Bauern: Wie groß ist das Missverständnis?

Landwirtschaft

Sturzflut, Dürre, Politik

Das Dürrejahr 2018 hat den Menschen in Deutschland den Klimawandel sehr nahe gebracht. Wer nicht ausschließlich in der Stadt unterwegs war, musste die trockenen Felder wahrnehmen. Was das mit den Konsumenten zu tun hat, wurde eher nebensächlich klar. Die Geschäfte hatten weiterhin alle 70.000 Artikel von morgens 07:00 bis abends 22:00 Uhr vorrätig. Nur bei Salaten wurde es manchmal knapper und teurer.

Die ökonomische Analyse

Was die Konsumenten zu diesem Zeitpunkt verdrängten hatten, waren die Bilder von auf den Feldern abgesoffenen Mähdreschern im Jahr davor. Die Landwirte hatten das nicht verdrängt und spürten nach den Spätfrösten und Fluten 2017 dann noch die Dürren 2018 und zum Teil wiederholt von 2019. Im Gegensatz zu den Verbrauchern spüren die Landwirte sehr wohl die Auswirkungen in der Geldbörse.

Die Landwirte sind nicht gegen Insektenschutz. Sie wollen auch nicht das Trinkwasser vergiften. Die Hysterie um die Eingriffe in die Landwirtschaf führen diese Beschuldigungen über den Subtext in die Breite der Bevölkerung. Wer die demonstrierenden Landwirte wirklich verstehen will, der muss sich noch bis Anfang Dezember gedulden. Dann wird der neue Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes vorgestellt, der auf der Auswertung von realen Buchführungsergebnissen basiert.

Eine knappe Ernte dankt dem Glücklichen normalerweise mit steigenden Preisen. Das aber war weder 2018 noch 2019 der Fall. Das kleine Auf und Ab bei Getreide, das stetig abgleitende Preisniveau bei Raps, die niedrigen Zuckerpreise und ein Milchpreisniveau auf dem Level der Milchkrise vor zehn Jahren sind die eine Seite. Die landwirtschaftlichen Betriebsmittel hingegen sind im Wirtschaftsjahr 2017/2018 um 2,1 Prozent gestiegen. Im ersten Quartal des neuen Wirtschaftsjahres 2018/2019 hat die Teuerungsrate der Betriebsmittel die Schere zwischen Aufwand und Ertrag mit über vier Prozent Plus weiter auseinander gebracht.

Je Familienarbeitskraft haben die Betriebe im Durchschnitt 45.700 Euro brutto pro Jahr verdient. Von den 3.800 Euro Brutto je Monat ist nicht nur die soziale Absicherung zu finanzieren, sondern auch die Neuinvestition in Landmaschinen, artgerechte Ställe und Digitalisierung.

Anforderungen von außen

In diese Gemengelage drängen neue Herausforderungen, wie die Dünge-Verordnung, das Verbot von Glyphosat, breitere Gewässerrandstreifen und artgerechtere Tierhaltung. Betriebsindividuell kommen die einen Landwirte damit besser zurecht als andere. Betriebe, die beispielsweise im Schwarzwald mit 20 Kühen auf 30 Hektar im Nebenerwerb wirtschaften kommen damit auch zurecht, wenn der Landwirt den Betrieb im Nebenerwerb führt; der Stall stammt aus den 1970er Jahren, der Traktor aus den 80er Jahren, solange die Melkmaschine durchhält und der Stall nur einmal im Jahr gekalkt werden muss, geht es. Dieser Betrieb hält auch bei 20 Cent Milchpreis durch, weil das für den aktuellen Cash Flow ausreicht. Aber für nicht mehr. Schon gar nicht für eine Hofnachfolge. Das Betriebsende ist mit der Verrentung des Inhabers absehbar.

Was die Landwirte gemeinsam auf die Straße treibt ist die länderspezifische Unzufriedenheit. Die Ackerbauern im Südwesten fühlen sich im Rahmen der Dünge-Verordnung in Mithaftung für die niedersächsische Viehdichte genommen. Die bayerischen Bauern kündigen den Solidarpakt für die Kappung auf und hoffen auf mehr Geld ihre kleineren Betriebe. Den kapitalintensiven Betriebe im Osten droht mit fehlender Liquidität das Aus bei Fremdarbeitskräften und Stallerneuerung. Dort geht dann ohne Investoren gar nichts mehr.

Den Überblick in dieser Lage zu behalten ist schwierig. Sie hat auf den Betrieben einen kritischen Punkt erreicht, bei dem die Zahl der Verlierer größer als die Zahl der Gewinner und Durchhalter wird. Verkürzte Lösungsformeln geraten schnell in den falschen Hals [1]. Zusätzlich sind die Menschenfänger der AfD unterwegs, die mit Minimalsätzen, wie dem Erhalt der kleinen und bäuerlichen Landwirtschaft, Wähler in ihre Arme nehmen wollen, wo die von dieser Partei geduldeten Rassisten und Nazis warm gehalten werden.

