Berlin-Brandenburger Waldweideprojekt
Landwirtschaft
Wald- und Weidewirtschaft mit Erholungsschwerpunkt
„War der Landmann nun vorher schon größthenteils nicht im Stande, ohne Aushilfen mit Weide und Streu aus den Waldungen sein dürftiges Auskommen zu finden, so mussten ihm diese nun, wo der Preis für seine Produkte so tief herabsank, ein noch dringerendes Bedürfnis bleiben, und sie wurden es auch leider im höchsten Widerstreite mit den Interessen der Forst-Verwaltungs-Behörden. Denn auch die Wunden der Staats-Finanzen wollten ausgeheilt-seyn, die Forste sollen geschützt und in höherem Ertrag gebracht werden.“
Der Forstwissenschaftler Johann Christian Hundeshagen beschrieb 1830 die Bedeutung der Waldweide für die Bauern im Vorwort zu seinem Werk „Die Waldweide und Waldstreu in ihrer ganzen Bedeutung“ [1].
Es zeichnete sich schon die nahende Trennung von Forst- und Landwirtschaft ab. Jeder Sektor suchte seinen maximalen Ertrag, das Allmende-System mit Gemeindeweiden ging zu Ende und die Rinder wurden auf intensiver bewirtschaftete Weiden geführt. Wald und Offenland wurden strikt getrennt.
Bald 200 Jahre später setzen die beiden Länder Berlin und Brandenburg mit einem gemeinsamen Waldweideprojekt neue Zeichen für extensive Bewirtschaftungsformen mit dem Schwerpunkt Naherholung am Stadtrand von Berlin.
Rieselfeldlandschaft Hobrechtsfelde
Rund 100 Jahre lang nutzte Berlin die Sandflächen im Barnim für die Verrieselung seiner Abwässer. Das Entwässerungssystem wurde von James Hobrecht gebaut, nach dem die Versickerungsflächen im Norden von Berlin benannt wurden. Das Berliner Stadtgut Hobrechtsfelde nutzte die Flächen für den Gemüseanbau und die Weidehaltung. Die Verrieselung wurde erst 1985 eingestellt. Mit Folgen.
Das Ender der Verrieselung bedeutete auch das Ende des Wasserreichtums der Region, weil über ehemalige Gräben der Rieselfelder noch immer Wasser weggeführt wird. Ohne 5.000 Kubikmeter Wasser, die täglich aus dem Teichgebiet Schönerlinde zugeführt werden, würden hier weder Baum noch Gras wachsen. Zudem hat die Verrieselung Schadstoffe im Boden angereichert, die mit dem Abbau der organischen Substanz frei gesetzt werden. Erste Aufforstungen haben der Kulturlandschaft ein erstes Gesicht gegeben.
Vor einem Jahr erfolgte der Startschuss für ein in Deutschland einmaliges Projekt. Das Bundesamt für Naturschutz, das Land Berlin, der Naturschutzfonds Brandenburg und der Landkreis Barnim verfolgen mit einem „Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben“ ein komplexes Ziel. Extensive Beweidung sorgt für eine halboffene Waldlandschaft mit dem Produkt Rindfleisch. Die gleichförmigen Kieferbestände werden in einen „Wasserwald“ umgebaut, der eine Erhöhung des Landschaftswasserhaushaltes leistet. Einzelne Z-Bäume (Zukunftsbäume mit hohem Wachstums- und Qualitätspotenzial) werden zusammen mit extensiver Durchforstung forstwirtschaftlich genutzt. Und weil die 850 Hektar Waldweide-Fläche direkt an die Stadtgrenze Berlins reicht, wird ist das Gelände durchgängig und mit Informationstafeln für die Öffentlichkeit erlebbar.
