Biomasse für Kommunen
Landwirtschaft
Nawaro kommunal
Mit der Jutetasche fing es in den 1980er Jahren an. Mehr als 30 Jahre später sind die Grundlagen für eine Wirtschaft, die auf erneuerbaren Ressourcen basiert, größer denn je. Längst geht es nicht mehr allein um den Biosprit. Auf dem Acker und im Forst wachsen Rohstoffe heran, die Alltagsgegenstände auf erneuerbare Füße stellen können. Und längst sind der Holztisch aus nachhaltiger Forstwirtschaft und Ablagen aus abbaubaren Biopolymeren nicht nur Status der neuen Öko-Generation, sondern auch Thema im öffentlichen Beschaffungswesen. Und daher Thema einer am Dienstag begonnenen Tagung der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Berlin.
Marktmacht Kommune
Von der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes
aus dem Jahr 2002 über die EU-Leitmarkinitiative 2007 mit einer
Marktperspektive für biobasierte Produkte bis zum Aktionsplan zur stofflichen
Nutzung nachwachsender Rohstoffe des Bundeslandwirtschaftsministeriums aus dem
Jahr 2009 und der jüngsten Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 aus dem letzten
Jahr sind der Unterbau der Neu-Ausrichtung des kommunalen Beschaffungsplan,
erläuterte Alexander Hartge aus dem BMELV. Das „Öffentliche Auftragswesen“ ist
als sechstes Handlungsfeld in dem Aktionsplan benannt.
In den Büros geht es dabei nicht nur um die
Verwendung von Recycling-Papier. Büromaterial, Büromöbel aber auch
Arbeitskleidung sind nur ein Teil des Aktionsfeldes. Die FNR hat mit ihrem
Büro-Neubau mit nachhaltigen Produkten neue Akzente gesetzt. Es geht aber auch
um den Fahrzeug- und Maschinenpark, Wärme und Strom, sowie Catering und den
Garten- und Landschaftsbau.
Es geht hier nicht um Kleinigkeiten. Die
öffentliche Hand in Deutschland beschafft jährlich Waren im Wert von 250 Milliarden
Euro. Europaweit sind es nach Angaben von Norbert Portz vom Städte- und
Gemeindebund sogar 1,5 Billionen Euro. Das ist eine Nachfragemacht, die für
Peter Bleser, Parlamentarischer Staatssekretär aus dem
Bundeslandwirtschaftsministerium, forciert werden müsse. Die Kommunen könnten
hier eine Vorreiterrolle einnehmen und regionale Wertschöpfungsketten anstoßen
und Arbeitsplätze im ländlichen Raum sichern.
Ab 2012 wird ein „Wertschöpfungsrechner“
freigeschaltet, der die Evaluierung von Anlagen für erneuerbare Energien
ermittelt.
Biopolymere für alle
Die stoffliche Nutzung wird meist noch
unterschätzt. Ziel ist der Ersatz fossiler Biopolymere in der Pharmazie und für
Werkstoffe. Nach Christian Schulz vom Institut für Biokunststoffe und
Bioverbundwerkstoffe der Fachhochschule Hannover ist das derzeit ein äußerst
dynamischer Markt mit Wachstumsraten von 20 Prozent im Jahr. In diesem Jahr
werden etwa 1,2 Millionen Tonnen Biopolymere aus nachwachsenden Rohstoffen im
Wert von 4,5 Milliarden Euro erzeugt. In vier Jahren werden sich Handelsvolumen
und Umsatz fast verdoppelt haben. Weltweit wird dafür Biomasse auf etwa 15
Millionen Hektar angebaut. In Europa sind es 1,8 Millionen und in Deutschland
0,17 Millionen Hektar.
Trotzdem ist das Anteil am Gesamtkunststoffmarkt
mit nur einem Prozent noch sehr bescheiden. Weltweit müssen 250 Millionen
Tonnen Kunststoffe substituiert werden. Derzeit werden 0,03 Prozent der
weltweiten Ackerfläche für die stoffliche Nutzung beansprucht. Sollten alle
petrochemischen Stoffe für den Automobilbau ersetzt werden, würden 0,3 Prozent
der Weltackerfläche benötigt. Für den Ersatz aller Kunststoffe würden vier
Prozent der Ackerfläche genutzt werden müssen.
