„Arboviren“ werden immer wichtiger
Landwirtschaft
Mit Mückenatlas undMilchkontrolle neuen Viren auf der Spur
2006 war ein Jahr des Umbruchs. Prof. Dr. Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts, zählte auf der Grünen Woche beim Gespräch der Bundestierärztekammer auf, was alles passierte: In Deutschland verschwanden die Fuchstollwut und die Klassische Schweinepest aus dem Krankheitsgeschehen. Mit der Blauzungenkrankheit und dem hochpathogenen H5N1-Virus kamen allerdings auch neue Krankheiten nach Westeuropa, auf die sich Veterinäre künftig vermehrt einstellen müssen.
Die Analyse der Blauzungenkrankheit hat die Problematik aufgezeigt. Ursprünglich in tropischen und subtropischen Regionen von Stechmücken übertragen kann sich die Krankheit in heimischen Ställen ausbreiten. Dabei müssen die exotischen Stechmücken nur ein einziges Mal nach Deutschland gelangen. Mit Blumen aus Kenia, Holzkisten aus Asien oder Tieren aus Südamerika kann eine einzige Mücke nach Deutschland gelangen und entkommt auf dem Flughafen auf eine Weide mit Rindern oder Schafen. Der mitgereiste Virus überträgt sich und wird von heimischen Stechmücken aufgenommen, die dem Pathogen als neues Wirtstier dienen. „Peng!“ übertragen heimische Stechmücken exotische Krankheiten, erklärte Dr. Siegfried Moder, Präsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt) lautmalerisch, was in den vergangenen Jahren zu einem neuen entomologischen Sachstand geführt hat. Heimische Mücken und Gnitzen übertragen exotische Pathogene
Seit dem sind Veterinäre neuen Krankheiten zweigleisig auf der Spur. Im Mückenatlas können auch Veterinärlaien Mückenfunde eingereister tropischer Mücken wie die Tigermücke verzeichnen. Unbekannte Krankheiten hingegen werden heute durch das Milchmonitoring entdeckt. Bei einem plötzlichen Leistungsabfall kann eine Blutanalyse im Labor Klarheit über eine mögliche neue Krankheit absichern. So wurde 2011 das Schmallenbergvirus entdeckt.
Prof. Volker Moenning von der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat das unendliche Reservoir an Insekten und Krankheiten beschrieben. Weltweit gibt es zwischen 0,9 Millionen bekannte Insektenarten. Eine Stechmückenart kann aus vier bis fünf Spezies bestehen, die jeweils komplett andere Krankheiten übertragen können. In dieser Insektenmasse sind etwa 500 Arboviren bekannt. Der Begriff bezeichnet keine Virensystematik, sondern ist schlicht die Abkürzung für „arthropod-borne virus“. Davon werden derzeit 150 als pathogen für Mensch und Tier gelistet.
Reisende, der globale Warentransport und Klimawandel werden Arboviren künftig stärker nach Westeuropa bringen. Für die Tierseuchenbekämpfung sind neue Risikoabschätzungen notwendig, auf den Betrieben und in der Natur müssen erregerspezifische Monitoringprogramme durchgeführt werden und die Forschung müsse ihre Suche nach Impfstoffen intensivieren.
Dr. Mettenleiter betonte dabei, dass es epidemiologisch keinen Unterschied in der Biosicherheit zwischen geschlossen Ställen und Weidetieren in der alternativen Landwirtschaft gibt. Die Gefährdungsszenarien sind vergleichbar.
Allerdings ist die zunehmende Hobbytierhaltung ein Problem. Mittlerweile gilt auch die Hühnerhaltung im Vorgarten als Schick der Großstädter. Ein Schaf oder eine Ziege hält „das Green“ naturnah kurz. Doch wenn das Huhn morgens tot im Stall liegt, wird kaum der Veterinär angerufen. Der Kadaver landet womöglich auf dem Kompost oder wird vergraben. Für das Virus kein Problem. Veterinäre wünschen sich hier mehr Verantwortungsbewusstsein bei den „neuen“ Tierhaltern.
Neues gibt es auch von der Afrikanischen Schweinepest. Unaufhaltsam wanderte sie westwärts und hat sich im Baltikum und Ostpolen etabliert. Doch seit 2014 gibt es keine weitere Ausbreitung mehr. Der Virus ist im Wildschwein heimisch und innerhalb einer „Metapopulation“ tauschen sich die Tiere zwischen Osteuropa und Russland aus. Doch offenbar wird das Virus weniger über Wildschweine als über unbelebte Vektoren wie Transportfahrzeuge oder Lebensmittel verbreitet. Dr. Mettenleiter blickt auf das Seuchengeschehen in Russland zurück. Dort sind die Regionen auch nicht über das Wildschwein, sondern über Fahrzeuge überbrückt worden.
Imker und Fischwirte
Die Veterinäre tragen Sorge, dass „Laien“ mit wenigen Tagen Zusatzausbildung die Arbeit der Fachmediziner übernehmen werden. Das sieht eine Verordnung der EU vor. Doch Prof. Mettenleiter beruhigt. Es gehe ausschließlich um Bienen und Fische. Imker und Teichwirte arbeiteten so eng mit den Nutztieren zusammen, dass sie oft mehr Spezialwissen als ein Veterinär hat. Nur im eigenen Bestand können die „Veterinärlaien“ ihr Fachwissen umsetzen.
Lesestoff:
Roland Krieg
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