Big Bang der Algen

Landwirtschaft

Algenkongress in Berlin

Die International Airtransport Association (IATA) hat ehrgeizige Ziele. Bis zum Jahr 2020 sollen die Flugzeuge eine jährliche Verbrauchseffizienzsteigerung von 1,5 Prozent nachweisen, bis zum Jahr 2050 sollen sie gegenüber dem Basisjahr 2005 nur noch die Hälfte an Treibhausgasen ausstoßen und das bei einem um vier Prozent höheren Verkehrsaufkommen.
Der Umwelt- und Nachhaltigkeitsgedanke hat jetzt auch die Kerosin-Branche erfasst. Toni Tyler, Generalsekretär der IATA, proklamierte Mitte November: „Nachhaltige Biotreibstoffe sind sicher, haben sich bewährt und werden für kommerzielle Flüge genutzt. Mit dem Potenzial, den Carbon Footprint der Luftfahrt um 80 Prozent zu senken, kann Biotreibstoff zu einem Kurswechsel führen.“ Aber, so räumt Tyler ein, die Kraftstoffe sind noch teuer und nicht in ausreichenden Mengen verfügbar.
Das führt auch Lukas Rohleder von Aireg gegenüber Herd-und-Hof.de auf der 5. Algenkonferenz in Berlin an. Das große Nachfragepotenzial und die ehrgeizigen Ziele der IATA können durchaus eine der treibenden Kräfte sein, Kerosin aus flächenunabhängiger Algenproduktion zu gewinnen. Doch bleibe die Luftfahrtindustrie auf die Politik angewiesen, die für den Forschungsbereich noch mehr tun muss. Trotz mehrere Pilotprojekte1), mit Bio-Kerosin auch Linie zu fliegen, ist der Sprit für den Großeinsatz noch zu teuer. Aireg ist die Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany mit Sitz in Berlin.
Jedoch steigt auch der Preis für fossile Treibstoffe: Die IATA gibt die Kerosin-Rechnung für 2011 mit 179 Milliarden US-Dollar an. Der Sprit nimmt 30 Prozent der operativen Kosten ein. Für das nächste Jahr erwartet die IATA Ausgaben in Höhe von 201 Milliarden US-Dollar.

Großes Potenzial

Die Politik sieht in den Algen in der Tat ein großes Potenzial. Algen sind hochdivers, stehen meist am Anfang der Nahrungskette und können nach Dr. Christel Happach-Kasan, Agrarpolitikerin der FDP-Fraktion, zur Ernährungssicherheit vor dem Hintergrund des Klimawandels und begrenzter Ressourcen eine Alternative sein. Dr. Happach-Kasan wies vor allem auf die flächenunabhängige Produktion von Biomasse hin.
Die Algenproduktion findet weltweit noch in Versuchslaboren statt. Um sie großtechnisch einsetzen zu können, wäre der Rückgriff auf die Biotechnologie möglich. Nach Dr. Happach-Kasan könnte die gesellschaftliche Akzeptanz für gentechnisch veränderte Algen mit höherer Effizienz und mehr Nährstoffen größer sein als bei Nahrungspflanzen.

Algenbier aus dem Vulkankrater

Algen gibt es aber nicht nur in Versuchsreaktoren und kleinen Mengeneinheiten. Im ansonsten verschlossenen Myanmar werden in Höhe des 22. Nördlichen Breitengrades im Kratersee Twyn Tang Lake Spirulina-Algen gezogen. Der natürliche 100 Meter hohe Kraterrand schützt den See vor unerwünschten Umwelteinflüßen und seit mehr als 20 Jahren forscht Prof. Min Thei von der Mandalay University an Spirulina-Produkten. Insgesamt wachsen in vier Kraterseen die Algen heran. Die allerersten Versuche erzielten aus dem 200 acre (1/4 Hektar) großen See 2,5 Tonnen Spirulina im Jahr. Vor allem im März blühen die Spirulina-Algen mit einem Reproduktionszyklus von zwei bis drei Tagen auf und bilden an der Wasseroberfläche einen 15 Zentimeter dicken grünen Teppich, der sich auf bis zu zwei Drittel der Oberfläche ausdehnt. Die Algen werden vom Boot aus mit Eimern aus dem Wasser geschöpft, mit Frischwasser gewaschen, entwässert, getrocknet und als Trockenchips in Säcke verpackt.
Warum das in dem Kratersee so gut funktioniert, erklärt Prof. Min Thei mit den natürlichen Faktoren. Im März ist die Haupterntezeit und die Algen blühen bei Wassertemperaturen um 14:00 Uhr von 23 bis 37 Grad Celsius. Ab April geht die Blüte zurück. Der Kratersee hat ausreichend selbst gebildetes CO2 im Wasser gelöst, ohne das welches von außen zugeführt werden muss. Der pH-Wert liegt zwischen 9,7 und 10,8.
Aus den Spirulina werden Nährstoffe und Kosmetika hergestellt. Am beliebtesten ist Algenbier, von dem im Monat bis zu 40.000 Liter verkauft werden. Das neueste Produkt ist ein Nahrungsergänzungsmittel mit Spirulina, das dem Immunsystem helfen und Virenerkrankungen vorbeugen soll.
Bislang hat die Spirulina-Firma rund 2.800 Tonnen Algen-Trockemasse geerntet und bekommt Unterstützung vom Institut für Getreideverarbeitung in Potsdam (IGV). Außerhalb der März-Saison ernten die Algenbauern nur zwei bis drei Tonnen Trockenmasse im Monat. Aber so um die 200 Tonnen sind jährlich drin – wenn Klima und Umwelt mitspielen. Prof. Min Thei beklagt, dass ein in der Nähe befindlicher Fluss aufgestaut werden soll. Der Wasserrückstau wird möglicherweise den pH-Wert im Kratersee absenken und die Algenproduktion unterbinden.

