Bioenergiedörfer brauchen Landwirte
Landwirtschaft
Die vollzogenen Energiewenden: Bioenergiedörfer
Mist und Gülle, Stroh, Holz, Reststoffe, Silomais, Sorghumhirsen, Grünland, Zuckerrüben, Kleegras oder Sonnenblumen: Die kleine Auswahl beschreibt die Rohstoffbasis für rund 150 Bioenergiedörfer, die seit Jühnde im Jahr 2005 ihre Energiewende bereits erfolgreich vollzogen haben. Derzeit sind mehr als 400 weitere Kommunen auf dem Weg in die regionale Wertschöpfung und Energieunabhängigkeit. Damit sie erfolgreich sind und weitere Gemeinden hinzukommen, hat die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) am Donnerstag in Berlin den Leitfaden „Bioenergiedörfer“ für eine praxisnahe Umsetzung vorgestellt. Rechtzeitig in einem schwierigen Umfeld, wo die Reform des EEG manche Stimme hervorbringt, die in den Plänen der Bundesregierung das Ende der Energiewende sieht [1]. Dabei stellen erneuerbare Energien bereits 23 Prozent des Stromverbrauches und Biomasse leistet darin einen Anteil von mehr als 60 Prozent.
Für Biomasse werben
Die Biomasse braucht mehr Öffentlichkeit, sagte Dr. Andreas Schütte von der FNR. Oft werde sie nur mit negativen Begriffen wie „Vermaisung“ in Verbindung gebracht. Dabei kommen die positiven Faktoren zu kurz. Seit mehr als sechs Jahren breiten sich Bioenergieregionen in Deutschland aus. Sie zeigen, dass Biomasse, Wind und Sonne sich ergänzen und fossile Energieträger ersetzen können.
Die vielen Landräte und Bürgermeister, die zu dem zweitägigen Kongress nach Berlin gekommen sind zeigen Peter Bleser, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirt-schaftsministerium, dass das Interesse an dem Thema weiterhin hoch ist. Sie wollen die regionalen Potenziale für die eigene Energieversorgung heben. „Bioenergiedörfer sind etwas ganz besonderes“, so Bleser. „Sie zeigen die erfolgreiche Umsetzung einer Rahmensetzung durch die Politik.“ Die Bundesregierung will den Anteil der neuen Energien bis 2025 auf 40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf 60 Prozent steigern. Es gehe dabei nicht nur um Klima und Energie. Die aktuelle politische Situation zeige, dass „Energieunabhängigkeit“ künftig mehr in den Fokus gerückt werden müsse.
Ländliche Regionen spielen eine wichtige Rolle – aber ohne Zustimmung der Bürger werde kein Bioenergiedorf realisierbar sein. Dieses Ziel bringt durch die notwendige Zusammenarbeit aller Beteiligter auch wieder Leben in die Dörfer. Der Leitfaden zeige den Beteiligten wie es geht.
Bleser nahm Stellung zur aktuellen Diskussion um das EEG. Bei der Bewältigung der Energiewende müsse auch die Wirtschaftlichkeit beachtet werden, um weltweit eine Rolle als Schrittmacher einzunehmen. Bei der Neugestaltung des EEG müssen die Widersprüchlichkeiten Kosten, Umwelt, Landschaft und Landwirtschaft austariert werden. Eines sei aber klar: „Spurlos und unsichtbar ist die Energiewende nicht zu machen!“. Bioenergiedörfer können zur Versachlichung der Debatte beitragen. Die EEG-Reform befinde sich gerade in der Ressortabstimmung und werde in ihrer ersten Fassung am 08. April in den Bundestag gereicht. Bleser gab sich optimistisch, dass nach Vorlage des Eckpunktepapiers Nachsteuerungen am Ende erfolgreich sind.
