ASP: Der Fokus auf Wildschweine ist ungenügend

Landwirtschaft

Wissenschaft – Politik – lokale Unvernunft

In der Nacht zu Freitag musste das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Meldung über zwei bestätigte Infektionen im Hausschweinbestand  mit dem für Haus- und Wildschweine tödlichen, aber für Menschen ungefährlichen, Virus der Afrikanischen Schweinepest (ASP) vermelden [1]. Am Samstagabend wurde sogar noch ein dritter Fall bestätigt.

Wo?

In den Landkreisen Märkisch-Oderland und Spree-Neiße sind mit Stand von Sonntagabend zwei Kleinsthaltungen und ein Bio-Betrieb mit 200 Schweinen betroffen. Die Bestände wurden geräumt. Alle drei Fälle sind im Rahmen des ASP-Monitoring entdeckt und vom Nationalen referenzlabor für ASP, dem FriedrichLoeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern bestätigt worden.

Zunächst einmal steigt das Infektionsrisiko, je länger das ASP-Virus an einer Stelle bleibt, am Ende auch die Gefahr, dass es die Biosicherheitsmaßnahmen eines Betriebes überwinden kann. Und da fängt die Geschichte an. Denn schon die erste BMEL-Meldung enthielt den Satz, dass die Aufstallung „empfohlen“ ist. Während bei der Geflügelhaltung im Falle der Hochpathogenen Aviären Influenza (HPAI) die Aufstallung auch von Kleinst- und Biobeständen Pflicht ist, zeigten sich Schweinehalter und Berater im Netz verwundert, ob das nicht auch für die Schwenehaltung gelte.

Freilauf und ASP

Seit Anfang September ist das Virus im Land bestätigt. Wildschweine stehen neben dem Menschen und seinen Essensresten als wichtigster Überträger im Fokus. Wann das westwärts reisende Virus in Deutschland ankommt, war lediglich eine Frage der Zeit und seit vielen Jahren keine Frage des „Ob?“ mehr. Die Folgen waren absehbar. Deutschland hatte schlagartig seine Drittlandsmärkte verloren; die Preise, die zuvor durch Chinas Nachfrage beständig oben blieben, fielen wieder in sich zusammen. Dabei hatte das Virus lediglich die Wildschweinpopulation erreicht, die sich auf beiden Seiten der Oder ausbreitet.

Politik und Fleischbranche waren froh, dass es keinen Hausschweinbestand getroffen hatte. Das wäre noch schlimmer, hieß es beiden Landwirten, den Bauernverbänden und in der Politik.

Die ökologischen Tierhalter werben mit freilaufenden Nutztieren. Das gehört nach Selbstverständnis der Öko-Branche über die artegerechten Haltung mit Tierwohl dazu. Sie lebt den Trend vor, den die Gesellschaftlich sich mittlerweile für alle Haltungen wünscht.

Doch ob sich Freillandhaltung oder Haltung mit Auslauf mit einem grassierenden und tödlichen Virus in der gleichen Region vertragen, darüber gibt es tatsächlich zwei Meinungen. Top Agrar hat diesen April mit Blick auf eine dänischen Studie die Kosten einer Infektion im Hausschweinbestand beziffert. Demnach entstünden in Dänemark direkte Kosten in Höhe von zwölf Millionen Euro, als Verlust für die Exportmärkte ein Schaden von 349 Millionen Euro.

Die Wissenschaft

Die Wissenschaft hat das Risiko für Freilandschweine analysiert. Im Juni 2021 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Risikoeinschätzung veröffentlicht [2]. Die Freilandhaltung ist über ganz Europa hinweg gesehen durchaus eine regional typische Haltungsform, für die es keine gesetzliche Regelung im ASP-Fall gibt. Die Experten sind sich zwischen 66 und 90 Prozent sicher, dass ein solider Zaun oder ein Doppelzaun ordentlich installiert, das Risiko für eine Infektion um 50 Prozent verringert wird. Regelmäßige fachliche Kontrollen können das Risiko weiter senken. Der indirekte Kontakt über gemeinsam genutzte Futter- und Wasserstellen sei größer als der direkte Kontakt zwischen Haus- und Wildschwein. Die EFSA kommt zu dem Schluss, dass im Einzelfall über Restriktionen für Freilandschweine ausgesprochen werden könnten. Die meisten Beobachtungen beziehen sich auf europäische Kleinsthaltungen, bei denen Biosicherheitsmaßnahmen, wenn überhaupt, nur lückenhaft installiert werden.