Schon heute reichen die Anwendungen von der
Tragetasche über die Ummantelung eines USB-Sticks bis hin zur
Computer-Tastatur.
Das Umschwenken
Die Umstellung des öffentlichen
Beschaffungswesens ist jedoch keine leichte Aufgabe. Es sind tatsächlich
monetäre Schätze zu heben. Prof. Dr. Edeltraud Günther von der Technischen
Universität Dresden führt an, dass beispielsweise beim Stand-by von
Bürogeräten, Austausch der Straßenbeleuchtung oder regenerative Klimasysteme
negative Vermeidungskosten für Kohlendioxid auftreten. Je eingesparte Tonne Co2
werden auch Kosten eingespart. Im Jahr 2020 könnten Kommunen auf diese Weise
mehr als 5,5 Milliarden Euro negative Vermeidungskosten anhäufen. Aber weil
meist das Budget für die Investitionen fehlt, wird dieser Schatz nicht gehoben.
Hinzu kommen noch andere Gründe.
Zielkonflikte und Machtstrukturen sowie Kompetenzgerangel sind nach Dr. Günther
Hemmnisse für eine Umsetzung. Norbert Portz bringt es auf den Punkt: Die
Umsetzung ist meist Chefsache gegen die ein wissender Sachbearbeiter letztlich
nicht argumentieren kann.
Information
Die Lösung müsse auf zwei Ebenen stattfinden.
Zum einen fehlt in den Beschaffungsstellen tatsächlich Fachwissen, welche
alternativen Waren bestellt werden können, zum anderen meinen viele, gebe das
Vergaberecht keine Umweltbezüge her. Beides ist falsch. Mittlerweile gibt es zahlreiche
Datenbanken (s. unten) auf denen Sachbearbeiter sich über Waren aus
nachwachsenden Rohstoffen informieren können.
Zum anderen müsse das Vergaberecht nicht
geändert werden, weil bei der Leistungsbeschreibung auf wettbewerbskonforme Art
hingewiesen werden darf. So sei es erlaubt, zur Minderung der Treibhausgase
kurze Transportwege zu verlangen. Auch Heizbetrieb mit Gas oder Strom aus
erneuerbaren Energien dürfen verlangt werden. Das sei mittlerweile durch
verschiedene Rechtsurteile abgesichert. Nach Portz müssen die Kommunen nur
darauf achten, dass die Kriterien mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen.
Die Kommunen werden sich in diese Richtung
orientieren müssen, denn, so Dr. Günther, die Bürger sind auf eine nachhaltige
Auswahl hin sensibilisiert und verlangen vergleichbare Verhaltensweisen auch
von ihren Städten und Landkreisen.
Aufwand
Trotzdem steht zunächst ein erheblicher
Aufwand bevor. Helmut Wahle aus der Leitstelle für
Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) der Landeshauptstadt Hannover beschrieb,
wie zunächst einmal Grundsatz-UVP erstellt wurden, um sie nicht bei der
Bestellung jedes „einzelnen Bleistifts“ durchzuführen. Ein Beschaffungshandbuch
wurde angelegt und die Mitarbeiter haben sich bei den Anbietern mit Hilfe von
Fragebögen über deren Nachhaltigkeit informiert. Man habe auch mit externen
Fachleuten zusammengearbeitet, UVPs als Dienstanweisung verfasst und
Baustofflisten für ökologisches Bauern erstellt. Wahles Erkenntnis: Man müsse
nichts neu erfinden, weil es die Umweltorientierung schon gibt. Man müsse nur
hinschauen und sie auf den Betrieb übertragen.
