Bio-Kohle in 90 Minuten
Landwirtschaft
Europas größte HTC-Anlage steht in Brandenburg
„Ein Spiel dauert 90 Minuten“, hat Sepp Herberger gesagt. Mehr Zeit braucht auch Volker Zwing nicht, um in der „Nachspielzeit“ den Rasenschnitt in wertvolle Bio-Kohle zu verwandeln.
Das HTC-Verfahren
Organische Substanz hat die Geosphäre unter Luftabschluss und Druck in Millionen Jahren zu Braun- und Steinkohle verpresst.
Friedrich Bergius gelang es Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Hydrierung von Kohle den Prozess der Kohlebildung im Labor nachzustellen und meldete das Verfahren 1913 zum Patent an. Bergius beschrieb in seiner Habilitationsschrift das Prinzip: Unter Überdruck kann Wasser über 100 Grad Celsius erhitzt werden, was später über den Schnellkochtopf für schnellere Garzeiten den Weg in die Küchen fand. Werden die Kartoffeln unter Druck bei 180 Grad Celsius gekocht, dann spalten die Kohlehydrate der Knollen, zu denen auch die Gerüstsubstanzen der Cellulosen gehören, Wasser ab. Am Ende treiben die reinen Kohlenstoffstrukturen in einer wässrigen Flüssigkeit. Die Kartoffel wurde hydrothermal carbonisiert (HTC).
Gut 90 Jahre später hat Prof. Markus Antonietti am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung das Verfahren aufgegriffen und wandelt Biomasse in Kohle um. Die Firma carbonSolutions (CS) in Kleinmachnow bei Berlin wurde im Rahmen der Forschung gegründet, optimiert das HTC-Verfahren und hat derzeit die größte HTC-Anlage Europas gebaut. Seit Oktober 2010 werden kontinuierlich bis zu 12.000 Tonnen Grünschnitt, Bioabfälle, oder Klärschlamm in die Anlage gepumpt und kommen anschließend als schwarze Slurry wieder heraus. Und das in nur 90 Minuten, erläutert CS-Geschäftsführer Volker Zwing.
Forschung und Anwendung
In den letzten drei Jahren wurden rund 2,5 Millionen Euro in die Optimierung der Anlage investiert, die neben ihrem praktischen Zweck auch immer noch eine Forschungsanlage ist. Anlagenbauer Dr. Arne Stark präsentiert die Vorzüge: Die meisten Analgen brauchen für die hydrothermale Carbonisierung zwischen sechs und 12 Stunden, seine wird kontinuierlich beschickt und produziert daher auch ein stetiges Ergebnis. Die Anlage arbeitet mit nasser, pumpfähiger Biomasse und nutzt daher Ausgangsmaterial, das nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion steht. So werden aus organischen Reststoffen tonnenweise Bio-Kohle. Die Literatur beschreibt einen Energieeinsatz zwischen 10 und 20 Prozent des Ausgangsmaterials für seine Herstellung. Die Anlage in Kleinmachnow kommt mit 15 Prozent aus. Nach Dr. Stark arbeiten sie sogar daran, die 15 Prozent Energieaufwand für das getrocknete Produkt zu erzielen.
Der Charme des HTC-Verfahrens liegt nicht nur in der Verwendung verschiedener nachwachsender Roh- und Reststoffe, sowie der energetischen oder biologischen Verwendung des Endprodukts, Terra Preta, Filterkohle, Bodenverbesserer), sondern vor allem in der negativen Kohlendioxidbilanz. Beim Verrotten der Reststoffe wird nämlich Kohlendioxid frei, beim HTC-Verfahren im Gegenteil sogar noch gebunden. Beim Verarbeiten einer Tonne Biomasse speichert HTC rund 1.500 Kilogramm Kohlendioxid.
Die Anlage in Kleinmachnow entspräche dem anfallenden Grünschnitt von drei Gemeinden, so Dr. Stark. Und ihnen kommt das Produkt auch wieder zugute. Während bei der großskaligen Biogasherstellung die Logistik und Bereitstellung von Biomasse zu einer noch zu lösenden Herausforderung geworden, ist die Anlage in Kleinmachnow so handhabbar, dass sie dort aufgebaut wird, wo die Biomasse ist.