Das Friedrich-Loeffler-Institut kommt zum gleichen Ergebnis, allerdings schon im April [3]. Das FLI bringt noch andere Tiere ins Gespräch. Vögel spielen bei der Verbreitung des Virus keine Rolle – wenn es um die Überbrückung einer langen Distanz geht. Demgegenüber konnte aber bereits 2019 wissenschaftlich belegt werden, dass Aasfresser, wie Kolkraben, das Virus über kurze Entfernungen lokal übertragen. So kann das Virus in eine außen liegende Futterstelle gelangen. Auch können die Raben kleine verseuchte Kadaverstücke in das Gehege bringen. Das FLI spricht zwar von einem Restrisiko, aber der Eintrag „über Vögel ist nicht von der Hand zu weisen und schwer zu begrenzen.“

Die Politik

Die Wissenschaft pflegt ihre Erkenntnisse an die Politik nur „zu empfehlen“. Wenn daraus Gesetze und Verordnungen, wie die Aufstallungspflicht, sind Gesetzgeber gefragt. Daher hat das BMEL in seiner Meldung in Linie mit den von der EFSA und FLI den Bundesländern empfohlen, für eine Aufstallungspflicht zu sorgen. Ministerin Julia Klöckner hat das bei der Mitteilung über den dritten Fall ausdrücklich noch einmal ausgeführt und auf die Verantwortung der Bundesländer hingewiesen.

Doch genau die Bundesländer versuchen Freiland- und Auslaufhaltung mit dem Virus zu koordinieren. „Wenn die Tiere im Freien gehalten werden oder Auslauf haben, dann ist das besonders artgerecht und eine gesellschaftlich anerkannte Form der Tierhaltung. Die ASP wird uns lange beschäftigen. Wir wollen Seuchenbekämpfung und Auslaufhaltung unter einen Hut bringen. Deshalb sollen Experten jetzt Lösungen dafür entwickeln.“ Das sagte Gisela Reetz, Staatssekretärin beim Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, nach der Amts-Chef-Konferenz im Vorfeld zur Grünen Woche 2021 [4]. Doch ob die Umsetzung gesellschaftlicher Wünsche auch wirklich praktikabel ist, zweifelte Uwe Bartels vom Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland kurze Zeit später an [5].

Die Bundesländer fühlen sich selbst nur in der beratenden Rolle. Beide aktuell betroffenen Landkreise liegen in Brandenburg. Dort ist das Landwirtschaftsministerium nur als Beisitzer in der Koordinationsstelle dabei. Die Federführung liegt beim Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz (MSGIV). Da traut sich niemand ein klares Aufstallungsgebot auszusprechen. Auf Anfrage heißt es, die entsprechenden Allgemeinverfügungen werden zwar in Abstimmung mit dem Bundesland geschrieben, aber letztlich von den Landkreisen verfasst. Die Veterinäre vor Ort sind auch für die Kontrolle der Biosicherheitsmaßnahmen zuständig. Definitiv verboten sind nach MSGIV hingegen die Erntenutzung, Bodenbearbeitung und Drillmaßnahmen für Ackerbaubetriebe.

Der Vergleich zwischen den Allgemeinverfügungen zwischen Märkisch-Oderland und Spree-Neiße zeigt, das die Verwaltung lokale Schwerpunkte im Rahmen der geltenden Schweinepest-Verordnung setzen. Der Landkreis Spree-Neiße zum 15. Juli eine neue Fassung veröffentlicht. Darin steht im Anhang II für das Kerngebiet und die Sperrzone II: „Tierhalter haben sämtliche Schweine so abzusondern, dass sie nicht mit Wildschweinen in Berührung kommen.“ Kein Aufstallungszwang. Es können sogar Ausnahmen in schriftlicher Form genehmigt werden. Der Landkreis Märkisch-Oderland ist etwas stringenter und listet ein „Verbot von Freiland- und Auslaufhaltungen“ noch in Klammern an. Ob als Imperativ oder Option ist noch nicht klar.

Unvernunft

Wie der Halter von Schweinen im Freiland oder mit Auslauf tatsächlich Biomaßnahmen gegen die ASP einhält, wird an unterster Stelle entschieden. Sowohl konventionelle und ökologische Nutztierhalter schützen ihre Tiere und halten sie in ASP-Gebieten unter Dach und Fach.

Theoretisch. Das in der Nähe von Berlin liegende Gut Hirschaue geriet mit der Haltung von Damwild und dem Deutschen Sattelschwein schon im November 2020 in das ASP-Risikogebiet. Zunächst wurde ein Besamungsverbot verhängt, später das Verbot der Freilandhaltung, dann kam eine Schlachtanordnung. In allen Fällen reichte ein Widerspruch für die Rücknahme der jeweiligen Pflichtmaßnahmen. Noch in diesem Mai schrieb das Bioland-Magazin von einem „Angriff auf die Freilandhaltung“. Die Restriktionen bei Außenhaltung würden nur zur Absicherung der Fleischexporte erlassen. Die den Betrieb vertretende Rechtsanwältin erkennt die Lücke, dass ein Freilandbetrieb nicht zu einer Aufstallung gezwungen werden kann.

