Biomasse: Vom Königsweg zur Zwischenlösung?
Landwirtschaft
Biomasse: Ohne sie geht es nicht
Pflanzen sind Mittelpunkt der Schlüsseltechnologie des
21. Jahrhunderts. Abteilungsleiter Clemens Neumann aus dem
Bundeslandwirtschaftsministerium unterstrich ganz zu Anfang die Bedeutung der
Pflanzen für die Energiewende. Die Bundesregierung will bis 2020 die Treibhausgase
um 40 Prozent, bis 2050 sogar um 80 Prozent reduzieren, den Anteil der
erneuerbaren Energien bis 2050 auf 60 Prozent des Verbrauchs und auf 80 Prozent
Anteil bei der Erzeugung erhöhen. Heute haben die erneuerbaren Energien einen
Anteil von 23 Prozent an der Energieerzeugung und die Biomasse, also der
pflanzliche Ausgangsstoff vom Acker, liegt noch immer bei 66 Prozent - trotz
Boom von Solaranlagen und Windkraftparks.
Die Biomasse ist nach Neumann der „Königsweg“ der
Energiewende bis 2050 - aber in welcher Form und mit welchen Pflanzen - das
will die seit gestern in Berlin laufende Tagung der Fachagentur Nachwachsende
Rohstoffe (FNR) herausfinden.
Wertschätzung
Bislang haben die Anlagen der erneuerbaren Energien
Investitionen in Höhe von 19,5 Milliarden Euro ausgelöst und eine respektable
Wertschöpfungskette mit 378.000 Beschäftigten geschaffen. Das EEG hat den
Einstieg in die Energiewende unbestritten gefördert. Die Reform 2012 und die
anstehende Prüfung durch die neue Bundesregierung wird die Balance finden
müssen, den Träger der Energiewende nicht zu strangulieren. Die Biomasse kann
noch viel umsetzen: Das Potenzial für Energiepflanzen wird energetisch auf 760
Petajoule, für Energieholz in Form von Kurzumtriebsplantagen auf 360 PJ,
Reststoffe aus der Landwirtschaft auf 300 und von städtischen, biogenen
Abfällen auf 240 PJ geschätzt.
Bereits heute werden auf über zwei Millionen Hektar
Energiepflanzen angebaut [1]. Das Potenzial liegt nach Angaben der FNR bei vier
Millionen.
Um das zu erreichen liegen viele Aufgaben vor der
Politik. Um die Akzeptanz des Energiepflanzenanbaus zu erhöhen müsse mehr
Forschung betrieben werden, erläuterte Neumann. Mehr Erträge von weniger Fläche
bei voller Berücksichtigung des Umweltschutzes heißt die Mammutaufgabe. Dazu
gehört auch ein Stopp des Flächenverbrauches, der zwar sinkt, aber von dem
Minimalziel 30 Hektar am Tag noch immer viel zu weit entfernt ist und
vorhandene Flächen künstlich verknappt [2].
Zudem müssen Politik und Praxis die neue Agrarpolitik
noch ausloten. Das „Greening“ bietet eine Chance für die Erhöhung der
Pflanzenbiodiversität auf dem Acker. In Bezug auf Energiepflanzen könnten das
mehrjährige Pflanzen, Kurzumtriebsplantagen oder ein extensiver Anbau ohne
Düngung und Pflanzenschutzmittel sein.
Dynamischer Weg
Dr. Andreas Schütte, Geschäftsführer der FNR, blickte
im Jahr des 20-jährigen Bestehens der Agentur auf eine dynamische Vergangenheit
der Biomassegeschichte zurück.
So hat eine einzelne Publikation um 1990 einen Hype um
Miscanthus ausgelöst. In Folge dessen wurde das Chinaschilf von der Sortenwahl,
über Anbauverfahren und Erntepotenziale bis hin zur Erntetechnik mit der
Entwicklung spezieller Maschinen mit 60 Tonnen Gewicht agrarwissenschaftlich
unter die Lupe genommen. Der Hype, nicht von der FNR mitgetragen, ist erloschen
und ein Beispiel, wie viele Hoffnungen Energiepflanzen tragen müssen. Heute
gehen die Wissenschaftler meist koordinierter und mit gebündeltem Wissen an ihr
Tagesgeschäft.
Um das gleiche Jahr herum kam ein anderes
Forschungsprojekt zu dem Ergebnis, dass „der Anbau von nachwachsenden
Rohstoffen zur Vergärung in Biogasanlagen nur bedingt“ für die Steigerung der
Anlageneffizienz geeignet ist.
Heute zeigt die Anbaukurve von Mais seit der Neufassung
des EEG im Jahr 2004 steil nach oben und hat ihn vor der Bedeutungslosigkeit
bewahrt. Sinkende Rinderbestände beschertem dem Maisanbau bis dahin sinkende
Bedeutung.
Vor allem der Maisanbau erschwert die Akzeptanz der
Energiepflanzen. Die Forschung ist aber viel weiter als die öffentliche Wahrnehmung.
Hinter dem sperrigen Namen „Entwicklung und Vergleich von optimierten
Anbausystemen für die Produktion von Energiepflanzen“ verbirgt sich der
öffentliche Wunsch, mehr als nur Mais für die Erzeugung von Strom und Wärme
anzubauen. Liebevoll EVA genannt, ist das Projekt mittlerweile in der dritten
Phase bis 2015 [3]. Die Suche ist nicht beendet. Einer der neuen Kandidaten ist
der Bokharaklee. Im zweiten Jahr kann die Leguminose bis zu 190 Dezitonnen
Trockenmasse pro Hektar einfahren. Mittlerweile herrscht Sachlichkeit über
Euphorie.
