Beim Tierschutz gibt es keinen Binnenmarkt

Landwirtschaft

Agri: Tiertransporte, Kontrollen und Struktur

Europaparlament in Brüssel

Der europäische Agrarausschuss hatte diesen Montag den Tierschutz in allen Varianten auf dem Programm: Analyse des Rechnungshofes, Studie zu Standards und einen eigenen Bericht über Langstreckentiertransporte. Hinter allem steht auch die Strukturfrage.

Die Richtung des Europaparlamentes

Der Entwurf des Dänen Jörn Dohrmann (ECR) für eine Entschließung zu Tiertransporten an die Kommission und den Agrarrat weist zwei Kernpunkte für allgemeinen Tierschutz auf. Zum einen fehlen für eine kohärente und harmonisierte Durchsetzung von Tierwohl zwischen Haltung, Transport und Schlachtung „abschreckende Sanktionen“ und die Zahlungen aus der Agrarpolitik sind unzureichend an Tierschutzstandards gebunden.

Viel Geld – zu wenig Wirkung?

Die EU hat die höchsten Tierschutzstandards und kennt sowohl beim Tierwohl als auch beim Tiertransport viele gute Beispiele, erklärte Janusz Wojciechowski vom Europäischen Rechnungshof. Dessen Tierschutzbericht beleuchtete Mitte November aber auch die Schwachstellen. Die EU-Gelder von 1,5 Milliarden Euro für höhere Tierschutzstandards über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) wurden in den Ländern sehr unterschiedlich angewandt.

Der Mitte November vorgestellte Bericht hat die Lücken zwischen Gesellschaftswünschen und Nutztierwirklichkeit aufgezeigt und stützt in seiner Kritik die Richtung des EU-Parlamentes. Neben erfolgreichen Maßnahmen gibt es Raum für Verbesserungen.

Vor allem hat der Bericht auf Basis der Untersuchung in fünf Ländern gezeigt, dass die Standards sehr unterschiedlich angesetzt werden. Die Christdemokratin Annie Schreijer-Pierik aus den Niederlanden betont, dass Betäubung vor der Schlachtung unabdingbar ist. In Polen hingegen gibt es keine Daten und fehlt die Übersicht, ob Tiere wirklich nur aus religiösen Gründen ohne Betäubung geschlachtet werden [1], ergänzte Wojciechowski. Immerhin: Sogar die niederländische Tierrechtlerin Anja Hazekamp gab zu, dass es genug Gesetze gibt. Die Umsetzung erfolge zwischen den Länder jedoch nicht einheitlich.

Der Flickenteppich europäischer Tierschutz

Die Autoren Willy Baltussen und Hans Spoolder von der niederländischen Universität Wageningen haben ihre Studie über die Umsetzung der Tierschutzgesetze beim Tiertransport aus der EU-Verordnung 1/2005 vorgelegt. Die Analyse geht bis zum Jahr 2015, weil aktuellere Daten nur lückenhaft sind.

Das größte Problem ist die mangelnde Fitness der Tiere für Transporte. 2014 und 2015 stieg der Anteil mangelnder Fitness bei Beanstandungen von 28 auf 43 Prozent. Bei Abfahrt. Wenn Tiere als gesund aufgeladen wurden haben sie ihre Fitness nach tagelangem Transport verloren, ergänzt Anja Hazekamp. Das Problem nimmt numerisch zu, denn die Zahl der Tiertransporte hat gegenüber der Periode 2005 bis 2009 im Zeitraum 2009 bis 2015 um 20 Prozent zugenommen. Im Jahr 2015 wurden insgesamt 1,492 Milliarden Tiere in der EU transportiert. Den überwiegenden Teil nahm das Geflügel inklusive der Eintagsküken mit 1,451 Milliarden ein. Hinzu kamen vier Millionen Rinder und 33 Millionen Schweine.  

2015 gab es knapp 440.000 Transporte, von denen 290.000 länger als acht Stunden dauerten. 16.000 davon sogar länger als 24 und 29 Stunden. Die 29 Stunden beinhalten den notwendigen Halt an Versorgungsstellen.

Bei 1,3 Millionen Transportprüfungen gab es 18.000 Beanstandungen mit 10 Anordnungen von Maßnahmen. Die Zahl der Prüfungen hat sich seit 2009 halbiert, die Zahl der Beanstandungen um ein Drittel verringert. Die hohe Zahl der Prüfungen schließt die Prüfung bei der Verladung der Tiere mit ein. Manche Länder kontrollieren gar nicht und können daher keine Verstöße melden. Österreich kontrolliert sehr scharf. Da fahren die Tiertransporter nur leer wieder zurück zum Ausgangsort. Die unterschiedliche Kontrollintensität gehört zur Routenplanung dazu.

Nach der mangelnden Fitness sind Transportumstände die zweitmeiste Begründung für Mängel. Geht fehlendes Platzangebot noch auf eine Überladung zurück, ist die fehlende Stockhöhe ein Fehler bei der Auswahl der Transporter. Das ist für die Sozialdemokratin Maria Noichl schon ein strukturelles Problem, wenn zur Abholung trotz ausreichender Dokumentation und Planung ein zu kleines Fahrzeug auf den Hof fährt. „Da kann man nicht mehr von einem Einzelfallversagen sprechen.“

Jan Huitema von den niederländischen Liberalen will das Problem mit Echt-Zeit-GPS und Veröffentlichung der Daten lösen. Die hohen Anforderungen der Gesellschaft rechtfertigen diese Vorgehensweise. Seine bayerische Parteikollegin Ulrike Müller setzt den Hebel bei der Ausbildung an: Bei den Landwirten und bei den Transportunternehmen. Für sie gibt es zu wenige Kontrollen und will angesichts der aktuellen Tierschutzverstöße in deutschen Schlachthöfen auch die Arbeitsbedingungen in den Schlachtereien verbessern.