Wessen Marktabsicherung?

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat zur generellen rechtlichen Klärung einen Spendenaufruf für die Kostendeckung klageführender Betriebe gestartet. Nach der Aufstallung verlieren die Ökobetriebe ihren Freilandstatus, der bei Verbrauchern beliebt ist. Auch das ist eine Marktabsicherung.

Trick 17?

Weiterführende Antworten vom BÖLW sind noch offen. Daher gilt bislang nur die offizielle Verlautbarung von Freitag. Demnach musste der Bio-Betrieb seine 200 Schweine seit September 2020 aufzustallen. Die artgerechte Auslaufhaltung sei demnach nicht der Grund für eine Infektion, heißt es voreilig.  Denn konventionelle Landwirte im Internet und auch Landesbauernpräsident Hendrik Wendorff (Ökobauer) haben die Freilandschweine als Risikoträger ausgemacht: „Der Fall zeigt, dass Bio-Haltungen und private Kleinsthaltungen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.“

Die Gründe für die Infektion sind derzeit noch gar nicht bekannt. Eine Task-Force untersucht den möglichen Eintragsweg. Im Verdacht steht eine Fütterung der Schweine unter freiem Himmel. Für alle drei Betriebe. Nachts Aufstallen und tagsüber im feien Füttern? Dann kommen die Raben in Betracht, die außerhalb am Wildschweinaas knabbern und innerhalb des Zauns am Schweinefutter. Da sind noch eine Menge Fragen offen. Sonst wird die regionale Erzeugung mit Freiluftschweinen ein Desaster für alle Landwirte [s. Ergänzung unten].

Folgen

Am schnellsten wird der Markt zu Beginn der neuen Schlachtwoche die Richtung aufzeigen. Nach Ausbruch der ASP im Wildschweinbestand 2020 musste Landwirtschaftsminister Axel Vogel für alle Schweinehalter kämpfen, weil die Schlachthöfe zunächst gar keine Brandenburger Schweine mehr schlachten wollten. Die Preise fielen. Nachdem sich der Markt auf die ASP eingestellt hat, kommt jetzt der nächste Dämpfer. Es wird sich zeigen, ob die Marktöffnungen, die das BMEL schrittweise erreicht hat, sich wieder schließen. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) warnt schon, preislich nicht eine Panik zu fallen und glaubt, dass ein stabiles Preisniveau ein gutes Signal wäre.

Ob der Preistrend am Montag auf die ASP-Fälle reagiert, bleibt noch offen. Denn die Hauspreise haben den Vereinigungspreis in der vergangenen Woche auf ihr Niveau um sechs Eurocent je Kilogramm Schlachtgewicht gedrückt (Stand 14.07.).

Übrigens: Nahezu alle Fachmedien schreiben bis heute noch immer vom „hohen  Infektionsdruck aus Polen“. Die ASP ist mittlerweile in Deutschland schon so endemisch, dass der „Infektionsdruck aus Deutschland“ für jede Art von Sperrzonen ausreicht.

Lesestoff:

[1] Erster ASP-Fall bei Hausschweinen in Deutschland: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/16-10-00-38-uhr-erster-bestaetigte-asp-faelle-bei-hausschweinen.html

Bund fördert, was föderal geht: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/asp-bund-koordiniert-was-foederal-geht.html

[2] EFSA – Risiko Feilaufhaltung: https://www.efsa.europa.eu/en/news/african-swine-fever-risks-outdoor-pig-farms?utm_source=EFSA+Newsletters&utm_campaign=57b34d49d2-EMAIL_ALERTS_ALL&utm_medium=email&utm_term=0_7ea646dd1d-57b34d49d2-63933677

[3] Friedrich-Loeffler-Institut: https://www.fli.de/de/aktuelles/kurznachrichten/neues-einzelansicht/erste-faelle-von-afrikanischer-schweinepest-bei-hausschweinen-bestaetigt/

[4] Auslauf und ASP unter einem Hut: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/asp-nichts-aufs-spiel-setzen.html

[5] Freilandschweine sind ein unnötiges Risiko: https://herd-und-hof.de/handel-/unnoetiges-asp-risiko-freilandschweine.html

Roland Krieg

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Ergänzung am 23.07.2021: Sowohl der Amtstierarzt als auch der Bürgermeister vor Ort haben bei einem Besuch im ASP-Gebiet Spree-Neiße am 21. Juli die Einhaltung aller Biosicherheitsmaßnahmen des betreffenden Bio-Betriebes versichert: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/afrikanische-schweinepest-im-landkreis-spree-neisse.html

Roland Krieg

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