Aus für MON810

Landwirtschaft

MON810-Verbot eine Chance für Sachlichkeit

Tausend Körner Mais wiegen zwischen 250 und 360 Gramm. Ein einzelnes nahezu nichts. Doch die Gewichtung, die von der Politik hineingelegt wird, lastet erdrückend auf die Maisbauern. Mais stellt wegen seiner benötigten Wärmesumme höchste Ansprüche an das Klima – die Sensibilität der Agrar- und Forschungspolitik wurde zuletzt in Maiseinheiten gemessen.
Heute hat Bundeslandswirtschaftsministerin Ilse Aigner die dräuenden Wolken über deutschen Maisfelder mit dem Anbauverbot der gentechnisch veränderten Maissorte MON810 hinfort gepustet. Ob wieder welche aufziehen, hängt davon ab, wie mit der Grünen Gentechnik zukünftig umgegangen wird. Aigner hat die Diskussion wieder auf Null gestellt. Es ging um mehr, als nur um die Zulassung einer Sorte, aber die Entscheidung betraf nur die Zulassung einer Sorte.

Wolken ueber MaisDeutschland zieht Schutzklausel
Heute Mittag gab Ilse Aigner bekannt, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit eine Schutzklausel nach § 20 Abs. 3 Gentechnikgesetz und Artikel 23 der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG gegenüber MON810 gezogen hat und die Bundesländer umgehend informiert, damit das jetzt geltende Anbau- und Handelsverbot für den Mais kontrolliert und eingehalten wird.
Das BVL, das Julius-Kühn-Institut und das Bundesamt für Naturschutz sind nach Prüfung des von Monsanto eingereichten Monitoring-Plans zu keiner einheitlichen Bewertung gekommen. Zudem hat sich nach Frankreich, Griechenland, den von der EU abgesegneten Anbauverboten in Österreich und Ungarn Ende März auch noch Luxemburg hinzugesellt, das auf Grund neuer Erkenntnisse, den Anbau der gentechnisch veränderten Sorte MON810 ebenfalls verbietet.
Erst am 09. April hatte Aigner alle Bewertungsunterlagen zusammen und dann über Ostern die Entscheidung gefällt, dass der Monsanto-Mais „eine Gefahr für die Umwelt“ darstellt – und heute den Anbau und Handel verboten.
Dr. Christian Grugel aus dem BMELV ergänzt, dass mit der Schutzklausel eine dauerhafte Festlegung getroffen ist, gegen die nur noch über den Rechtsweg Einspruch eingelegt werden könne. Nur gegen Frankreich hat Monsanto bislang Rechtsmittel eingelegt.
Ilse Aigner betonte, dass die Entscheidung keine politische sei, sondern auf Grund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die sich Luxemburg beruft. Die Entscheidung sei eine Einzelfallentscheidung über MON810 und erlaube keine prinzipielle Entscheidung über die Gentechnik insgesamt.

Hintergrund
Bis 2050 gibt es 50 Prozent mehr Menschen, die 50 Prozent mehr Nahrung brauchen, als heute produziert wird. Zusätzlich übernehmen die sich entwickelnden Länder die westlichen Nahrungsgewohnheiten mit verarbeiteten Produkten und höherem Fleischanteil in der Diät. Die meisten Menschen werden in Städten wohnen, wo sie auf den käuflichen Erwerb ihrer Nahrungsmittel angewiesen sind.
Die Mobilität der westlichen Industrienationen will einen Teil ihrer Fortbewegungsenergie von fossilem Erdöl auf nachwachsende Rohstoffe umstellen und die uns umgebenden Alltagsgegenstände aus Erdöl sollen ebenso aus pflanzlichen Primärprodukten polymerisiert werden, weil sie die einzigen sind, die eine stoffliche Produktion gewährleisten.

Derzeit verzehren die Menschen weltweit rund 30 Gramm tierisches Eiweiß am Tag. 2050 wird der Verzehr auf 40 Gramm steigen. Da jedoch für die Erzeugung tierischen Eiweißes Futterbau notwendig ist und diese Flächen nicht direkt der menschlichen Ernährung zur Verfügung stehen, ist das ein Problem. Die 10 Gramm mehr am Tag bedeuten eine Verdoppelung der heutigen Futterfläche. Sollen andere Nahrungsmittel in gleicher Weise zur Verfügung stehen, so kommt man um eine Intensivierung des Ackerbaus nicht herum. Man könnte den heutigen Verzehr auch global besser verteilen, denn in den Industriestaaten liegt der Verzehr bei 80, in den Entwicklungsländern bei 10 Gramm am Tag.
Q: ForschungsReport 2/2008

Jährlich leistet sich die Menschheit den Verlust von 20 Millionen Hektar Ackerland, das versalzt, durch Wind und Wasser erodiert wird, in dem Abfall Schwermetalle anreichert und Fläche durch Gewerbe, Straßenbau und Siedlungsgebiete versiegelt wird.
Wer also kein überzeugendes Verbraucherkonzept für den Verzicht auf Übergewicht und überdurchschnittlichen Ressourcenverbrauch hat, der wird nicht umhin können, ganz generell die Agrarwirtschaft für Nahrungsmittel, Treibstoff und pflanzlicher Rohstoffe zu intensivieren. Bleibt nicht fahrlässig, wer von vorne herein auf Technologiechancen verzichtet?

