Artikel und Verträge für den Milchsektor

Landwirtschaft

Erneut keine Kehrtwende in Brüssel

Wieder hegten Politik und manche Verbände auf ein Drehen an der Quotenschraube zur Rettung der Milchstruktur. EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel machte am Donnerstag aber erneut deutlich, dass genau das nicht geht: „Eine Kehrtwende im Health Check ist keine Option und das Europäische Parlament hat uns explizit aufgefordert auch keine herbeizuführen. Deshalb ist das aufrecht Erhalten der Milchquote über das Jahr 2015 hinaus kein Thema. Das Einfrieren von Milchquote ist kein Thema.“ Deutliche Worte, die der Wende in der Agrarpolitik weiterhin den Vorzug geben: Weg von staatlicher Förderung, hin zum Markt.
Fischer Boel führte zarte Signale für die langsame Überwindung der Krise an: In Frankreich stiegen die Butterpreise um vier, in Deutschland um acht Prozent und in England noch stärker. Magermilchpulver ist in Frankreich und Deutschland um jeweils vier, europaweit um drei Prozent angestiegen. Der europäische Durchschnittspreis für Milch ist im August um zwei Prozent gestiegen.

„Solidarität mit Frankreich“
Pascal Massol, Präsident der Association des Producteurs de Lait Independants Nationale (APLI) hat in dieser Woche die deutschen Berufskollegen aus der Milchviehwirtschaft zur Solidarität mit den streikenden französischen Bauern aufgerufen. Es gelte jetzt, „die gemeinsame Chance anzupacken“. Nach französischen Angaben haben sich nach vier Tagen Streik rund die Hälfte der französischen Milchbauern an dem Streik beteiligt – Zahlen die von politischer Seite regelmäßig als zu hoch eingestuft werden.
Vor zwei Jahren hatte der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter mit dem Lieferstreik das Heft federführend in die Hand genommen und Massol sagte in dieser Woche, dass die französischen Kollegen das erst richtig mitbekommen hätten, als der Streik wieder vorbei war. „Wir haben verstanden. Und wir haben Europa versprochen, dass es beim nächsten Mal anders laufen wird. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir alle Milcherzeuger in Europa einladen, nicht unseren Fehler vom letzten Jahr zu wiederholen, sondern die gemeinsame Chance jetzt auch gemeinsam anzupacken“, so Massol.

Der Strukturwandel kommt
Während der Milchquote von 1985 bis heute haben fast zwei Drittel der Milchbauern auch ohne Lieferstreik aufgehört. Bis 2015 werden weitere aufhören und den Strukturwandel beschreiten.
Ein paar Dinge hat Fischer Boel angekündigt, die ihr von allen Seiten verhaltenes Lob eingebracht haben. Wie sie den Milchmarkt und vor allem wem sie letztlich nützen werden, wird sich erst nach der Umsetzung zeigen.
So wird der Milchsektor unter den Artikel 186 des europäischen Binnenmarktes gestellt, um direkt ohne Parlament Hilfe in Krisenzeiten zu erbringen. Es wird ein Regelwerk erarbeitet, dass auf der Ebene der Milcherzeuger ein Vertragswerk ausarbeiten wird, das die Beziehungen zu den Molkereien fairer gestalten soll. Bis Ende des Jahres soll eine Analyse fertig sein, die erklärt, warum der Lebensmittelhandel in einer so starken Verhandlungsposition ist. Europaweit soll ein Terminmarkt für Milch aufgebaut werden, um über Vorverträge den Bauern berechenbarere Preise zu garantieren. Und, so Fischer Boel, nicht zuletzt: „Es muss auch über Produktionskosten und Innovationen gesprochen werden.“ Gemeint ist die Betriebsebene.