Vom Ausgabe- zum Investitionsmodell
Der Leitfaden besticht durch die zahlreichen praktischen Beispiele: Welche Technik für welchen Standort in welcher Rechtsform ist am geeignetsten. Der Finanzierung wurde ein eigenes Kapitel gewidmet, führte Mitautor Prof. Dr. Peter Heck vom Institut für angewandtes Stoffstrommanagement (IfaS) aus. Eine ausführliche Beispielrechnung räumt auch mit einem Argwohn auf: Die regionale Energieversorgung lohnt sich. Ein Beispieldorf nach realem Vorbild mit 150 Gebäuden und 400 Einwohnern verbraucht 450.000 kWh Strom und 4,5 Millionen kWh Wärme. Jährlich stehen 500.000 Euro für fossile Energieträger auf der Rechnung. Die können die Bürger in die Hand nehmen und die Energiewende einleiten. Im Jahr 2025 hat das Musterdorf aus allen Investitionen, Kosten und Einnahmen eine regionale Wertschöpfung von 10 Millionen Euro erwirtschaftet. Für die Landwirte, die Handwerker und Bürger. Die Energiewende ist für Prof. Heck der Paradigmenwechsel vom Ausgabe- zum Investitionsmodell: „Investitionen, die sich durch Vermeidung steigender fossiler Rechnungen refinanzieren.“
Ein, zwei viele Dörfer
Dr. Alexander Reis, ebenfalls vom IfaS, zitiert den Bürgermeister von Bollewick: „Die Gemeinsamkeit der Bioenergiedörfer ist ihre große Individualität.“ Die Bioenergiedörfer unterscheiden sich in der technischen Ausstattung, in der Wahl ihrer Energiequellen bis hin zu den unterschiedlichsten Rechtsformen. Die Kommunen sind erfindungsreich. So werden beispielsweise mit überschüssiger Wärme afrikanische Welse gezüchtet oder ein Gewächshaus von 90.000 Quadratmeter versorgt.
Die Gemeinde Siebeneich in Hohenlohe hat nach seiner Autarkie einen sechs Kilometer langen Rundweg mit 50 Informationstafeln erstellt und zeigt damit allen Interessierten den Weg in Richtung Bioenergiedorf. Die Bürger bauen den Wanderweg mittlerweile auch touristisch aus. Er führt an Streuobstwiesen und regionalen Weinbergen entlang. Eine ganzheitliche Wertschöpfungskette.
Scheitern ausgeschlossen?
Eine Untersuchung von 20 Bioenergiedörfern hat die Erfolge deutlich gemacht. Im Schnitt liegen die Wärmekosten bei 48 Prozent der fossilen Rechnung, berichtete Dr. Marianne Karpenstein-Machan vom Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE). Auch im Brandenburgischen Feldheim in der Stadt Treuenbrietzen sind die Bürger zufrieden: Sie zahlen für die Kilowattstunde Strom lediglich 16,6 und für die Wärme–kWh 7,5 Cent. Bürgermeister Michael Knape empfängt sogar internationale Delegationen, die sich das energieautarke Dorf genauer ansehen wollen.
Doch der Weg in ein Bioenergiedorf ist lang und steinig. Neben Politik und Technik sind die Menschen vor Ort der Schlüssel für den Erfolg. Dr. Karpenstein-Machan zählt auf: Die Dorfgemeinschaft braucht starke soziale Akteure, die als Zugpferd die ein bis zwei Jahre Umbauphase durchstehen. Die Dorfgemeinschaft muss schon ein Mindestmaß an Kreativität aufbringen und „leben“. Dann sind auch Kompetenzen vor Ort erschließbar. Die meiste Arbeit wird von den Beteiligten ehrenamtlich geleistet.
Wenn die Gemeinschaft nicht passt, dann können Projekte auch scheitern. Landwirte sind abgesprungen, weil sie mit Getreide bei hohen Preisen mehr verdienen konnten, als durch den Anbau von Energiepflanzen. Ein Projekt stand kurz vor dem Scheitern, weil trotz Planung die Spitzenlast im Betrieb nicht geliefert werden konnte. Und, so Prof. Heck, wer plant, sollte auch die Interessen der Beteiligten berücksichtigen. So sei manche Planung ins Leere gelaufen, weil beteiligte Stadtwerke ihre hohen Verzinsungen aus der fossilen Zeitrechnung angelegt haben: Der Ertrag würde ausbleiben.
Das letzte Kapitel des Leitfadens widmet sich einem anderen heiklen Thema: Der Kommunikation. Es mehren sich Bürgerinitiativen gegen Solarparks, Maisfelder und Windräder. Die Menschen vor Ort müssen alle mitgenommen werden und in der Startphase ist die Auswahl der Gesprächsteilnehmer und Kommunikationsstrategie essentiell für das ganze Projekt.
Lesestoff:
Die Konferenz war gleichzeitig der Startschuss für den alle zwei Jahre stattfindenden Wettbewerb der Bioenergiedörfer: www.bioenergie-doerfer.de
Allgemeine Informationen und Vernetzung gibt es unter www.wege-zum-bioenergiedorf.de
Den regionalen Ansatz finden Sie unter www.bioenergie-regionen.de
[1] Harter Aufschlag EEG-Reform und Thüringens Umweltminister Jürgen Reinholz fürchtet das Aus für die Bioenergie
Roland Krieg; Fotos: roRo