Sicherheitsforschung...
Die Biotechnologie sicher zu machen ist Aufgabe der Biosicherheitsforschung, die angetreten ist, belastbare Ergebnisse hervorzubringen. Das sind Ergebnisse, die überall und jederzeit reproduzierbar sind und daher einen erheblichen Anspruch auf Gültigkeit haben. So hat das jüngste Ergebnis einer zweijährigen Verfütterungsstudie von MON810 weder in der Kuh noch in der Milch Spuren des gentechnisch veränderten Mais gefunden. Ein Ergebnis der TU München , dass nicht jedem gefallen muss, um das jedoch niemand herum kommt.
So haben sich Sicherheitsforscher im Vorfeld mit verschiedenen offenen Briefen an die Bundesministerin gewandt, um gegen das drohende Anbauverbot zu votieren. Dr. Stefan Rauschen von der RWTH Aachen, Arbeitsgruppe Agrarökologie, und in der Sicherheitsforschung involviert: „Es konnten keine Hinweise darauf gefunden werden, dass von MON810 ein größeres, oder anderes Risiko einer Gefährdung der Umwelt ausgeht als vom konventionellen Maisanbau.“ Dr. Rauschen sieht in einem Anbauverbot von MON810 diese, an das Forschungsministerium und in Fachzeitschriften publizierten, Ergebnisse in Zweifel gezogen, obwohl sich Deutschland gerade für den Bereich Sicherheitsforschung, der mit rund 60 Millionen Euro finanziert wird, stark macht. Auch hinsichtlich einer Exportfähigkeit der Standards in die Länder, wo gentechnisch veränderte Pflanzen im Anbau, doch die Forschung nachlässiger betrieben wird.
Der Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V. (WGG) zielte kurz vor Ostern in einem öffentlichen Aufruf noch auf die politische Dimension der nahenden Entscheidung: „Es ist allerdings kein neues Phänomen, dass Politiker die Ergebnisse der hierzulande umfänglich praktizierten und von der Bundesregierung geförderten Sicherheitsforschung ignorieren. In der Öffentlichkeit herrscht nicht zuletzt deshalb unverändert die Meinung vor, die möglichen Folgen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen seien weitgehend unerforscht. Anstatt dieser Annahme mit den entsprechenden Fakten zu begegnen, soll aber nach Maßgabe von CSU-Politikern gerade die Sicherheitsforschung zukünftig behindert werden, mit der Begründung, sie sei zu riskant.“

...und Alltagszulassung
Allerdings fehlen aus den Kreisen der Wissenschaft auch die offenen Briefe an die Industrie – hier besonders an Monsanto. Seit mehr als einem Jahr wehrt sich das Tagfalter-Monitoring (TDM) standhaft gegen die fälschliche Einbeziehung ihrer Daten in das „Sicherheitsgutachten“ der Saatgutfirma Monsanto. Während die Firma unverfroren an seinem Vergleich zwischen Anbau und Tagfalterpopulation festhält und sich die Daten aus dem Internet kopierte, um zu der Aussage zu gelangen, MON810 wirke nicht auf die Tagfalterpopulation, stellten die Umweltforscher aus Leipzig einen Tag später erneut fest: „Wir distanzieren uns aus wissenschaftlicher Sicht nachdrücklich von den im Bericht von Monsanto präsentierten Analysen und Interpretationen zum Tagfalter-Monitoring. ... Wie auch immer die konkrete Abmachung zwischen Monsanto und BVL aussieht, ist aus wissenschaftlicher Sicht zu konstatieren, dass die vorliegenden Daten des TMD nicht geeignet sind, die Wirkungen des gentechnisch veränderten Mais MON810 zu bewerten.“
Man kann nicht auf der einen Seite hohe Sicherheitsstandards und Kausalitäten in der Biosicherheitsforschung einfordern und andererseits in der Alltagszulassung nicht nur geringere Standards, sondern sogar noch standardlose Begründungen zulassen. Hier sollten sich die Sicherheitsforscher ebenfalls indigniert fühlen, zumal das BVL eine Bundesbehörde ist.

Der Zweipunkt-Marienkäfer
Nun hat nicht der Flügelschlag des Tagfalters dem Agrarriesen Monsanto einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern der Zweipunkt-Marienkäfer. Abteilungsleiter Martin Köhler nannte einige Details der Studie, auf die sich Luxemburg beruft. Im Larvenstadium erleidet der Käfer bei Verfütterung von MON810 eine höhere Sterblichkeit und auch Daphnien, Wasserorganismen, erlitten Wachstumsdepressionen.
Der Zweipunkt-Marienkäfer kommt gerade recht, denn er dient dem Argument, die Entscheidung über die Schutzklausel sei wissenschaftlich gerechtfertigt und nicht politisch. Warum allerdings nicht die ebenfalls aktuelle Studie der TU München herangezogen wurde, bleibt nebulös. Natürlich sind, so Dr. Christian Grugel vom BMELV, die untersuchten Risiken nicht vorher im Fokus der Betrachter gewesen und es wirke auch nicht die Studie im Einzelnen. Das Gesamtbild der unterschiedlichen Bewertungen des Monsantoberichts, neue Risikoerkenntnisse und immer noch offene Fragen, haben das BMEV heute zu dieser Entscheidung veranlasst. Martin Köhler sagte zu der Marienkäferstudie, dass die Experten das Ergebnis noch nicht haben verifizieren können, doch der Zeitpunkt bis zur möglichen Aussaat habe keine andere Option zugelassen. Hier beendet die Politik das Bild, das die Wissenschaft malt du nie vollenden werden wird.