Was geht noch?
Dennoch ist nicht ganz klar, wohin die Reise geht. Für
den Ökonomen Prof. Dr. Dr. Jürgen
Zeddies von der Universität Hohenheim sind die vier Millionen Hektar
Biomasseanbau für Energie- und Industriepflanzen in Deutschland machbar.
Weltweit gibt es noch große Potenziale, ohne auf Nahrung verzichten zu
müssen. Für die Universität Hohenheim hat er den Flächenverbrauch von
importierten und exportierten Agrargütern zwischen 2008 und 2011, von Getreide
über Rapssaatgut bis zu Geflügelfleisch saldiert und kommt auf einen
Flächenrucksack des Agrarhandels von nur 760.000 Hektar für Deutschland. Seine
Werte sind kleiner als die des Statistischen Bundesamtes [4].
Der Ökonom definiert Ertrag in seinem ganzen pflanzenbaulichen
Umfang und zählt nicht nur die Ertragssteigerung einer Sorte durch Züchtung,
sondern auch den Ersatz von Pflanzen mit geringerem durch Pflanzen mit höherem
Ertrag, sowie die Veredlung und die Erschließung von Brachflächen hinzu. Unter
Berücksichtigung der sinkenden Bevölkerungszahlen in Deutschland und dem daraus
sinkenden Flächenbedarf für die Nahrungsmittelerzeugung, kann der Anbau von
Energiepflanzen bis 2050 sogar auf 5,5 Millionen gesteigert werden. Selbst für
die EU ist der Ausbau von sieben auf 22 Millionen Hektar möglich.
Dennoch stößt das System in Europa auf Grenzen. In
Frankreich, Deutschland, Polen und Ungarn gibt es Potenzial, aber eine geringe
Investitionsbereitschaft, politische Verunsicherung und zögerliche Nutzung
durch die Industrie. Großes ungenutztes Potenzial haben Russland und die
Ukraine - doch dort sind die Inlandspreise für fossile Energien sehr niedrig
und es gibt kaum Konversionsanlagen. Insgesamt weisen 19 Länder nach Prof.
Zeddies heute ein Potenzial für 190 Millionen Hektar auf, von denen nur 54
Millionen genutzt werden. Durch steigende Ertragsproduktivität könnten sie sich
bis 2050 ein Flächenpotenzial von bis zu 260 Millionen Hektar erschließen.
Die Tücken stecken im Detail. Prof. Zeddies bezweifelt,
dass der Index „Vermeidung von Treibhausgasen“ der richtige Effizienzschlüssel
für die Politik ist. Holz und Stroh seien für die Energie- und Wärmeproduktion
am effizientesten, werden aber skeptisch betrachtet. Biogas werde
schlechtgerechnet. Ist der Börsenpreis der richtige Referenzwert, wo
hochsubventionierte fossile Energieträger aus abgeschriebenen Kraftwerken den
Preis vorgeben? Auch die aktuelle Diskussion um die Biokraftstoffe laufe
in die falsche Richtung. Sie werden ebenfalls schlechter gerechnet, weil bei
Raps der Futterwert und die Vermeidung von ausländischen Futterflächen nicht
berechnet werden.
Der Pflanzenbauer bleibt auf dem Acker. Biogene
Reststoffe werden nach Zeddies nicht über eine Nischenproduktion herauskommen.
Effektiver Anbau von Energiepflanzen findet auf dem Feld statt.
Neue Dynamik voraus
Ob das alles so richtig ist? Florian Schöne vom
Naturschutzbund Deutschland hat Zweifel. Aktuell liege der Preis für Getreide
an der Börse in Paris wieder bei über 200 Euro je Tonne. Da werden die Bauern
eher diesen Marktsignalen als den Vorstellungen über die Energiewende folgen.
Zudem nehmen die umweltrelevanten Kriterien wie indirekte Landnutzung und
Treibhausgasproduktion mit steigender Fläche zu.
Künftig wird die stoffliche Nutzung, vor allem für die
chemische Industrie immer wichtiger [5]. Dieser Bedarf ist auf die Fläche noch
nicht richtig umgesetzt worden. Sie wird die energetische Nutzung verdrängen,
weil sie alternativlos ist. Für die Bildung von Kohlenstoffketten sind alleine
die Pflanzen zuständig. Düster wird es aus energetischer Sicht aber nicht. Nach
Schöne wird die Speichertechnologie für Sonnen- und Windstrom den Bedarf für
Energiepflanzen überflüssig machen. „Die vier Millionen Hektar sind für mich
eine Schimäre“, prognostizierte Schöne.
Für den Umweltschützer lohnt der genaue Blick.
Kurzumtriebsplantage ist nicht gleich Kurzumtriebsplantage. Einmal kann sie als
Hecke, ein anderes Mal als intensive Plantage angebaut werden. Die Folgen für
die Umwelt sind unterschiedlich. Daher sieht er in der Bioenergie eher als
„Brückentechnologie“ und fordert eine „Biomasse 2.0“: Anbausysteme müssen
Umwelt und Klima mit einbeziehen. Die Energieerzeuger müssten Gülle- und
Reststoffpotenziale bevorzugen. Mittlerweile gilt auch im Biomasseanbau das
Motto „Klasse statt Masse“.
Lesestoff:
[1] Anbau nachwachsender Rohstoffe in Deutschland
[2] Flächenverbrauch in Deutschland
[4] Wie viel Fläche wollen wir uns wo leisten?
[5] INRO-Kriterien-Katalog für die Biomassenutzung
Roland Krieg