Biber, Wölfe und die Landwirtschaft

Landwirtschaft

Naturschutz mit oder gegen die Landwirtschaft?

Die Rückkehr eines Wolfes ist lieblich. Das Wolfsmonitoring 2013/2014 weiß von 25 Wolfsrudeln zu berichten [1]. Zwischen fünf und 15 Tiere sind die Rudel groß. Dann aber gehen die Schäfer auf die Barrikaden, weil Schafe gerissen werden. Eine Gans ist lustig. 10.000 Gänse auf der Weide zerstören jedoch die Vegetation [2]. Bei Bären reicht bereits ein Einzelexemplar für den Status eines „Problemtieres“.

Der Mensch lebt heute im Anthropozän. Noch nie hat ein Lebewesen so tiefe Eingriffe auf dem Planeten Erde durchgeführt und hinterlassen, wie der Mensch. Ganze Berge werden abgetragen, Städte wachsen wo sich einst Flussauen wanden und der Lebensraum für andere Tiere und Pflanzen wird knapp. Es ist mehr als nur Naturliebe, wenn Biber, Wölfe, Otter oder Mairenke, Schrätzer und Streber (Fische) sowie Spelz-Trespe, Prächtiger Dünnfarn oder die Wasserfalle aus der Pflanzenwelt zurückkehren. Sie bilden zusammen das Ökosystem, das der Mensch zum Leben braucht. Sie stehen aber auch in Konkurrenz zum Menschen. Der Kormoran erfreut sich an der Ausbreitung der Teichwirtschaft und die Schutzanlagen der Binnenfischer erfordern Aufwand, der kostet und unbeliebt ist [3].

Naturschützer und Landwirte stehen sich oft feindselig gegenüber und finden kaum einen Kompromiss. Im Fokus: Natura 2000. Ist die Ausweisung ein Totalverbot für den Menschen und übertrieben, oder notwendig und Aufruf zu einem besinnlichen Wechsel in der Wirtschaft? Das 6. Berliner Forum des Deutschen Bauernverbandes diskutierte am Donnerstag ausführlich über das Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Auch, weil Jean- Claude Juncker eine Überprüfung von Natura 2000 angekündigt hat.

„Naturschutz wird zweckentfremdet“

Klaus-Dieter Blanck führt einen Ackerbaubetrieb auf Fehmarn. Seit den 1970er Jahren gibt es Bemühungen für den Naturschutz, der von lokalen Akteuren mit hoher Akzeptanz in einzelnen Projekten vorangetrieben wurde, erinnerte sich Blanck. Bis in die 1990er Jahre hinein setzten Landespolitiker und Naturschutzparke die ersten Großräume um und die ersten Widerstände bildeten sich. Seit Natura 2000 gibt es massive Konflikte durch bürokratische Vorgaben für die Umsetzung. Die Insel Fehmarn hat sich in dem gleichen Zeittraum individuell entwickelt: Grünland wurde an den Naturschutz verkauft, die Landwirte betreiben auf sehr fruchtbarem Boden Ackerbau mit Hofgrößen um die 110 Hektar. Der Tourismus ist den Bauern und manchem Bürger längst zu einem zweiten Standbein geworden und die Windenergieanlagen werden ausschließlich durch Bürgergemeinschaften betrieben. Es gibt keine Fremdinvestitionen, erklärt Blanck.

Der Naturschutz habe aber mit der Ausweisung von „Rastplätzen“ für die Zugvögel die Tiere erst auf Flächen geholt, die nicht genug Nahrung anbieten und deswegen immer wieder auf die Ackerböden ausweichen. Den Fraßschaden rechnet der Landwirt auf einen Ertragsverlust von 30 bis 40 dt pro Hektar um. Rund 400 Arbeitsstunden im Jahr muss er für Vergrämungsmaßnahmen aufwenden.