Dünger, Heizwert und Filter
Das HTC-Verfahren findet weite Beachtung in der Forschungswelt. Zum einen können Druck und Temperatur beim Verfahren so variiert werden, dass ein maßgeschneidertes Produkt entsteht. Zum anderen gibt es eine Handvoll Einsatzbereich der Bio-Kohle. Die Kohleartigen Rundlinge können energetisch in Heizungsanlagen eingesetzt werden, die flüssige Form kann unter Nutzung normaler Gülleausbringtechnik den Boden düngen. In pulverisierter Form gilt die Bio-Kohle als Bodenverbesserer und baut Bodenstrukturen wie bei Humus auf. Als Filter können Schadstoffe im großen und engmaschigen Netz der Kohlehydrate aus der Luft eingefangen werden.
Sein ganzes Potenzial entfaltet die Bio-Kohle in der Landwirtschaft, weil im Ausgangsstoff die gleichen Mineralien enthalten sind, wie in der zugeführten Biomasse. Daher bringt Bio-Kohle auch die nur begrenzt verfügbaren Nährstoffe Kalium und Phosphor wieder in den Bodenkreislauf zurück.
Das HTC-Verfahren bricht auch organische Schadstoffe auf. Daher wirkt das Verfahren auch Hygienisierend, aber im Fortgang sind noch nicht alle Untersuchungen abgeschlossen, ob und welche Metaboliten neu entstehen. Auch deswegen ist die Anlage in Kleinmachnow in einem Forschungsverbund eingebunden.
Optimal für die Landwirtschaft?
Michael Distel vom Kreisbauernverband Rhön-Grabfeld aus Bad Neustadt führte auf dem Fachprogramm zu HTC auf der Internationalen Grünen Woche 2011, die energetischen Vorteile des Endprodukts aus. Sägespäne haben bei 60 Prozent Trockenmasse 2,9 kWh Energie je Kilogramm. Daraus werden 0,9 Kilogramm Bio-Kohle mit einem Energiegehalt von 4,9 kWh. Für die Verkohlung mussten 1,3 kWh aufgewandt werden, so dass ein Energievorteil von 0,4 kWh je Kilogramm herausgekommen sind.
Noch vorteilhafter sei die Verwendung in der Landwirtschaft. Der Effekt resultiert aus einer vergrößerten reaktiven Oberfläche durch die eingebrachte Bio-Kohle. Das fördert das Wasserspeichervermögen, die Nährstoffbindung und kann die Inaktivierung von Schadstoffen im Boden fördern.
Noch Klärungsbedarf
Aber es sind noch einige Fragen zu klären: So sollen Versuche zeigen, dass die Bodenverbesserung nur im Verbund mit anderen Bodenverbesserungen wie Kompost eintritt. Möglicherweise werden Nährstoffe auch so fest gebunden, dass die Pflanze sie nicht mehr aufnehmen kann.
Letztlich werden auch die Kosten über die Anwendung entscheiden. Auf der gleichen Veranstaltung führte Dr. Armin Vetter von der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft (TLL) alte Wirtschaftslichkeitsrechnungen der DDR an, die auf den sandigen Böden ebenfalls mit Torf Verbesserungen im Humusgehalt herbeiführen wollte. Die Praktiker hatten ausgerechnet, dass zwischen 20 und 26 Tonnen Torf je Hektar notwendig wären. Das hätte bis zu 2.400 Mark je Hektar gekostet und nur im ersten Erntejahr wäre es zu einer deutlichen Ertragssteigerung von zehn Dezitonnen Getreide gekommen. Im zweiten und dritten Folgejahr lag der Erntevorsprung nur noch bei zwei bis drei Dezitonnen, weswegen die künstliche Humusverbesserung schließlich als zu teuer wieder eingestellt wurde.
Lesestoff:
Teil I: Studie zum Stand und Perspektiven der Umweltwirtschaft in Brandenburg und Besuch bei Progeo, der Firma, die Abdichtungen mit eingebauter Alarmfunktion vertreibt.
Roland Krieg (Text und Fotos)