Aschenputtel auf dem Mähdrescher
Landwirtschaft
Qualifizierte Getreideernte im „Land der Ideen“
Aschenputtel bat die Tauben ihr beim Lesen der in die
Asche ausgeschütteten Linsen zu helfen. Sie gab auch die Methode vor: „Die
Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“. Mit einem einfachen Bild
hatte Pressesprecher Jörg Huthmann vom Landmaschinenhersteller Claas auf der
akademischen Feierstunde der landwirtschaft-gärtnerischen Fakultät der Humboldt
Universität Berlin am Mittwoch den Kern beschrieben, dessen Erforschung unter
Leitung von Prof. Dr. Jürgen Hahn von der Standortinitiative „Deutschland –
Land der Ideen“ ausgezeichnet wurde.
Jörg Günther von der Deutschen Bank und innerhalb der
Initiative zuständig für den Agrarbereich betonte die Wichtigkeit von Ideen in
einem Land ohne Rohstoffe. Die Ideen selbst sind der Rohstoff, der immer wieder
ausgezeichnet werden muss. Prof. Hahn ergänzte, was neben einer guten Idee noch
alles dazu gehört: Ausdauer, Leidenschaft und Verbündete.
Gleichzeitig verschiedene Qualitäten ernten
Neu ist das Aschenputtel-Prinzip im Mähdrescher eigentlich nicht. Schon vor 20 Jahren gab es Versuche, die Feldfrüchte gleich bei der Ernte nach verschiedenen Qualitäten zu trennen. Doch erst das dreijährige Projekt „Qualifizierte Getreideernte“ im Verbund mit Claas hat die entscheidenden Fortschritte erzielt. Deswegen ging das Projekt im letzten Jahr in die zweite Runde.
Die Hintergründe
Ein Feld kann unterschiedliche Bodenbedingungen
aufweisen. Auf lehmigen Flächen können Sandblasen eingestreut sein, die den
Boden eher austrocknen und für ungünstigeres Pflanzenwachstum sorgen. So kann
auf einem Feld Getreide wachsen, dass mit 13,3 Prozent Rohprotein beste und
höchst bezahlte Qualität liefert, ein paar Meter weiter aber weist das Getreide
gerade einmal die Mindestqualität auf. Bislang landet beides beim Mähdrescher
im gleichen Korntank und wird zur Mühle gefahren. Der Bauer erhält den
Durchschnittspreis.
Der Klimawandel und die Nutzungskonkurrenzen auf dem
Feld sorgen mittlerweile für höchst differenzierte Preise. Diesen Trend hält
Huthmann für langfristig und hohe Erzeugerpreise sorgen für
Investitionsanreize, Getreide nach unterschiedlichen Qualitäten zu ernten. Um
den Aufwand zu verringern, sollte die Trennung so früh wie möglich erfolgen. Am
Besten gleich beim Mähdrusch.
Der Trick mit dem Bypass
Ökologisch erzeugter Backweizen erfordert mindestens
elf Prozent Protein und 26 Prozent Feuchtklebergehalt. Die Anforderung an
Braugerste ist noch diffiziler. Sie muss mindestens acht Prozent Rohprotein
aufweisen, aber auch nicht mehr als 11,5 Prozent.
Im Labor sind die Qualitätsmessungen heute Routine.
Spektralsensoren im Infrarotbereich zeichnen auf dem Papier die Häufigkeiten
von Stärke, Protein und Wasser im Getreidekorn an.
Prof. Hahn hat mit Hilke Risius (heute M. Sc.) und
Markus Huth (Stud. agr.) sowie Dr. Hubert Korte von Claas das Labor in den
Mähdrescher gebracht. Nach dem Dreschen und Sieben hievt ein Elevator die
Körner vom Boden des Mähdreschers nach ganz oben in den Tank. Von diesem
Elevator zweigt ein Bypass ab, der das Korn erst nach der Nah-Infrarot-Spektroskopie
wieder dem allgemeinen Gutstrom zuführt. In Echtzeit des Gutstroms wird ein
Signal an eine Weiche gegeben, die das Getreide einem von zwei getrennten
Korntanks zuführt. Die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen.
Agrartechnik mit Köpfchen
Größer sind die modernen Mähdrescher nicht mehr zu
machen, sonst verlieren sie die Straßenzulassung, sagt Jörg Huthmann zu
Herd-und-Hof.de. Die Herausforderungen der modernen Agrartechnik liegen in der
Feinjustierung bis hin zur digitalen Vernetzung der Maschinen und
Logistikketten untereinander. Kein
fernes Wunschbild. Nach Dr. Korte legen auch die Australier schon Wert auf
verschiedene Qualitätsparameter. Die Technik könnte dann aus Deutschland
kommen.
Hilke Risius hat auf einem Vortrag in Brandenburg auf
einen anderen Aspekt bei der qualifizierten Getreideernte hingewiesen: Nach der
ICC-Standardmethode für die Getreidebeprobung der International Association for
Cereal Science and Technology (Nr. 101/1) reicht es beispielsweise aus, bei
einem Lkw mit 15 Tonnen Getreide fünf Proben zu ziehen. Die Sensoren hingegen
sind in der Lage, pro Tonne Getreide 20 Messungen im Mähdrescher zu machen. Die
Technik könnte auch ein Meilenstein bei der Lebensmittelsicherheit werden.
Der Ausblick
Nachdem der erste Schritt gemacht ist, wendet sich das
Team im Anschlussprojekt dem Risikomaterial zu. Dann sollen die Sensoren
Mykotoxine im Getreide ausmachen und im zweiten Tank aussortieren. Wird bei
Ethanolgetreide die Schlempe als Koppelprodukt verwendet, so darf der Gehalt an
Deoxynivalenol (DON) ein mg je Kilogramm Getreide nicht übersteigen.
Auch die Brauereien dürften auf die Ergebnisse gespannt
sein. Oberflächenaktive Proteine von Schimmelpilzen führen zu Veränderungen bei
Bierschaumproteinen und können zum so genannten „Gushing“ führen, dem spontanem
Überschäumen des Bieres. Die Brauereien führen zur Vermeidung des Gushing
zahlreiche Tests beim Gerstenmalz durch, bevor sie mit dem Brauen beginnen. Das
macht demnächst der Mähdrescherfahrer für sie.
Als nächsten ersten Schritt will Prof. Hahn aber auf
den Bypass am Elevator verzichten. Die Sensoren sollen im konventionellen
Gutstrom die Qualitäten erkennen.
Roland Krieg