Der Naturschutz bedrängt auch den Tourismus. Nur mit Mühe wurden Natura 2000-Gebiete am Strandbereich verhindert, die von den Besuchern nicht mehr hätten betreten werden dürfen. Unglücklich ausgewiesene Biotopinseln verhindern ein Repowering von besonders ertragreichen Windkraftstandorten. Für den Landwirt, der auch Vorsitzender des Umweltausschusses des Landesbauernverbandes ist, wird der Naturschutz zweckentfremdet. Natura 2000-Ziele erschweren Investitionen im ländlichen Raum. Das Programm werde nicht mehr zum Schutz für die Natur, sondern gegen die Entwicklung des ländlichen Raumes angewandt: „Aus vertrauter Heimat wird eine potentielle Bedrohung der wirtschaftlichen Grundlage.“

„De facto-Enteignung“

Die Bauern bekommen Unterstützung von den privaten Waldbesitzern. Norbert Leben, Vize-Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) beschreibt, warum die Waldbesitzer mehr betroffen seien. Der Netzwerkcharakter der Natura 2000 – Gebiete verflechtet über Schutzstreifen einzelne Biotope und umreist daher mehr Fläche als ein zusammenhängendes Schutzgebiet. 13 Prozent des Privatwaldes sind geschützt und 21 Prozent des öffentlichen Waldes. In Deutschland sind das rund 1,1 Millionen Hektar, so viel Wald wie in Niedersachsen steht. Nur für 42.000 Hektar habe es eine Entschädigung in Höhe von insgesamt acht Millionen Euro gegeben, obwohl mittlerweile elf Bundesländer entsprechende Regelungen aufweisen. Aber die sind nicht rechtsverbindlich. Zudem stünden die Waldbesitzer seit 20 Jahren bei allen Planungen außen vor.

Natura 2000 schränkt nicht das Eigentum, aber die wirtschaftliche Nutzung ein. Waldbesitzer planen 80 bis 100 Jahre im Voraus. Können sie die Bäume nicht ernten, entsteht ein Nutzungsausfall in der nächsten Generation. Das sei wie eine „de facto-Enteignung“, erklärt Leben. FFH-Management-Pläne ziehen einen bürokratischen Aufwand nach sich. Die Studie FFH Impact aus dem Jahr 2012 berechnet einen ökonomischen Aufwand für das Aussuchen und Markieren von Biotopbäumen von 1,63 Euro pro Hektar und Jahr [4]. Waldbesitzer wehren sich gegen die Bevormundung der Baumauswahl. Die Douglasie erzielt einen wirtschaftlichen Mehrwert von 100 bis 200 Euro pro Jahr und Hektar und gehöre bei einem Mischwald zur Klimastabilisierung dazu. Jedoch sehen Naturschützer in der Douglasie einen untypischen Baum, weil er nicht hier heimisch ist. Norbert Leben verweist auf die jüngste Bundeswaldinventur, die den Förstern bescheinigt, die Wälder auf den richtigen Weg zu bringen [5].

In den Fängen des Rechts

Otter, Wolf und Co. haben mittlerweile breiten Rechtsbeistand erhalten. Jedoch ist die Rechtslage alles andere als eindeutig und variiert nach Rechtsauffassung. So gelten bei Natura 2000 Land-, Forstwirtschaft und Fischerei nicht als Eingriff in den Naturschutz und sind nach Bundesnaturschutzgesetz auch kein „Projekt“ in dem Sinne, dass sie eine Naturverträglichkeitsprüfung brauchen, erklärt Rechtsanwalt Dr. Peter Kersandt. Doch so einfach ist das nicht. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 2004 der mechanischen Herzmuschelfischerei in der Nordsee die Befreiung einer Verträglichkeitsprüfung erteilt, weil die Lizenzen jährlich nach Bestand vergeben werden (EuGH C-12702). Die Reusenfischer am Steinhuder Meer kamen vor dem Verwaltungsgericht Hannover vor zwei Jahren nicht davon. Hier sei es ein Projekt und ohne technische Schutzvorrichtungen könnten sich Fischotter in den Reusen verfangen (Az. 4 A 5418/12). Wegen Berufung liegt das Urteil derzeit noch beim Bundesverwaltungsgericht.

Alle Landwirtschaftsministerien geben ausführliche Empfehlungen für die Bewirtschaftung von Natura 2000-Gebieten heraus. Wohlweislich aber nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Naturzustandes der Landwirt in Haftung genommen wird. Dr. Kersandt ermahnt die Bauern. Die Naturschutzverbände haben hier Klagerecht und schon mal den Rechtsweg eingelegt. Bislang scheiterten Urteile an der fehlenden Herstellung einer Kausalität.