Erholungslandschaft mit S-Bahnanschluss
Daniel Rühmkorf, Umweltstaatssekretär in Brandenburg und sein Berliner Kollege Christian Gaebler haben sich am Mittwoch bei einer Rundfahrt über den Stand der Waldweide informiert und sich für eine gemeinsame Weiterführung des Projektes ausgesprochen, das zunächst einmal bis 2015 begrenzt ist. Die angelegten Strukturen werden jedoch weit in die Zukunft hinaus Bestand haben.
Im letzten Jahr wurden rund 1,3 Millionen Euro investiert und 60 Kilometer Weidezaun angelegt. Über 47 Tore können Besucher das Gebiet betreten und bei regelmäßigem Besuch den Wandel der Landschaft beobachten.
Derzeit weiden rund 30 Pferde und 170 Rinder unter, zwischen und vor den Bäumen. Zum Einsatz kommen Konik- und Norwegische Fjordpferde, bei den Rindern sind es das Schottische Hochlandrind, das Englische Parkrind, was mit dem Auerochsen verwandt ist und die Uckermärker, die in Brandenburg ihren Ursprung fanden [2].
Auch wenn der alte Getreidespeicher (s. Foto oben)des ehemaligen Stadtgutes noch nicht danach aussieht: Er wird im nächsten Jahr eine Ausstellung zum Projekt beinhalten und Zentrum des Naturparkfestes werden, das in diesem Jahr am 01. September stattfindet.
Für den Verkehrsanschluss sind aber noch Aufgaben zu bewältigen. Die Wohnungsbaugenossenschaft „Bremer Höhe“ saniert in Hobrechtsfelde den Altbestand der bis zur Wende genutzten Arbeiterwohnungen des Stadtgutes und wandelt damit den kleinen Ortsteil in einen Lebensort. Doch fehlt noch ein Lückenschluss für Radler und eine auch am Wochenende getaktete Buslinie, die den Besucherort mit der S-Bahn Berlin-Buch verbindet. Umweltstaatssekretär Gaebler verwies auf den Landkreis Barnim, der die Buslinie stellen muss und auf die neue Beschilderung für Radwanderer zum Waldweideprojekt.
Z-Bäume und Salami
Hundeshagen hatte bereits 1830 auf die besondere Bewirtschaftung der Waldweiden hingewiesen. Durch die Beweidung werde dem Wald nichts entzogen, was der Tierdung nicht auch wieder hinzufügen könne. „Daher beschränkt sich der Nachtheil der Waldweide blos auf ein Beschädigtwerden der jungen Holzpflanzen und Ausschläge durch Verbiß, Zertreten, Reiben und Schiefdrücken“.
Allerdings musste Hundeshagen einen geringeren Grasertrag vermelden. Durch Beweidung und „Überschirmung“ durch Bäume gehe der Ertrag von 24 Zenter auf acht Zentner je Magdeburger Morgen zurück [3]. Doch so negativ hat Hundeshagen die Waldweide-Bewirtschaftung nicht eingeschätzt und Formeln erstellt, mit der „Viehart und Viehmenge“ sowie Schonung durch Einzäunung der jungen Forstpflanzen miteinander kombiniert werden können.
Das macht der Naturpark Barnim mit dem Waldweideprojekt nicht anders. So eine große Kulturlandschaft ist in Deutschland einmalig und das Projekt sammelt verlorengegangene Erfahrungen mit Rindern, Pferden und Bäumen. Heute macht das die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE), erklärte Bernd Hoffmann, Vorsitzender des Fördervereins Naturpark Barnim, gegenüber Herd-und-Hof.de. Wissenschaftler sammeln Daten der Entwicklung von Wald und Weide, haben die Herden mit GPS ausgestattet und analysieren, wo diese wann weiden. Dort läuft die Steuerung, so Hoffmann. Die HNEE prüft, wo der Mensch eingreifen muss und was sich von alleine entwickeln kann. So gehen Pferde, Rinder und Förster gemeinsam gegen nicht einheimische Baumarten wie der Amerikanischen Traubenkirsche oder dem Eschenahorn vor.
