Bio im Tank

Landwirtschaft

Fachtagung in der Heinrich-Böll-Stiftung

>Nicht zuletzt nur der hohe Ölpreis, sondern auch die steigenden Kosten für Gas und Strom fördern das Interesse an alternativen Energieformen. Umweltschäden und Ressourcenverknappung sind längst nicht mehr nur Thema politischer Subkultur oder Forschungsnischen in der Wissenschaft. Bio im Tank oder ein Windkraftrad sind nur Puzzlestücke für grundlegende Gedanken, wie in den Industrieländern der Energiebedarf nachhaltig gesichert werden kann und wie Entwicklungsländer ihren enorm steigenden Bedarf an Energie decken können. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls tagte in der Heinrich-Böll-Stiftung in den Berliner Hackeschen Höfen am Freitag eine Expertenrunde über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen erneuerbarer Energien mit dem Schwerpunkt Biomasse.

Bio im Tank als Alternative
Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und von Eurosolar Deutschland verwies auf Untersuchungen der Münchener Rück, um neben den steigenden Kosten der fossilen Energien auch die steigenden Kosten der Schäden durch den Klimawandel aufzuzeigen. Die Jahre bis 2010 bilden die Spitze der Förderpotenziale fossiler Energien. Danach müssen andere Energieformen erschlossen werden. Alleine die Biomasse würde ausreichen, um den aktuellen Energienverbrauch der Welt zu decken. Hinzu kommen Wind-, Wasser- und die Solarenergie, neben Wasserstofftechnologie oder Geothermie. Somit ist auch ein weltweit ansteigender Energieverbrauch ohne Öl, Gas oder Kohle zu sichern. Die jährlichen wiederkehrenden Fehlprognosen der Wirtschaft über niedrige Ölpreise, sieht Fell als "systematisches Ignorieren der Ressourcenproblematik". Er plädiert für einen zukünftigen Mix aus verschiedenen Energiequellen, wenn beispielsweise unter einem Windrad eine Biogasanlage gebaut wird. Dieses einfache Modell liefert bereits Energie an windarmen Tagen. In der Landwirtschaft gibt es sehr viele kurzstrohige Getreidesorten, die das Korn als einziges Ernteprodukt bevorzugen. Man müsse wieder mehr die gesamte Pflanze betrachten. Langstrohige Sorten liefern neben dem Korn auch Stroh für die Energie. Es sei nicht vorstellbar, dass in Alaska über die Förderung von teurem Ölschiefer aus Naturschutzgebieten nachgedacht werde, oder das sich zwischen China und Japan ein Konflikt um die Gasreserven des chinesischen Meeres anbahnt, während praktisch auf jeweils heimischen Feldern die gleiche Energiemenge gewonnen werden könnte.
Wir "brauchen keine neuen Kraftstoffe, weil das Öl knapp wird, sondern weil es den Klimawandel gibt", fasste Dr. Ruprecht Brandis von der Deutschen BP zusammen, die in der aktuellen Werbekampagne das Firmenkürzel bereits zukunftsweisend mit "beyond petrol" abkürzt.
Steigende Temperaturen und die Anreicherung von Klimagasen sind für ihn längst keine Themen mehr. Nach BP gibt es für dieses Jahrhundert noch genug Erdöl. Allerdings wird der Zugang zu den Ressourcen politisch, ökologisch und wirtschaftlich immer schwieriger. Die Industrieländer "werden noch weiterhin vom Schwergewicht fossiler Energie leben", so seine Prognose. Inflationsbereinigt ist der Benzinpreis heute niedriger als in der Ölkrise 1979.
BP mischt bereits heute fünf Prozent Rapsmethylesther (RME) in den Diesel und 2,7 Prozent Bioethanol in das Benzin. Die Verwendung sei weniger die Frage, als die aktuelle Diskussion, woher das Ethanol für den Wachstumsmarkt denn kommen solle. Einen globalen Weltmarkt von Biomasse aus den Entwicklungsländern schließt er damit nicht aus. Zwei Kriterien müssen für alternative Kraftstoffe gelten: einmal das Prinzip "well to wheel", das die Produktions- und Wertschöpfungskette von der Herstellung über Verarbeitung und Transport berücksichtigt und zum anderen die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Man könne sich den steigenden Mobilitätsbedürfnissen in China und Indien nicht verschließen, denn man könne das Auto fahren und die Energieverwendung anderen Menschen nicht verbieten, so Brandis. Er sieht den Schwerpunkt der zukünftigen Energien in den beiden Hochtechnologien "Gas to Liquid" (GtL) und "Biomass to Liquid" (BtL), die umfangreiche Anlagen und Transportlogistik beanspruchen.