Öffentliche Meinung
Jederzeit wiederholbar sind Umfrageergebnisse bei Verbrauchern, ob sie für oder gegen die grüne Gentechnik sind. Umfragen bei Bauern sehen etwas anders aus, wie der Göttinger Agrarökonom Prof. Dr. Achim Spiller einmal ermittelte. Vielleicht sähen sie bei Verbrauchern auch anders aus, wenn sie mit der Gentechnik besser vertraut wären und Nichtregierungsorganisationen vor dem bayrischen Landtag keine Fahnen von „Horror-Mais“ hissten. Anfang April wurden Versuchsflächen der Sicherheitsforschung in Groß Lüsewitz in Mecklenburg-Vorpommern besetzt. Der Geist der Feldbesetzung resultiert nicht aus Versuchsergebnissen der TU München, sondern aus hanebüchenen Folgerungen der Industrie und dem fehlendem Einspruch der Bundesbehörde. Agrarminister Dr. Till Backhaus aus Schwerin forderte angesichts der Feldbesetzung: „Die aktuellen Diskussionen und die teilweise widersprüchlichen Argumentationen haben zudem belegt, dass es wichtig ist, sich auf der Grundlage eigener wissenschaftlicher Erkenntnisse ein eigenes Urteil zu bilden.“ Jetzt haben die Verbraucher die Wahl und die Wichtung zwischen Zweipunkt-Marienkäfer und Kühe der TU München.

MaisLangweiler MON810
Das Verbot der Zulassung für MON810 ist also kein Verbot der Sicherheitsforschung. Das Verbot bietet die Chance, das Thema grüne Gentechnik erneut von vorne zu beginnen und unseriösen Ballast abzuwerfen. Wobei die Halbwertszeit dieser Erkenntnis wohl in Legislaturperioden bemessen wird.
MON810 ist im engeren Sinne, ackerbaulich gesehen, allerdings auch ein Langweiler. Der Ökolandbau kritisiert zu Recht das geringe Ergebnis nach Jahrzehntelanger Forschung und hohem Investitionsaufwand, lediglich gegenüber einem Schädling tolerant zu sein oder gegen Pflanzenschutzmittel, während die Agrarwissenschaft mit Fruchtfolgenketten und digitaler Landnutzungsplanung nachhaltigere Alternativen anbietet.
Auch haben die Wissenschaftler hinzugelernt. Ein Gen, ein Protein, ein Effekt: Das gilt schon lange nicht mehr. Viele Eigenschaften liegen auf verschiedene Genorte verteilt und können durchaus unerwünschte Genregulationen aufweisen. Mittlerweile wird auch nicht mehr das Erbgut im Zellkern verändert, sondern das Neueste ist die Veränderung in den Plastiden der Zelle. Die Zellbestandteile, wie die Mitochondrien, besitzen ebenfalls den gleichen Chromosomensatz, werden aber nicht über den Pollen weitervererbt. Damit würden sich verbesserte Eigenschaften genauso wenig ausbreiten, wie Pflanzen mit sterilem Pollen.
Die wirkliche Herausforderung für die Zukunft liegt in der Komplexität. Bei der demokratischen Verteilung der Erdressourcen auf alle Menschen wird eine gentechnisch veränderte Pflanze versagen und wenn die Bauern und Industrie offener rechnen würden, wäre der Verzicht auf die Gentechnik offenbar kein Problem, wie der „Schadensbericht“ zur Gentechnik des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft aufzeigt. Sie könnte aber ihren Teil beitragen, wenn sie sich rechnet, nicht andere Alternativen und Märkte verdrängt und wenn Verbraucher sich frei und fundiert ein eigenes Bild machen können.

Neues Strategiepapier
So wie vor der Entscheidung viele Fragen offen geblieben sind, bleiben auch nach der Entscheidung noch Fragen offen. Ilse Aigner hat ein Strategiepapier angekündet, dass auch bei Mitwirkung von Gentechnikkritikern, die zukünftige Behandlung des Themas regeln soll. Man wolle, so Aigner, die Studien nicht nur den Saatgutanbietern überlassen. Es ist ein Programm zur Sicherheitsforschung vorgesehen und ein Leitfaden für die künftige Genehmigungspraxis zu erarbeiten. Darin enthalten soll auch die Frage zur Handhabung der Ausweisung von gentechnikfreien Regionen sein.

Die Reaktionen auf das Verbot gibt es morgen.

Roland Krieg; Fotos: roRo

Zurück