Das Versagen der etablierten Parteien liegt an einer fehlenden Analyse und konkretem Gegensteuern.

Was hilft denn jetzt?

Öko-Landwirt Benedikt Bösel aus Brieselang in Brandenburg hat auf dem Symposium des Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) zum Thema Landwirtschaft und Klima vergangene Woche die Situation ganz einfach beschrieben: „Man nimmt den Landwirten etwas weg, womit sie Geld verdienen, und zahlt ihnen dafür keinen Ausgleich.“

Agrar-Ökonom Prof. Dr. Harald Grethe von der HU Berlin formuliert das auf der Veranstaltung akademisch: Sowohl von den Alternativen für eine neue Form der Landbewirtschaftung als auch von Zielen der Sustainable Development Goals und Pariser Klimaverträge liegt für eine konkrete Umsetzung alles vor. Aber: „De facto tun wir das ja kaum!“ Die Agrarpolitik subventioniert den Bodenbesitz, die gesellschaftlichen Wünsche nach sauberem Wasser und emissionsfreier Luft sowie hoher Biodiversität haben keinen Markt, über den diese Güter eingepreist werden.

Obwohl das ja auch nicht stimmt. Denn vor neun Jahren bereits hat die „Ökonomie der Ökosysteme und Biodiversität“ (TEEB) im Rahmen des Nagoya-Protokolls die Bewertungskriterien mit Politikempfehlungen vorgestellt [2]. Immerhin gibt es noch einen Newsletter für TEEB. Eingang in die aktuelle Politik hat es zusammen mit den Erkenntnissen der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ nicht [3]. So wird aus dem von Prof. Grethe bezeichneten Marktversagen ein Politikversagen.

Betrachtungsversagen

Auch Frank Ewert schlägt eine neue Honorierung für die Landwirtschaft vor [4]. Prof. Ewert ist Leiter des ZALF. Auf dem ZALF-Symposium betonte er, das die alleinige Betrachtung der Produktionsebene im Agrar- und Ernährungsbereich nicht ausreicht und nicht zielführend sei. Notwendig ist die Änderung des gesamten Lebensstils. Das Versagen des Einzelnen empfinden die Landwirte als Problem. Der Zeigefinger auf die Bauern gilt zu Vielen als Entschuldigung, selbst aktiv zu werden. Gerade die Öko-Konsumenten sind Vielflieger, Gern-Reisende und kaufen Ökoprodukte mehrheitlich im Discount.

Permakultur ist das Leitbild der Fridays for Future-Generation. Das ZALF hatte mit Florian Demke und Aenne Mothe  zwei Berliner Aktivisten eingeladen, die zum Berliner Klimakabinett 1,4 Millionen Menschen auf die Straße brachten. Wer sich das Werbebild zur Permakultur ansieht [5], der wird sich bei acht arbeitenden Menschen kaum vorstellen wollen, wieder freiwillig, zurück in die Landwirtschaft zu gehen. Gerade Frauen tauschen ihre Familienarbeitskraft auf den Höfen gegen eigene selbstständige Arbeit ein. Das Dreifachleben, Bäuerin, Mutter und Ehefrau wird kaum ein „Neuzeitmensch“ Jahrzehnte durchhalten wollen.

Brüssel

Der Ökolandbau ist als Selbstzweck keine Alternative. Wer Betriebe in die Umstellung fördert, ohne dass der Konsum entsprechend nachwächst, ändert an der ökonomischen Perspektive der Betriebe nicht viel [6]. Die Edeka hat in Hamburg den ersten Bio-Supermarkt etabliert und wenn der Ökomarkt einmal 20 Prozent und mehr erreicht hat, kommen die heute schon sichtbaren Verwerfungen deutlicher zu Tage. Der Naturkostfachhandel wirft den Bio-Supermärkten vor, genauso hart über Listungspreise zu verhandeln wie der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel.

Staatssekretär Dr. Hermann Onko Aeikens beim Bundeslandwirtschaftsministerium weiß, dass Landwirte technikaffin sind. Doch ausgerechnet der Ökolandbau beäugt technische Fortschritte skeptisch. Mit beispielsweise dem Generalverdacht, das alle neuen Züchtungstechniken wie alte Gentechnik zu bewerten sind [7]. Das Ziel, mit einem Produktivitätsniveau aus den 1950er Jahren zehn Milliarden Menschen zu ernähren hält Ewert ohne neue sich entwickelnde Lebensstile für unmöglich.