„Frevel Milch wegkippen“
Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Dr. Till Backhaus hat sich in dieser Woche erneut gegen die neuerlichen Lieferstreiks gewandt, die auch in seinem Bundesland stattfanden. „Für solche Aktionen habe ich kein Verständnis. Milch auf Straßen und Felder zu kippen, ist Frevel. Man darf auch nicht die Gefahr unterschätzen, die aus einer solchen Aktion im Straßenverkehr entstehen kann“, sagte Dr. Backhaus. Er könne die Verzweiflung der Milchbauern verstehen, ist sich aber sicher, dass die Proteste nichts bewirken werden. Es „gibt keine Lösung für Mecklenburg-Vorpommern, oder für Deutschland. In einem europäischen Markt kann es nur europäische Lösungen geben. Nationale Alleingänge würden die Lage der deutschen Milchbauern nicht verbessern, sondern verschlechtern.“

Deutliche Fortschritte gibt es für den Bereich der Überlieferungen. So soll ein überliefernder Betrieb demnächst auch dann eine Superabgabe zahlen, wenn das Land unter seiner nationalen Lieferquote bleibt. Saldierungen als Verrechnungsmodell zwischen Über- und Unterlieferungen müssen neu aufgestellt werden. Die Mitgliedsländer bekommen die Möglichkeit, Milchquote in die nationale Reserve zu stellen, ohne dass diese im Quotensystem verrechnet wird.

Reaktionen
Agrarminister Dr. Till Backhaus aus Schwerin und Sprecher der SPD-Geführten Länder wendet sich vor allem gegen die Verschiebung der Quotenverantwortlichkeit auf die einzelnen Mitgliedsländer. Wenn jedes Land für ein Quotenaufkaufprogramm selbst verantwortlich bleibt, verzerre das den Wettbewerb, weil die anderen nicht mitziehen müssten. Das müsse europaweit geregelt werden. Am Nachmittag erneuerte er seine Forderung, so früh als möglich jede Form der Saldierung einzustellen.
Dem Deutsche Bauernverband (DBV) sind die Vorschläge der Agrarkommissarin „zu vage“. Sonnleitner vermisste in einer ersten Reaktion „schnell wirksame Signale in den Markt hinein“.
Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) bewertete vor allem die Möglichkeit des nationalen Quotenaufkaufs positiv. Das werde ein deutliches Mengensignal aussenden.

Streikübersicht
Die Streiksituation ist uneinheitlicher als vor zwei Jahren und fokussiert sich nach einer Quellenrecherche von Herd-und-Hof.de in Deutschland auf das grenznahe Gebiet zu Frankreich. Dort sind mit bis zu sieben Prozent der Milchbauern die meisten im Lieferstreik. Auch Belgien beteiligt sich intensiv, während in den Niederlanden als großes Milchland das Interesse geringer ausgeprägt scheint.
Derweil graben sich die Parteien immer tiefer gegeneinander ein. Meldungen des Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und der französischen Bauern über die Zahl teilnehmender Betriebe, die Menge weggeschütteter Milch und „Insiderinformationen“ werden vom Deutschen Bauernverband (DBV) und den Molkereien nahezu umgehend klein gerechnet. Während die ersteren die Molkereien schon in die Knie gehen sehen, sagen diese, dass sie von dem Lieferstreik kaum etwas mitbekämen.

Letztes Hintertürchen?
Mariann Fischer Boel wird für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung stehen. Der gehenden Kommissarin wird bereits die „Schuld“ an der Milchmisere hinterher geworfen. Ein neuer Agrar-Kommissar mag die Hoffnungen mancher tragen, doch noch eine Wende in der Milchpolitik zur vollstaatlichen Betriebsregulierung beizuführen – doch dazu müsste er mindestens aus Frankreich, Deutschland oder Österreich kommen.
Heute sind die Agrarminister der Bundesländer gefragt, was sie mit den EU-Vorschlägen anfangen werden. Seit gestern beraten sie in Lutherstadt Eisleben 37 Tagungsordnungspunkte. Milchpolitik wird wieder den größten Raum einnehmen.

Eine Zusammenfassung der Agrarministerkonferenz erscheint später am Tage.

Roland Krieg

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