Die Hansestadt Bremen hat sich per
Koalitionsbeschluss mit dem „Bremischen Tariftreue- und Vergabegesetz“ auch die
ökologische Beschaffung im Koalitionsvertrag verankert. So lautet der Paragraph
19 (1). „Bei der Vergabe von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen müssen
Umwelteigenschaften einer Ware, die Gegenstand der Leistung ist, berücksichtigt
werden.“ Daher wurde in Bremen die Kooperationsstelle zwischen der zentralen
Beschaffungsstelle und der Umweltbehörde eingerichtet. Dort sitzt Dr. Diana
Wehlau, die Leuchttürme der Nawaro-Beschaffung vorstellte. So wurden
umweltfreundliche Flurdrucker eingeführt und die Arbeitskittel der
Reinigungskräfte und Putzmittel nach ökologischen Kriterien ausgesucht. Als
nächster Schritt steht die flächendeckende Umsetzung dieser einzelnen
Leuchttürme an, so Dr. Wehlau.
Städte funktionieren aber anders als
Gemeinden, die oftmals aus einzelnen Dörfern bestehen. So besteht Taunusstein
vor den Toren Wiesbadens aus zehn einzelnen und versprengten Stadtteilen.
Watzhahn hat dabei nur 205, Hahn hingegen mehr als 7.000 Einwohner. Eine
gemeinsame Beschlussfassung bei unterschiedlichen Zielen ist nicht einfach,
erläutert Bürgermeister Michael Hofnagel. Man habe die Verwaltung verschlanken
müssen, denn irgendjemand habe an irgendeiner Stelle immer etwas kaufen müssen,
so Hofnagel. Man habe sich ein Gesamtleitbild mit einem neuen Teilleitbild
„Klimaschutz“ verordnet. Immerhin veranschlagt das Beschaffungswesen der Stadt
mit 16 Millionen Euro im Jahr 22 Prozent des Budgets. Damit wurden die
Beschaffungsvorgänge weitgehend standardisiert und aktualisiert. Doch fehlt es
noch an ausreichendem Monitoring. Man könne zwar „per Knopfduck“ sehen, wo
gerade noch eine Kita-Stelle frei ist, nicht aber wie viel Bedarf an
nachhaltigen Produkten besteht. Da besteht noch Handlungsbedarf, so Hofnagel.
Aber der lohnt sich. Denn es wurden finanzielle Freiräume geschaffen. Jetzt
können für eine Million Euro die Kindertagesstätten energetisch saniert werden.
Druck auf die Kommunen
Der Druck auf die Kommunen wächst. So haben
in der letzten Woche der Münsteraner Verein Vamos und FIAN Deutschland dem
Deutschen Städtetag Online-Unterschriften überreicht, um in Kommunen die
Beschaffung auf „sozial und ökologisch verantwortliche hergestellte Produkte“
umzustellen. „Solange die Bundesregierung entsprechende
Gesetze nicht erlässt und auch noch viele Landesregierungen nur zögerlich in
diese Richtung gehen, müssen die Kommunen selber handeln“, erklärt Gertrud Falk
von FIAN Deutschland.
Dass sie handeln können, hat die FNR-Tagung gezeigt.
Man dürfe aber die Kommunen auch nicht überlasten, warnte Norbert Portz. Und
die droht, denn Nordrhein-Westfalen will noch soziale und ethische Aspekte in
die Kriterienkataloge aufnehmen.
Man sollte aber zunächst einmal die Nawaros
flächendeckend bevorzugen.
Lesestoff:
Das FNR betreibt die Beraterplattform www.nawaro-kommunal.de für alle noch offenen Fragen zum Thema öffentliche Auftragsvergabe unter Umweltaspekten. Dort gibt es beispielsweise Mustervorlagen für die Auftragsvergabe, Faktenwissen und Formulierungshilfen, sowie Praxisberichte und weiterführende Links.
Umweltdatenbanken für Kommunen (nach Norbert Portz):
www.greenlabelspurchase.net/de (Ausschreibungshilfe)
www.beschaffung.info (Erfahrungsberichte)
www.initiative-energieeffizienz.de (Einsparpotenziale)
www.eu-energystar.org (Stromsparende Bürogeräte)
www.blauer-engel.de (Produkte und Dienstleistungen)
www.eco-label.com (Europa-Blume)
www.vcd.org (Umweltfreundliche Fahrzeuge)
Aktionsplan stoffliche Nutzung der Biomasse
Neubau der FNR
Roland Krieg