Aschenputtel Agrarwissenschaften?

Landwirtschaft

dafa Forum zur Forschungsstrategie

Wie entwickelt sich eine neue Weizensorte unter den Anbaubedingungen in Brandenburg? Fühlen sich Tiere bei einem Freilaufangebot wohler? Welche Strategien brauchen Bauern und Veterinäre, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren? Was führt bei einer Pflanze zu mehr Wassereffizienz, um künftig besser auf Trockenheit reagieren zu können?
Vor dem Hintergrund des Klimawandels, der Energiewende und Welternährung stellt sich heute die ganze Gesellschaft diese Fragen. Die Antworten kommen aus den Agrarwissenschaften, die sich damit den Lorbeer der angewandten Forschung verdienen. Doch die Agrarwissenschaften sind meist nur das Aschenputtel zwischen Higgs-Teilchen, Nanotechnologie und Supercomputer. Die Agrarforschung ist in den letzten Jahrzehnten weltweit sogar vernachlässigt worden, wie Prof. Dr. Matin Qaim auf der diesjährigen Wintertagung der DLG belegte:

Exzellenzforschung ohne Agrar?

In Berlin hat der Agrarbereich vier Kürzungswellen und zwei Schließungsinitiativen überstanden. Derzeit steht die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät an der Humboldt Universität Berlin mit eingeworbenen 5,3 Millionen Euro Drittmittel auf dem vierten Platz des Uni-Rankings, führt Prodekan Prof. Dr. Uwe Schmidt auf dem Forschungstrategischen Fachforum der Deutschen Agrarforschungsallianz (dafa) in Berlin aus. Trotzdem fühlen sich die Agrarwissenschaftler abgehängt, denn als Leistungsparameter gelten neben den Drittmitteln die Veröffentlichungen in englischsprachigen Fachmagazinen. Da punkten andere Disziplinen deutlicher. Die daraus entstehende Drift an den Universitäten führt von der angewandten Forschung, wie sie im Agrarbereich üblich ist, weg.
Dr. Josef Lange, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, will künftig keine Unterscheidungen mehr zwischen Grundlagenforschung wie beim Max-Planck-Institut, strategischer Forschung bei den Helmholtz- und Leibniz-Instituten und angewandter Forschung, Beispiel Fraunhofer Institute, gezogen wissen. Exzellenz muss auch außerhalb der Grundlagenforschung Bestand haben. Dr. Lange fordert selbstbewusste und starke Institute, die auch bei der Auftragsforschung für Industrie und Politik ihre Unabhängigkeit behalten: „Sonst verlieren Wissenschaftler ihren Ruf!“

Forschungsgrundlage Bauernhof

Wolfgang Reimer, Amtschef im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, nimmt die Agrarwissenschaftler in die Pflicht und fragt: Wieso gibt es so wenig „On-Field-Forschung? Denn für die Bauernhöfe sei die Agrarwissenschaft doch da. Baden-Württemberg will die Landesanstalten, die eine Schlüsselstellung in der Übersetzung der universitären Forschung für die Betriebe haben, künftig in die dafa einbringen. Sie nehmen auch schon an Ausschreibungen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Forschung (BLE) teil. Die Grundlagenforschung wird keine Lösungen für das Dilemma in der Schweine- und Geflügelhaltung finden, so Reimer, aber die Landesanstalten haben noch ihre Versuchsstationen, die produktive Ergebnisse hervorbringen.
Für ein größeres Selbstbewusstsein der Agrarwissenschaftler plädiert auch Dr. Reinhard Grandke, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Oft werden die Professuren von anderen Disziplinen „geentert“ und dabei bleibt offen, ob ein Mikrobiologe die Biologie lehren wird, die am Ende auf den Betrieben Anwendung finden muss.
Daher sollen neben Drittmittel und Zitatenliste künftig weitere Leistungsparameter in die agrarwissenschaftliche Exzellenzforschung einfließen: Innovationskraft (was ist wirklich neu?), Einsetzbarkeit, Umsetzbarkeit und Verfügbarkeit. Dr. Grandke blickt auf historische Agrarwissenschaftler wie Max Eyth zurück, der seine Landtechnik-Forschung in den Dienst der Praktikabilität gestellt hat.

Der Blick nach innen

Die dafa ist angetreten, durch Bündelung der Kompetenzen die deutsche Agrarforschung sichtbar zu machen und will, so dafa-Sprecher Prof. Dr. Hubert Wiggering vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung (ZALF), und hat mit den bereits durchgeführten Fachforen „Nutztierhaltung“ und „Leguminosen“ thematische Foren für Forschungsstrategien angelegt. Die Agrarforschung könne mit den Schulterschlüssen „Grundlagenforschung“, „Lösung gesellschaftlicher Aufgaben“ und „Forschung und Praxis“ eine eigene Exzellenz aufbauen.
Ein wenig standen sich die Agrarwissenschaftler in der Vergangenheit selbst dabei im Weg. Wolfgang Reimer kritisierte, dass die Hochschulen in der Vergangenheit auf die Fachhochschulen im Agrarbereich eher heruntergeblickt haben. Die DLG als Brücke zwischen Forschung und betrieblicher Praxis will keinen Unterschied zwischen den Ausbildungs- und Forschungsstätten machen, erklärte Dr. Grandke.

Lesestoff:

www.dafa.de

Forschung im Agrarbereich und gesellschaftliche Relevanz:

Warum braucht man Landessortenversuche?

Grundlagenforschung für das Verbraucherlabel Tierwohl

Agrarstudium: Quo vadis

Roland Krieg (Text und Fotos)

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