Bartmer: „Erkennt die Signale!“

Landwirtschaft

DLG-Wintertagung: Mit Ehrlichkeit Vertrauen gewinnen

Kühe sollen nicht mehr ganzjährig angebunden werden. Wird das umgesetzt, verschwindet nahezu jeder zweite Ökobetrieb in Bayern. Verbraucher wünschen sich „keine Chemie“ mehr auf dem Teller, doch legen chemischen Umsetzungsprozesse bei der Verdauung den Grundstein für das eigene Leben. Der sparsame Einsatz von Glyphosat in Deutschland wird mit den negativen gesundheitlichen Auswirkungen eines hemmungslosen Gebrauchs in Südamerika verglichen. Im Streit um die Landwirtschaft bleibt die fachliche Expertise auf der Strecke, zumal Konsumenten und praktische Landwirtschaft vor Jahrzehnten schon getrennte Wege gegangen sind.

Daher blickt Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), auf ein „postfaktisches Jahr 2016“ zurück. Die Wintertagung der DLG im neuen zeitlichen und inhaltlichen Format auf dem Messegelände in Hannover hat am Mittwoch ein Zeichen für eine wettbewerbsfähige und umweltfreundliche Landwirtschaft gesetzt, die nah an Mensch und Tier steht. „Signale erkennen. Weichen stellen. Vertrauen gewinnen“ lautete das Motto, dass die DLG schon zu Beginn der Grünen Woche mit 10 Thesen auf die politische Bühne gebracht hat. Zum Ärger des Deutschen Bauernverbandes, der sich  während der Messe mit dieser Steilvorlage hat messen lassen müssen.

Die DLG hat in den letzten Jahren mit Selbstkritik nie gespart und setzt die fachliche Expertise aus ökologischer und konventioneller Landwirtschaft gegen die faktenbefreite Diskussion in der Öffentlichkeit. Nicht alles was gewünscht ist, kann auch umgesetzt werden und nicht alles in der betrieblichen Realität entspricht der Sorgfalt. „Teile unserer Produktionskonzepte [haben] das Optimum überschritten“, stellt Bartmer fest: „zu Lasten der Umwelt, zu Lasten der natürlichen Ressourcen auch folgender Generationen.“ Doch heißt es „Signale“ zu erkennen. Das Substantiv zog sich am Mittwoch als roter Faden durch seine Rede. Damit meint Bartmer nicht nur die Instabilität mancher Systeme, sondern auch die Herausforderungen, wie die Ernährung von 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 zu sichern sei. Die nachholende Entwicklung in der Entwicklungspolitik ist gescheitert. Damit meinen die Experten, dass Afrika die gleichen Schritte machen muss, wie Westeuropa: Mechanisierung der Landwirtschaft setzt Arbeitskräfte frei, die in der Industrie der Städte Nahrung und Arbeit finden.  Das einzige, was der ländliche Raum im Süden  „nachholt“, ist der Konsum an Fleisch- und Milchprodukten in Regionen, die keine Probleme mit Übergewicht haben. Daher wird 2030 und darüber hinaus die Veredelung von Futter ein ernsthafter Betriebszweig bleiben – egal wie sich die Europäer dazu positionieren.

Vor diesem Hintergrund sind die zehn Thesen der DLG nach einer zweitägigen Klausur entstanden. Sie sollen der „ethischen Verschiebungen im Verhältnis von Mensch und Tier und einer stärkeren Fokussierung des Umweltschutzes“ die Landwirtschaft modernisieren helfen. Die DLG will mit ihren Expertisen die konkurrierenden Ziele zwischen steigenden Erträgen und Umweltschutz bewältigen und mit den richtigen Weichen keinen Wende-Propheten den Weg bereiten, die möglicherweise 2030 an den Zielen der Welternährung gescheitert sein werden.

Zum Lesen der Signale zählt auch der selbstkritische Blick der Landwirte. Der Berufsstand muss selbst aktiv werden und die Ziele und Definition der Systemgrenzen nicht der Politik überlassen. Das heißt nach Bartmer aber auch: Nicht jeder Landwirt kann dem Modernisierungspfad folgen. Landwirte von unwirtschaftlichen Betrieben und mit überholter Technik sollten die Fortführng der neuen Generation überlassen. Dabei muss sich der Weg nicht zwischen Ökologie und Konventionell unterscheiden müssen. Der Ökolandbau braucht Professionalisierung und die konventionelle Landwirtschaft eine Ökologisierung. Der Bartmer´sche Modernisierungspfad sieht keine zentrale Programmatik der Landbewirtschaftung vor.

Voraussetzung ist „Ehrlichkeit“ bei allen. Verunkrautung ist ein Riesenproblem in der Ökolandwirtschaft, zu enge Fruchtfolgen sind ein Riesenproblem der konventionellen Landwirtschaft. Wer sich wegduckt, der überlässt „die Deutungshoheit zur Agrarwelt der Zukunft Dritten“. Bartmer spricht sich für einen offenen Horizont aus und gegen das „Wagenburg-Denken“.

Da verlässt der Präsident mit seinem politischen Amt die Ebene der fachlichen Expertise und mischt sich in das Konzept des Deutschen Bauernverbandes (DBV) ein, dessen Aufgabe die politische Interessensvertretung ist. An der fachlichen und politischen Aufteilung der Konzepte will Bartmer nichts ändern, sagte er zu Herd-und-Hof.de. Auch wenn das neue Berliner Büro sicher nicht wegen der hohen Dichte an praktischen Landwirten eingerichtet wurde. DLG und DBV tauschten sich regelmäßig aus. Doch das Ansprechen von Defiziten will Bartmer sich auch künftig nicht verkneifen. Da ergibt sich sich die Antwort von alleine: Brauchen die Konsumenten, Bürger und Wähler mehr politische Interessensvertretung oder fachliche Expertise?

Roland Krieg

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