Die Strukturfrage

Einmal mehr wurde zwischen den Abgeordneten und den Wissenschaftlern die Strukturfrage gestellt. Viele Transporte sind zwischen den Niederlanden und Deutschland mit Fahrzeiten von einer bis zwei Stunden unterwegs. Nach Baltussen hängen Transportfehler nicht von der Größe der Schlachthöfe ab. Wohl aber der Schlachtpreis. Das Schweinegeschäft bewegt sich hinter dem Komma und Deutschland kann billiger schlachten als die Niederlande, erklärt Baltussen. Daher ist für viele Landwirte der nächste Schlachthof nicht immer die beste Wahl. Der Transport von Fleisch sei zwar billiger, aber manche Kunden bevorzugen den Kauf von lebenden Tieren. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Fleischproduktion habe Erzeugung und Konsum räumlich auseinander gezerrt. Transporte gelten heute als Folgegeschäft.

Der Weg zurück zur Weideschlachtung oder zum lokalen Metzger ist schwer. Wenn die Schlachthöfe untereinander im Wettbewerb stehen, dann können einzelne Metzger kaum noch mithalten. Zudem ist es die schiere Fleischmenge zur Deckung der Nachfrage die auf dem Markt und davor auf der Straße bewegt werden muss.

Kleinbrauereien haben in Irland einen Boom erlebt. Unter anderem, so erklärt der irische Linke Luke Flanagan, weil sie eine Steuererleichterung erhalten. Das könne die EU auch für Metzgereien und kleine Dorfbäckereien durchsetzen. Schließlich wolle die Agrarpolitik den ländlichen Raum stärken.

Fragen an die Politik

Die jüngste Aufdeckung der Tierschutzverstöße in Schlachthöfen  in Deutschland erfolgte mal wieder von Tierschutzorganisationen. Der Deutsche Bauernverband hält sich bis heute bedeckt. Auch die Politik hat bei ihren Kontrollen versagt und stelle sich nach Maria Noichl ein Armutszeugnis aus, weil sich Branche und Politik auf die Arbeit der NGO verlassen.

Janusz Wojciechowski fehlt die Vorstellung, dass sich Schiffstransporte für Schlachtrinder aus Irland bis in den Nahen Osten rechnen. Er fragte, warum es diese Transporte überhaupt gebe, und wer daran verdiene. Der Autor des Rechnungshofberichtes kann sich finanzielle Lösungen vorstellen, die lange Transport unattraktiv machen.

Für Dohrmann und dem grünen Martin Häusling müssen die Gelder strikter und verpflichtend an Tierschutzmaßnahmen gebunden werden. Nach Häusling machen zu viele Länder von Ausnahmegenehmigungen Gebrauch und stellen so einen Flickenteppich für Tierschutzstandards in der EU her. Deutschland stolpert aktuell beim Thema Ferkelkastration über sein eigenes Tierschutzgesetz und kommt aus der Falle nicht mehr raus. Sofia Ribeiro, Christdemokratin in Portugal, warnte die Politik, für Tiere strengere Gesetze als für Menschen zu machen.

Ulrike Müller will Lebendtiertransporte in Drittstaaten ganz verbieten. Ana Ramirez Vela von der Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit betont, dass die Kontrolle Ländersache ist. Aber einige Mitgliedsländer haben Langzeittransporte in den Mittelmeerraum wegen hoher Temperaturen verboten. Einige andere nicht.

Solange kleine Betriebe keine kleinen Schlachthöfe in ihrer Nähe haben, kehrt sich der Strukturwandel nicht um. Hohe Hygienestandards der EU haben daran ihren Anteil. Solange werden Tiertransporte über größere Strecken weitergehen. In Deutschland stammt jedes vierte Mastschwein aus einem in den Niederlanden oder Dänemark kastrierten Ferkel. Wenn die Zahl der Sauenhalter in Deutschland abnimmt, steigt die Zahl der Tiertransporte. Ein Vergleich zwischen Tierschutzgesetz zur Kastration und Tiertransporten steht auf keiner Tagesordnung.

Solange gibt es auch kaum Alternativen für Tiere, die nicht fit genug für einen Transport sind. Niemand weiß, was mit den Tieren geschehen soll. Sie sind schließlich ausgewachsen oder ausgemästet. Töten und verwerfen? Töten und irgendwo in der Nähe verwerten? Oder als Notschlachtung den Transport zur nächsten Schlachtstätte markieren [2]? Die Fragen stammen von Baltussen, der allerdings darauf keine Antwort hat.

Lesestoff:

[1] Das Deutsche Tierschutzgesetz verbietet das Schächten als Töten ohne Betäubung. Bei Nachweis einer Sachkunde kann die Behörde eine begrenzte Ausnahmegenehmigung erteilen. Generell heißt „halal“ auch nicht zwingend Schlachten ohne Betäubung. Der Dachverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIP) erlaubte mit dem Opferfest 2009 die Betäubung mit einem Elektroschock. http://www.ditib.de/detail1.php?id=176&lang=de Pro und Kontra Schächten im Judentum: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2412

[2] Was sind Notschlachtungen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/stichworte-notschlachtung-duerre-gunstregion.html

Roland Krieg

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