Trotz Salami vom Uckermärker Rind und forstwirtschaftlicher Nutzung, steht nach Hoffmann der Erholungsraum im Vordergrund. Die Optimierungen des Forstwissenschaftlers Hundeshagen spielen nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Nähe zur Metropole Berlin fordert ihren eigenen Schwerpunkt.
Deswegen fehlt neben Rind und Pferd auch noch das Schwein. Selbst in den 1950er Jahren gab es vereinzelt in Nordhessen und Ostwestfalen noch die Schweinehaltung auf der Weide. Solange das Allmende-System funktionierte war die Schweinemast in den Eichenwäldern weit verbreitet und kann als Forschungsprojekt noch immer manchen Gaumen erfreuen [4]. In Hobrechtsfelde ist das allerdings kein Thema, sagt Bernd Hoffmann. Aber es ist eine weitere Perspektive.
Greening
Die geringe wirtschaftliche Nutzung bedeutet aber nicht, dass die Berlin-Brandenburger Waldweide nicht in die Zeit passt. Die europäische Agrarpolitik soll „grüner“ werden. Dacian Ciolos spricht von sieben Prozent ökologische Vorrangfläche, die für Artenschutz, Umwelt und Klima bereitgehalten werden soll. Dem stehen der Deutsche Bauernverband und das Bundeslandwirtschaftsministerium skeptisch gegenüber und belegen dieses EU-Ziel mit der Interpretation der „Stilllegungsfläche.“ Kann da das Wald-Weide-Projekt nicht auch als Beispiel für erfolgreiches „Greening“ dienen? Herd-und-Hof.de befragte den Brandenburger Umweltstaatssekretär nach seiner Sicht der Dinge.
Für Daniel Rühmkorf ist das Ziel, die Landwirte am Naturschutz zu beteiligen. Die Waldweide sei mehr als eine „Liebhaberei“ und könne Ziele des Landwirts mit den Zielen des Naturschutzes kombinieren. Die extensive Bewirtschaftung biete den Landwirten nicht nur eine andere Art der Bewirtschaftung an, sondern erfülle den Grundsatz, dass öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen wie der Artenvielfalt und dem Umweltschutz gezahlt werden müssten.
Vor allem über die Beratung müssten vergleichbare Alternativen dem Landwirt bekannt gemacht werden, „ohne zu belehren“. Wer in Brandenburg auf 50 Hektar seiner Fläche etwas „Grüneres“ umsetzen wolle, der solle sich mit dem Naturschutz in Verbindung setzen können.
Für Rühmkorf muss das Greening der Agrarpolitik flächendeckend sein, wie die Umweltminister auf ihrer Konferenz auch einfordern. Es könne nicht sein, dass ein intensiver Tierhaltungsbetrieb im Landkreis Vechta sich über eine Beteiligung am niedersächsischen Nationalpark Wattenmeer „freikaufen“ könne. „Ich will keine Verrechnungstricks“, so Rühmkorf. Daher lehnt er eine überregionale Fonds-Lösung für ökologische Vorrangflächen ab.
Lesestoff:
Förderverein Naturpark Barnim mit ausführlicher Projektbeschreibung: www.naturimbarnim.de
[1] Johann Christian Hundeshagen (1783 – 1834): Die Waldweide und Waldstreu in ihrer ganzen Bedeutung. . Tübingen 1830
[2] Uckermärker: Von der Gebrauchskreuzung zur Marke
[3] Der „Morgen“ wurde als Flächenmaß bis 1900 offiziell verwendet und war regional leicht verschieden groß. Der Magdeburger oder Preußische Morgen umfasst 2.553,22 Quadratmeter Fläche. Das entspricht etwa einem Viertel Hektar Land.
[4] Als Delikatesse auch heute noch erfolgreich: Schweinemast in Eichelwäldern
[5] Extensive Weide zwischen Markt und ländlicher Entwicklung
Roland Krieg (Text und Fotos)