Algenfutter

Algen haben in getrockneter Form oder als Extrakt längst Eingang in die Futtermittelliste gefunden. Die seit der BSE-Krise geführte Positiv-Liste für Futtermittel führt Spirulina-Algen mit maximal neun Prozent Asche, und jeweils mindestens 50 Prozent Protein und vier Prozent Fett auch andere Algen auf. Chlorella wird mit maximal neun Prozent Asche, und jeweils mindestens 35 Prozent Protein und 6,5 Prozent Fett geführt. Futter-Algen dürfen nur gewaschen werden und entwässert sein. Sie müssen auf Rückstände von Schwermetallen untersucht werden und höchstens 0,4 Mikrogramm Mikrocystin je Gramm Algen aufweisen. Ein Toxin, das in Algen vorkommt.
Mittlerweile hat auch die EU Algen in ihren Futtermittel-Katalog nach Verordnung 575/2011 aufgenommen, erläuterte Dr. Walter Staudenbacher von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG).

Der große Wurf

Wie alle Alternativen hat auch die Algenproduktion den Sprung vom Versuchslabor zur großtechnischen Industrie noch vor sich. Prof. Dr. Otto Pulz vom IGV und der Europäischen Gesellschaft für die Biotechnologie von Mikroalgen bringt es auf den Punkt: „Es gibt mehr Konferenzen über Algen als Investoren!“
Das ändert Dr. Ronald Korstanje, Entwicklungsmanager der niederländischen Forschungsgruppe TNO. Sein Team hat sich die Algen genau angeschaut und analysiert. 100 Gramm Algen enthalten 34 Gramm Ballaststoffe, 17 Gramm Fett und bis zu sechs Gramm Rubisco. Letzteres ist die Abkürzung für das Enzym Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/oxygenase, das im Wesentlichen das Kohlendioxid für die Photosynthese aufnimmt und wahrscheinlich mengenmäßig das meiste Protein der Welt ist.
Aus den unlöslichen Algenbestandteilen werden Fett, Fasern, Proteine für Futtermittel gewonnen, aus den löslichen Bestandteilen Rubisco Nahrungsmittel für Menschen und Fermentationsprodukte. Algen sind damit kleine Chemiefabriken und selbst die Kohlenhydrate aus der Zellwand und die Membranproteine lassen sich technisch gut lösen. Aber es ist noch ein energieaufwendiger Prozess. Jedes Kilogramm Algen-Trockenmasse verschlingt zwei kWh Energie. In einem neuen dreijährigen Projekt soll ab Anfang 2012 ein Konsortium aus einer Pilotanlage mit Ausstößen im Kilogrammbereich bis Ende 2013 Prozesse und Design für eine großtechnische Anlage entwickelt haben, die dann ab 2014 wirtschaftliche Rohprodukte für die Weiterverarbeitung liefern soll. Dann geht es um Tonnen. Rund drei Millionen Euro sind veranschlagt und 1,2 Millionen Euro steuert die Industrie bei.

Pilotprojekt Reunion

Die weit vor Madagaskar liegende tropische Insel Reunion im Indischen Ozean wartet mit einem Projekt zur Energieautarkie auf. Das steht auf mehreren Standbeinen, erklärte Dr. Lauren Blériót, Geschäftsführer von Bioalgostral, bei dem ebenfalls das IGV aus Potsdam mit hilft. Die Klimaanlagen laufen mit Seewasser, Strom wird durch verschiedene Nutzung von Wellenenergie erzeugt und Biotreibstoff soll aus Algen kommen. GERRI heißt der ambitionierte Plan, der in diesem Jahr erst aufgestellt wurde: Green Energy Revolution Reunion Island. Energieautarkie, die, so Dr. Blériót, Vorbild für die ganze Welt werden könnte.
Algen spielen dabei eine große Rolle. Rund 30 Tonnen Trockenmasse will Reunion em Ende pro Jahr ernten. Sie sollen aus Abwässer auch Phosphor für die Landwirtschaft wieder gewinnen können. Die Bedingungen für Reunion und andere tropische Inselstaaten sind gut. Sonnenlicht, Tageslänge und Temperaturoptimum sind gleichmäßiger über das Jahr verteilt als beispielsweise in Spanien.

Lesestoff:

1) Amerikaner fliegen auf Bio-Sprit

www.aireg.de

Neue Algenversuchsanlage im brandenburgischen Senftenberg

Algenkongress: www.algaecongress.com

Bioraffinerie Niederlande: www.tno.nl

Energieautarkes Reunion: www.slowlifesymposium.com/files/2011/09/Green-Energy-Revolution-Reunion-Island-2011.pdf

Roland Krieg (Text und Fotos – Anlage in Senftenberg)

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