach Nordafrika und in den Nahen Osten, ergänzte Julien Denormandie. Irgendwoher müssen die Lebensmittel bezogen werden. Bleibt das Wetter in Europa so günstig wie bisher, kann eine höhere europäische Ernte bei Getreide und Raps einige Importdefizite aus der Ukraine ausgleichen. Noch im Juni wird die Welthandelsorganisation WTO sich auf der 12. Ministerkonferenz über das Thema globale Ernährung austauschen, sagte Wojciechowski.

Es geht aber nicht nur um die Frage, wessen Ernährungssicherheit gesichert werden soll, sondern quantitativ auch um den notwendigen Umfang. Denormandie regte an, sich in der EU auf der Basis der Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Ländergemeinschaft das längst vergessene Thema dingfest zu machen. „Welche Produkte sollen in welchem Umfang angebaut werden, um den Menschen eine gesunde und sichere Ernährung zu gewährleisten, die sie sich auch leisten können?

Langfristig soll Europa sich auch von südamerikanischem Protein unabhängig machen. Dennoch trage die Nutzung der überwiegend als Futterpflanzen angebauten Sojabohnen seit mehr als 50 Jahren auch der Entwaldung im Amazonas bei. Antworten seien nicht in kurzer Zeit bekommen, räumte er ein. Doch das ist der heiße Brei, um den alle in verschiedenen Richtungen herumreden. Jetzt wird er zu einem Baustein der Brüsseler Agrar- , Umwelt- und Ernährungspolitik.

Flexible Hilfen

Kroatien hat zusammen mit 12 weiteren Ländern den Antrag für flexible Hilfen für die Landwirtschaft gestellt, wie sie zu Beginn der Pandemie schon genehmigt wurden. Gelder aus allen Programmen könnten gemeinsam für die Landwirtschaft und Ernährungssicherheit ausgegeben werden. Die Programmgrenzen unter dem Dach des Europäischen Programms für die Entwicklung des ländlichen Raums (EAFRD) sollen für Minderung der Betriebskosten und damit für eine Minderung der Lebensmittelpreise eingesetzt werden. Die aktuelle Lage liegt nicht in unserer Verantwortung, sagte Ministerin Marija Vučkovič. Nur so könnten Ernährungsziele unter Berücksichtigung der Klima- und Umweltziele gemeinsam erreicht werden. „Wir wollen ja nicht, dass Kinder hungern“, führte sie aus. Dabei sei es bedauerlich, dass die Kommission den Entwurf für die neue Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie zurückgesetzt hat. Das wäre ein deutliches Zeichen gewesen, alle Ziele zu vereinen.

Geschützte Herkunftskennzeichen

Die Erweiterung der geschützten Herkunftszeichen der Europäischen Union (g.U., g.s.T. und g.g.A) um Nachhaltigkeitskriterien sieht Wojciechowski als Stärkung des Systems an. Die aktuell 3.400 geschützten Produkte sind in der EU ungleich verteilt. Die meisten Anträge haben Erzeuger aus Frankreich, Griechenland Italien und Spanien gestellt. Andere Länder kommen bei den geschützten Produkten, um die es auch bei den Handelsabkommen geht,  gar nicht vor. Mit den Änderungsvorschlägen komme die Kommission neuen Anforderungen nach und bietet Erzeugergemeinschaften eine höhere Attraktivität den Produktschutz zu beantragen.

Industrieemissionsrichtlinie

Die gerade vorgestellte Novelle der Industrierichtlinie über Emissionen fand bei den Agrarministern nur wenig Gegenliebe. Für die Ausweitung der Anwendung sollen auch Tierhaltungsbetriebe aufgenommen werden. Da wird eine Grenze vorgeschlagen, ab wann bäuerliche Betriebe zur Industrie werden und weitreichende Emissionsminderungsmaßnahmen durchführen müssen. Nach Denormandie fallen dann Milchviehbetriebe mit mehr als 100 Milchkühen bereits unter den Begriff Industrie. Immerhin habe sich Wojciechowski für eine Erhöhung der Grenze auf 150 Milchkühe durchgesetzt. Das sei aber nur der Anfang, denn weitere Parameter, wie Auslauf und Fütterung können das Bild von einem landwirtschaftlichen Betrieb entscheidend ändern. Die Federführung aber liegt bei der Umwelt-Kommission.

Lesestoff:

[1] „Regenerative Landwirtschaft“ im Leseclub 9/2022 und „Wasserdampf als Treibhausgas“ im Leseclub 12/2022: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/herd-und-hof-leseclub.html

[2] https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/mit-55-jahren-faengt-das-leben-an.html

[3] Aktuelle Tierseuchenlage im ersten Quartal 2022: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/aktuelle-tierseuchenlage.html

Roland Krieg; Screenshot: roRo

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