Bauerndemo zur Grünen Woche
Landwirtschaft
Ein, zwei viele landwirtschaftliche Familienbetriebe
Am kommenden Samstag demonstrieren Kirchen, Umweltverbände, Bioverbände und konventionelle Bauern in Berlin gegen „Agrarindustrie und Massentierhaltung“. Bereits zum Dritten Mal erwarten die Organisationen mehr als 15.000 Demonstranten und haben im Programm zur Grünen Woche einen „sichtbaren Pflock“ eingeschlagen, wie es Dr. Rupert Ebner, Tierarzt und Vorstand von Slow Food bei der Vorschau am Montag in Berlin bezeichnete. Doch in wessen Herz wird der Pflock getrieben?
Betriebliche Vielfalt
Rund 290.000 landwirtschaftliche Betriebe gibt es in Deutschland. In den letzten fünf Jahren haben 35.000 Betriebe aufgegeben. Die Mehrzahl der Betriebe ist noch klein, jeweils ein Viertel bewirtschaftet 20 bis 50 Hektar, und ein weiteres Viertel zwischen fünf und zehn Hektar. Zwei Drittel der Ackerfläche wird aber von Betrieben mit mehr als 100 Hektar bewirtschaftet.
Die Betriebe produzieren nach ökologischen und konventionellen Wirtschaftsmethoden, rund die Hälfte lebt alleine von ihrem landwirtschaftlichen Einkommen, die andere Hälfte betreibt Landwirtschaft im Nebenerwerb [1].
Der langfristige Strukturwandel führt zu Betriebsvergrößerungen und Produktionskonzentrationen. 1993 gab es noch 221.000 Milchviehbetriebe, heute sind es nur noch 85.000. In der Schweinemast haben in den letzten 20 Jahren zwei Drittel der Familienbetriebe aufgegeben und die Produktion an die gewerbliche Landwirtschaft abgegeben.
Agrarindustrie
Diese Form der Landwirtschaft steht im Visier des Agrarbündnisses wie die etwa 5.100 juristischen Personen. Das sind die vornehmlich in Ostdeutschland wirtschaftenden Agrargenossenschaften, GmbHs und AGs.
Gegenüber Herd-und-Hof.de hat Bernd Voss, konventioneller Milchbauer in Schleswig-Holstein und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Adressaten der Demonstration differenziert. In den letzten vier Jahren sind zehn Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte ausgeschieden und selbst die konventionellen Betriebe sind durch eine fehlgeleitete Agrarpolitik nicht mehr wettbewerbsfähig gegenüber den großen Agrarinvestoren.
Diese folgen dem Credo „Wachsen oder Weichen“ und setzen „in haltlosem Maße“ Fremdenergie ein, ergänzt Dr. Ebner. Die Familienbetriebe leiden beispielsweise darunter, dass sie ihre Kartoffeln siebenmal spritzen müssen – ob sie wollen oder nicht. Sonst bildet sich ein feiner Schorf, so dass der Handel die Ware nicht mehr glaubt vermarkten zu können: Auf diese Weise regelt der Parameter „Waschbarkeit der Kartoffel“ den betrieblichen Alltag.
„Agrarpolitik ist Gesellschaftspolitik“, so Dr. Ebner weiter und nicht für Spezialbetriebe anzuwenden, die sich durch den Strukturwandel herausbilden und gefördert werden. Darunter leiden Öko- und konventionelle Bauern, ergänzt Voss.
Das Familienbild
Für die Demonstranten stellt der eigentümergeführte landwirtschaftliche Betrieb das Gegenbild zur Agrarindustrie dar und wird bei den Landtags- und der Bundestagswahl in diesem Jahr dauerhaft thematisiert.
Der eigentliche Skandal liege in den leeren Versprechungen der deutschen Agrarpolitik. Jochen Fritz, Sprecher der Demonstration, listet auf: Die Bindung der Tierhaltung an eigene Futterflächen fehle, die Ausrichtung der Investitionen auf ökologische und soziale Kriterien sei noch nicht gegeben, die Senkung des Antibiotikaeinsatzes hat noch nicht gegriffen und Auflagen für die Tierhaltung wie Stroh und ein größeres Platzangebot fehlen.
Deshalb werde am Samstag Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner im Mittelpunkt der Demonstration stehen. Der Ausbruch aus einem engen Tierkäfig neben einer „passiven Landwirtschaftsministerin“ bildet den Start zum Umzug durch die Innenstadt bis zum Bundeskanzleramt.
Junge Bauern
Julia Römer, Sprecherin der BUND Jugend, hält die Themen für sensibilisierend wie die die Anti-Atom-Demonstrationen in den 1980er Jahren. Junge Menschen kommen aus Sorge um die Tierhaltung und Nahrungsmittelsicherheit zur Agraropposition. Der jungen Leute haben einen neuen Bezug zur Landwirtschaft, erklärte Römer gegenüber Herd-und-Hof.de. Der Zustrom auf dem Land sei durchaus bäuerlich orientiert. Projekte werden mit den Bauern vor Ort umgesetzt. Die jungen Menschen in der Stadt haben sich ihre eigene Praxis geschaffen [2]. Urban Gardening und solidarische Landwirtschaft bieten auch jungen Städtern den Praxisbezug zu Beet, Fisch und Ferkeln.
Lesestoff:
[1] Nebenerwerb sichert den ländlichen Raum
[2] Aquaponik: Landwirtschaft ohne Bauern
Roland Krieg
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