Was für den deutschen Markt überhaupt machbar ist hat das Ökoinstitut aus Freiburg in einer "Stoffstromanalyse" in einer Studie zusammen gestellt. Darin berücksichtigt sind erstmals alle erfassbaren Biomassen, wie auch Tierkadaver und die Biotonne. Dr. Uwe Fritsche stellte die Ergebnisse kurz vor, deren Zusammenfassung unter www.oeko.de/service/bio kostenfrei heruntergeladen werden kann. Die Studie trifft Aussagen über den Bedarf und woher unter welchen Transportbedingungen Bioenergie diesen decken kann. Bei Benzin und Diesel werden die Preise mit und ohne Steuer als Vergleichsgrundlage herangezogen. Je nach Ausgangsquelle sind die Preise für RME, Sonnenblumen oder Raps recht unterschiedlich mit einer Schwankungsbreite von rund 2 - 6 Cent pro gefahrenen Kilometer gegenüber 5,4 Cent versteuerten Diesel - oder 13 bis 15 Cent Bioethanol gegenüber 7,9 Cent versteuerten Benzins - angegeben. Es zeigt sich deutlich, dass die Verwendung von Reststoffen viel günstiger ist, als Kraftstoffe aus der BtL-Technologie.
Das Ökoinstitut hat sogar die Auswirkungen auf die Beschäftigungszahlen berücksichtigt. Arbeitsintensiv sind moderne Raffinerien und Bohrstellen nicht. Pro eine Milliarde gefahrene Personenkilometer beanspruchen die fossilen Energien lediglich fünf Arbeitskräfte, während die alternativen Formen wegen ihres höheren Arbeitsaufwandes bei der Ernte und Verarbeitung sowie in der Maschinenindustrie den 100fachen Beschäftigungseffekt haben. Das sei, so Fritsche, ein positiver Nebeneffekt für den ländlichen Raum. Man dürfe allerdings auch nicht vergessen, dass Kraftstoff im Rahmen der individuellen Mobilität den geringsten Kostenanteil hat. Die Hauptkosten fallen für das Auto an.

Globale Perspektiven und Zielkonflikte
Erneuerbare Energien sind zu einem globalen Wirtschaftsthema geworden. Andre Faaij von der niederländischen Universität Utrecht und Leiter des Aufgabenbereiches der Internationalen Energiebehörde für "Nachhaltigen Internationalen Bioenergiehandel" sieht in dem globalen Biomassemarkt ein "aufregendes Thema" mit hohen Erwartungen. Der Erwartungsdruck am Markt ist hoch, aber Technik, Transport und Verarbeitung sind oft zu teuer. Für die Entwicklungsländer kann der Anbau von Biomasse eine Entwicklung in den ländlichen Raum bringen. Der Verkauf erzielt Erträge und der Anbau kann Monokulturen entlasten und wieder erhöhte Biodiversität schaffen.
Allerdings steht Land unter vielfältiger Zielsetzung: Bevölkerungsdruck, Exportmärkte, Nahrungsmittelproduktion und die Verwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen werden die Nutzungsmöglichkeiten bestimmen. In verschiedenen Szenarien zeigt sich, dass in Lateinamerika, Asien und in Afrika südlich der Sahara die Anbaupotenziale für eine weltweite Biomasseproduktion am größten sind. Der weite Transport, wie zum Beispiel Bioethanol aus Brasilien für Europa beansprucht nur den geringsten Kostenanteil. Details über verschiedene Szenarien können unter www.fairbiotrade.org eingesehen werden.

Einen globalen Dämpfer hielt Stefan Bringezu vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie bereit. Mehr als 13 Milliarden Hektar Landfläche bietet unser Planet nicht. Nur fünf Milliarden ha sind landwirtschaftlich nutzbar, wobei jedoch zwei Drittel davon natürliches Grasland sind. Die Savannen Afrikas werden in den Statistiken dazu gezählt. "Flächen ohne Ende" für die Biomasseproduktion gebe es also nicht. Sein Institut hat einmal den Flächenanspruch der EU berechnet. Dazu "exportiert" Europa Flächen durch den Verkauf von Getreide auf dem Weltmarkt und importiert Fläche beispielsweise für Mais und Baumwolle, die woanders "für den europäischen Verbraucher wächst". Die EU15 importiert deutlich mehr Fläche, als sie exportiert, so dass außerhalb der EU rund 35 Millionen Hektar Land für den hiesigen Markt genutzt werden. Jeder Europäer "besitzt" praktisch noch etwa 700 qm Fläche für seinen Orangensaft, seine Bananen oder Kleidung. Diese Fläche fehlt der Nahrungsmittelnutzung für die heimische Bevölkerung, so dass dort gerade ein steigender Fleischkonsum und auch Biomasse vermehrt zur Erschließung von extensivem Grasland führen kann.
Will die EU in fünf Jahren 20 Prozent der Kraftstoffe aus Biomasse herstellen, dann brauchen die Europäer dafür etwa 32 Prozent der Fläche. Bei Nutzung der ökologischen Anbauweise, die oftmals zu einem höheren Flächenverbrauch führt, steigt der außereuropäische Flächenanspruch. Zudem wird rund 73 Prozent der Fläche zur tierischen Produktion für Fleisch, Milch und Eier verwendet. Eine tierische Kalorie beansprucht im Durchschnitt sieben pflanzliche Kalorien, die vorher verfüttert werden müssen.
Die Berechnungen sind schwierig anzustellen, räumt Bringezu ein, jedoch zeigen sie einen Trend auf, der nicht zu leugnen ist. Kokett fasst er das Dilemma zusammen: "Steak auf den Teller oder Bio im Tank"? Die Verbraucher der EU drohen ohne Änderung ihrer Nachfrage, was neben dem Energieniveau auch den Fleischkonsum betrifft, "global über ihre Verhältnisse zu leben". Hier geht die Biomassefrage in die generelle Frage über, ob die Ressourcen unseren Verbrauch überhaupt noch schaffen. Einzelbeispiele regenerativen Energien dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frage, wie insgesamt eine nachhaltige Flächennutzung in der EU überhaupt aussehen könnte, noch völlig ungeklärt ist, so Bringezu.

