Bleifreie Jagdgenossen ohne Pachtmöglichkeit
Landwirtschaft
Jagdpacht, Jagdgenossenschaft und bleifreie Munition
„In fast allen Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft ist es möglich, verantwortungsvolle Aufgaben an Vereine und andere juristische Personen zu übertragen. Warum das ausgerechnet im Jagdwesen nicht möglich sein soll, wird das Geheimnis von Staatssekretär Bleser bleiben“, kommentierte Cornelia Behm, Sprecherin für Waldpolitik und ländliche Räume von Bündnis 90 / Die Grünen. Weil es in vielen Gegenden Schwierigkeiten gibt, Jagdpächter zu finden, wäre es angesichts der hohen Wilddichte und dem notwendigen Anstieg des Jagddrucks der Wildregulierung geholfen, wenn Jagdvereine als Pächter auftreten könnten. Für ortsansässige Jäger und Landnutzer wäre das eine attraktive Möglichkeit gewesen, Wildschäden wirksam zu mindern, so Behm. Begleitend sollte die Zahl zulässiger Jagdausübungsberechtigter in gemeinschaftlichen Jagdbezirken erhöht werden, die zeitliche Begrenzung von Jagderlaubnisscheinen und die Absenkung der Mindestgröße für Gemeinschaftsjagdbezirke auf Mindestgröße für Eigenjagdbezirke sowie die Abschaffung der Mindestpachtdauer erfolgen.
Nach Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums könne der Antrag aber nur über eine Änderung des Bundesjagdgesetzes erfolgen, das nach § 11 und Abs. 5 nur einer natürlichen Person die Jagdpacht erlaubt.
Jagdgenossenschaft
Viele Grundstückeigentümer sind Mitglied einer Jagdgenossenschaft, auch wenn sie es nicht wissen. Nach deutschem Jagdrecht gewährleistet dieser Brauch, dass die Jagd flächendeckend durchgeführt werden kann.
Gegen die Pflichtmitgliedschaft klagte 2006 ein Grundstückseigentümer in Rheinland-Pfalz, der die Jagd auf seinem Flurstück nicht dulden will. Er unterlag sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch in der ersten Instanz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). In dieser Woche hat die Große Kammer des EGMR allerdings für den Kläger entschieden. Die Pflichtmitgliedschaft verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Nach Dr. Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), treffe das Urteil auf Unverständnis bei Landwirten und Grundeigentümern. Das Gericht hätte nicht ausreichend gewürdigt, dass ohne eine flächendeckende Jagd die Wildbestände weiter ansteigen würden und zu massiven Wildschäden führten. Gleichzeitig stiege auch die Gefahr der Ausbreitung von Tierseuchen und von Wildunfällen. Man werde das Urteil zunächst einmal gründlich analysieren.
Bernhard Haase, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (BAGJE) zeigte sich enttäuscht: „Für uns Jagdrechtinhaber ist es nicht nachvollziehbar, dass das seit Jahrzehnten bewährte deutsche Jagdrechtssystem gegen europäische Menschenrechte verstoßen sollte.“ Wenn einzelne Grundeigentümer ihre Grundstücke aus der Jagd herausholen können, würde ein Flickenteppich für die Jagd entstehen und sich die Wilddichte weiter erhöhen.
Haase wies darauf hin, dass das Urteil zunächst einmal keine Auswirkungen auf die Jagd in Deutschland habe, weil weiterhin das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gelten würde.
„Das Urteil stellt einen tiefen Eingriff in das deutsche Jagdsystem dar, dessen weitreichende Folgen derzeit noch nicht abschätzbar sind“, erklärten Franz-Josef Holzenkamp, Vorsitzender der CDU/CSU-Arbeitsgruppe Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und der zuständige Berichterstatter Cajus Caesar. Sie sehen weiterhin die Notwendigkeit für eine grundstücksübergreifende Jagd. Nur dann könnten die Eigner ihrer Hegeverpflichtung gerecht werden.
Der Rechtsanwalt des Klägers, Dominik Storr, hingegen feiert das Urteil: „Wir haben somit gewonnen!“. Jäger dürften nun nicht mehr auf fremden Grundstücken ohne Einwilligung des Eigners jagen und Deutschland stehe in der Pflicht, das Jagdgesetz entsprechend zu ändern.
Der Kläger lebt in Baden-Württemberg und besitzt in Rheinland-Pfalz zwei Grundstücke von insgesamt 75 Hektar. Die Jagdgenossenschaft Langsur darf nach bisherigem Recht die Jagd auf seinen Grundstücken weiterbetreiben, doch der Kläger lehnt diese aus Gewissensgründen ab und scheiterte mit dem Antrag, aus der Jagdgenossenschaft auszutreten.
In seinem Urteil verwies der EGMR darauf, dass auch die BAGJE und der Deutsche Jagdverband der Meinung sind, dass die Jagdverpflichtung einen Eingriff auf das Recht auf Achtung seines Eigentums darstellt. Das Gericht erkannte auch die allgemeinen Interessen an, folgte aber der Rechtsprechung seiner großen Kammer in zwei ähnlichen Fällen in Frankreich und Luxemburg. Daraufhin haben mehrere europäische Staaten ihre Jagdgesetze geändert, so dass Grundeigentümer Einspruch gegen die Zwangsmitgliedschaft erheben und unter bestimmten Bedingungen aus der Jagdgenossenschaft austreten können. Das deutsche Gesetz sei gerade in den Punkten Hege und Regulierung des Wildbestandes denen der Nachbarländer ähnlich. Trotz Unterschiede im Detail sah der Gerichtshof keinen Grund für Deutschland in seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Die Bundesrepublik muss dem Kläger fast 9.000 Euro für immateriellen Schaden und Prozesskosten überweisen.
Bleifrei
Tim Scherer, Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesforsten verkündete am Donnerstag, dass in den Landeswäldern ab dem 01. April 2013 nur noch bleifreie Munition zur Jagd verwendet werden darf. Die Förster werden ihre Munition schon so bald wie möglich umstellen. Greifvögel, die Eingeweide oder Fleischreste geschossener Tiere fressen, erleiden mitunter eine schwere Bleivergiftung. 40 Prozent der Seeadler in Deutschland verenden daran, teilte das Landwirtschaftsministerium mit. Die vorfristige Umstellung bei den Förstern soll Jäger ermutigen, ebenfalls vor dem Stichtag auf bleifreie Munition umzustellen.
Roland Krieg