Sein Berufskollege Dr. Tilmann Giesen hat auf ähnliche Fallstricke beim Verhältnis zwischen Jagd- und Naturschutzrecht hingewiesen. Er fordert anhand der umfangreichen Artenlisten beim FFH und anderen Naturschutzgesetzen eine wissenschaftliche Durchforstung und generelle Vereinfachung der Regeln und Bestimmungen: „Der Artenschutz muss während der Arbeit auf dem Traktor umsetzbar sein!“

Zurück zu den Anfängen

Stefan Leiner von der EU-Direktion Umwelt blieb es überlassen, auf die ursprünglichen Ziele des Artenschutzes hinzuweisen. Natura 2000 ist aus den Vorläufern des Vogel- und Gebietsschutzes entstanden. Hintergrund ist der zunehmende Schwund an Biodiversität, der von der EU bis 2020 gestoppt werden soll. Das habe auch Deutschland unterzeichnet, betont Leiner. Derzeit gibt es rund 27.000 Natura 2000-Gebiete in der EU. Sie umfassen eine Fläche von einer Million Quadratkilometer und bedecken 12 Prozent der EU-Landesfläche. Neu sind Schutzzonen im Meer. In Deutschland gibt es viele kleinteilige Gebiete, in Dänemark und Großbritannien sind generell wenige Regionen geschützt, in Bulgarien und Kroatien sind sie sehr weiträumig. Natura 2000 bietet die einzige Chance grenzübergreifend Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu schaffen. „Das ist die Philosophie von Natura 2000“, erklärte Leiner. Darin enthalten sind natürlich auch die nachhaltige Landwirtschaft und sind sozio-ökonomische Ziele. Es gebe sogar ein Bewirtschaftungsgebot. Den Kosten von sechs Milliarden Euro stellt er den jährlichen Gewinn von 200 bis 300 Milliarden Euro an Ökosystemdienstleistungen gegenüber: Sauberes Wasser, Senken für Kohlendioxid und Tourismus werden in der gegenseitigen Aufrechnung oft vergessen [6].

Problem wird drängender

Vor sechs Jahren hat die EU eine Zwischenbilanz zu Natura 2000 gezogen. Im April 2015 folgt die nächste. Stefan Leiner hat schon verraten, dass die Situation nicht besser geworden ist. Für Deutschland hat das Bundesamt für Naturschutz die Daten bereits übermittelt. Auf 40 Prozent der Ackerfläche ist demnach der Naturzustand in schlechter Verfassung oder hat sich gegenüber 2006 sogar noch verschlechtert. Diesen Tenor hätten auch die anderen Mitgliedsstaaten bislang geliefert. „Es geht nicht in die richtige Richtung“, fasst Leiner zusammen. Die FFH-Gebiete in der Landbewirtschaftung sind nach Leiner im schlechteren Zustand als die des Waldes. Besser gehe es den Gebieten außerhalb von Land und Forst.

Die EU hat früh einen Leitfaden Natura 2000 und Landwirtschaft erarbeitet. Umfangreiche Texte sind bei den Landesministerien erhältlich. Die Länder sind für die Weichen der Umsetzung verantwortlich. Es geht nicht nur um die Förderung mit öffentlichen Geldern. Die EU glaubt auch an die private Wirtschaft, die über gelabelte Produkte aus den Natura 2000-Regionen wirtschaftliche Investitionen bewegen. Deshalb unterstützen ELER-Programme Land und Forst und die Gemeinsame Agrarpolitik fördert Ökosystemdienstleistungen sowie die Integration der erneuerbarer Energien, erläutert Leinen.

Notwendig sei ein Runder Tisch auf dem Trennendes und Verbindendes zur Sprache komme, schloss Leinen seinen Vortrag.

Lesestoff:

[1] www.wolfsregion-lausitz.de

[2] Der Konflikt Gans und Mensch währt schon 3.000 Jahre

[3] Schleswig-Holstein will wieder mehr Karpfen aus seinen Teichen vermarkten

[4] Projekt FFH Impact. Arbeitsbericht des Instituts für Ökonomie der Forst- und Holzwirtschaft 2012/03 www.vti.bund.de

[5] Der deutsche Wald: Älter, vielfältiger und viel Holz

[6] TEEB: Den Wert der Natur in die Mitte der Gesellschaft stellen

Roland Krieg

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