Diskussionen
Ein Hektar Land: Soll darauf Raps für Biodiesel angebaut werden, Getreide für das tägliche Brot, Gras für die Kuh, damit sie Milch gibt oder sollen darauf Einfamilienhäuser gebaut werden, damit die Menschen im Grünen wohnen können? Platz für eine Autobahn wird benötigt oder für eine Fabrik, die Arbeitsplätze schafft - es können auch Schafe das Land offen halten, damit der Spaziergänger am Wochenende sich darauf erholen kann. Eine Frage für den Berliner Speckgürtel, genauso wie für alles Land bei bald acht Milliarden Menschen. Das Thema Biomasse hat im Rahmen der Energiediskussion die entscheidende Ebene erreicht.

Staatssekretär Matthias Berninger aus dem Verbraucherministerium prognostizierte der Biomasse "eine große Zukunft" bei der man jetzt "beherzt zugreifen muss". In das Zentrum der Diskussion dürfe man nicht die Frage stellen, wie die jetzige Energie gleich zu 100 Prozent ersetzt werden könne. Raps ist zur Zeit eine Erfolgsgeschichte, wird aber im Wandel der Märkte und Technologien keine große Zukunft mehr haben. Die Entwicklungsländer sind die Hauptopfer des hohen Ölpreises, wenn Indonesien bereits begonnen hat Öl zu importieren, stellte Berninger fest. Besser als jeder Schuldenerlass sei die Möglichkeit, Biomasse zu produzieren. Das sei vor allem eine Chance für Afrika, am globalen Markt teilzunehmen.
Niedrigere Preise auf dem Weltmarkt müssen dann jedoch nicht nur die Europäer fürchten, sondern es kann auch der gleiche Mechanismus in den Entwicklungsländern greifen, wie er für Soja gilt, warnte Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forum für Umwelt und Entwicklung: Soja aus armen Ländern verschwindet in europäischen Futtertrögen. Könnte also Biomasse von Flächen für die menschliche Ernährung in Asien die Fahrt in das europäische Wochenende ermöglichen? Maier stellt fest, dass weniger Fleischkonsum und weniger Autofahren in Europa den Anstieg des Energiebedarfes durch China und Indien nicht kompensieren werden kann.
Wie Verbraucher reagieren hatte Prof. Manfred Nitsch vom Lateinamerikanischen Institut der FU Berlin anhand Brasilien gezeigt, wo die Regierung in der Vergangenheit auf Ethanol aus Zuckerrohr gesetzt hatte: Bei einem Ölpreis unter 40 Dollar ist Zucker teurer und geht ökonomischer in die Zuckerproduktion - ist Erdöl teurer, dann fragen die Verbraucher wieder mehr nach Ethanolautos. Aber es ist nicht so einfach, dass es der Markt von alleine regelt. Alle Beteiligten sind sich darin einig gewesen, dass es keinen alleinigen Königsweg aus diesem Labyrinth gibt, sondern dass es verschiedene Maßnahmen geben muss. So gesehen beschreibt die forsche Nachfrage eines Vertreters von BASF, in welche Technologie ein Investor eine Milliarde Euro investieren sollte, lediglich den Charakter einer bestehenden Struktur: eine Technik, eine Investition, eine Rendite. Vielmehr wäre die Frage besser gewesen, in welche 100 Projekte ein Investor jeweils 10 Millionen Euro investieren sollte, um der dezentralen Energieversorgung der Zukunft in ihren mannigfaltigen Erscheinungen gerecht zu werden.
Es fehle jedoch weltweit immer noch die "gute fachliche Praxis" als Beleg für die Nachhaltigkeit der erneuerbaren Energien, stellte auch Uwe Fritsche abschließend fest. Hier beginnt eine neue Diskussion, die für Jürgen Maier einen eigenen Reiz birgt. Innerhalb der WTO gäbe es bereits eine mögliche Mehrheit für eine Zollfreiheit für fair gehandelten Produkte, was als Nebeneffekt bewirken könnte, dass diese billiger werden, so Berninger. Jürgen Maier sieht die Notwendigkeit innerhalb der WTO, den Grundsatz aufzugeben, dass herstellungsbedingte Produktunterschiede nicht mehr verboten sind und kurzfristig eine Chance in den festgesetzten Verbrauchshöchstwerten für Autos in den USA, Japan und China.

Roland Krieg

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