Die Politik braucht mehr Mut, technische Lösungen und gesellschaftliche Wünsche mit neuen Ökonomien in Einklang zu bringen. Ein Herumdoktern an einstmals bewährten Säulenmodellen kann nur zur Daueraufgabe werden.

Mit Blick auf die ökonomische Lage der Betriebe und dem Wort von Ökobauern Bösel, ist es tatsächlich so, dass Landwirten Dünger und Pflanzenschutz genommen wird, mit deren Einsatz das Einkommen erzielt wird, das zur Hälfte mit den Direktzahlungen ergänzt werden muss. Die zweite Säule darf nach EU-Recht nicht mehr als ein Ausgleich für die zusätzlichen Aufwendungen sein. Durch die kürzlich beschlossene Erhöhung der Umschichtung von Agrargeldern von 4,5 auf sechs Prozent aus der ersten in die zweite Säule kostet nach Angaben des Parlamentarischen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 4,50 Euro Einkommen pro Hektar. Das sagte er vergangenen Freitag im Bundesrat bei der Beschlussfassung. Wenn die Erträge sinken, ohne dass die Einkommen steigen, führt das die Betriebe in eine ausweglose Situation.

Engpass ist die Einkommensneutralität der zweiten Säule. Doch auch auch hier gibt es ein Konzept [8]. Parteipolitisch abgelehnt, hätte der Vorschlag aus Mecklenburg-Vorpommern als Blaupause für überparteilich konkrete Zielstellungen dienen können. Oder wie Willy Brandt es formulierte: „Es braucht außerordentliche Vorstellungen, sich gegenseitig zu verstehen.“

Jetzt ist die Zeit für diese außerordentlichen Anstrengungen. Dem Schrecken, dass sich der Europäische Rat vergangene Woche nicht auf einen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) hat einigen können, muss die Chance weichen, sich doch noch neu zu verständigen. Die Brüsseler Logik lautet: Kein MFR, kein Agrarbudget; kein Agrarbudget, keine Zielvorstellungen für die Konditionierung der Agrargelder.

Finnland will zumindest bis Jahresende, zum Ende seiner Ratspräsidentschaft, einen Rahmenplan vorlegen. Deutschland trägt in der zweiten Hälfte 2020 diesen Hut. Eine einkommensrelevante zweite Säule gibt nicht nur den gesellschaftlichen Leistungen einen Markt, sondern entspricht auch den Zielen des neuen EU-Agrarkommissars Janusz Wojciechowski. Er will die externe Konvergenz der osteuropäischen Länder schneller angleichen [9]. Ob die Gelder aus der ersten oder zweiten Säule kommen, dürfte ihm egal sein.

Was Deutschland braucht: Eine alles andere als konfliktscheue Landwirtschaftsministerin. Die lautstarke Kritik der letzten Wochen aus allen Richtungen zeigt, so die übliche politische Lesart, dass sie auf den Weg eines Kompromisses ist. Nicht auszudenken, wenn es eine erste Privatklage eines Grundstückseigentümers gegen erhöhte Nitratwerte in seinem Brunnen gibt [10].

In einem Brief an die eigene Fraktion schreibt sie zwar von zusätzlicher Unterstützung bei zusätzlichen Anforderungen. Der Blick in den landwirtschaftlichen Geldbeutel zeigt: Das eicht noch nicht. Mehr Geld? Von den ersten Überlegungen, mehr als ein Prozent des Bruttosozialproduktes an Brüssel zu überweisen, ist die Bundesregierung abgerückt. Jetzt ist noch Zeit, darüber nachzudenken, was die Agenda 2030 und die Pariser Klimaziele ökonomisch wert sind. Die Landwirtschaft ist dabei nur ein Teil.

Lesestoff:

[1] Die Demo-Wochen der Bauern: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/demo-woche-der-bauern.html

[2] Schlussbericht Teeb: https://herd-und-hof.de/handel-/schlussbericht-teeb.html

[3] Wohlstand ist mehr als das BIP: https://herd-und-hof.de/handel-/abschied-vom-bip.html

[4] Verbraucher und Landwirte sind gemeinsam gefragt: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-zukunft-der-landwirtschaft.html

[5] https://permakultur.de/home/

[6] Die Angst der Vermarkter vor der Umstellung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/sorgen-um-den-markt-fuer-bio-schweine.html

[7] Nachweisbarketi von Genom Editing: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/nachweisbarkeit-von-genom-editing.html  und Vorteile systematischer Pflanzenforschung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-ewige-nachbau-streit.html

[8] Der GAP-Hammer https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-gap-hammer-aus-mv.html

[9] Janusz Wojciechowski: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/wojciechowski-neuer-agrar-kommissar.html

[10] EuGH erlaubt Privatklage gegen Nitratwerte in eigenem Brunnen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/eugh-erlaubt-privatklage-gegen-nitratwerte.html

Roland Krieg

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