„Blutschwitzen“ durch Impfstoff
Landwirtschaft
„Blutschwitzen“ von Kälbern: Impfstoff bringt den Tod
Tiermediziner standen vor einem Rätsel, Bauern waren in größter Sorge um ihre Kälber. Erstmals vor vier Jahren trat in Deutschland und einigen anderen europäischen Staaten eine tödliche Krankheit bei Saugkälbern auf, die durch unstillbare Blutungen gekennzeichnet ist. Die Blutungen entstehen als Folge des fast vollständigen Verlusts von Blut- und Knochenmarkzellen, wovon auch die für die Gerinnung notwendigen Blutplättchen betroffen sind. In Fachkreisen wird die Krankheit als Bovine Neonatale Panzytopenie (BNP) bezeichnet. Bei der Erforschung der Ursachen haben Gießener Tiermediziner nun einen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt. Sie machen einen Impfstoff für die unstillbaren Blutungen verantwortlich, die letztlich die Tiere qualvoll verenden lassen. Gießener Virologen am Fachbereich 10 – Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) gelang es, die Mechanismen der Zerstörung der blutbildenden Zellen bei den Kälbern zu beschreiben.
Sorgen bei Rinderhaltern
In
Europa sind über 4.000 BNP-Fälle bekannt geworden und haben zu erheblicher
Unruhe in der Rinderhaltung geführt. Es gelang weder Krankheitserreger noch
Giftstoffe als Ursachen der Erkrankung zu identifizieren, allerdings zeigte
sich eine besondere Bedeutung des Kolostrums („Biestmilch") – der ersten
Milch, die ein neugeborenes Kalb trinkt – für das Auftreten von BNP. Auch trat
BNP vermehrt in solchen Rinderherden in Erscheinung, bei denen ein bekannter
Impfstoff gegen die so genannte Bovine Virusdiarrhöe (BVD) verwendet wurde.
Dabei handelt es sich um den Impfstoff PregSure von Pfizer.
Zur
Aufklärung der Ursachen von BNP hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung (BLE) im vergangenen Jahr einen Forschungsverbund unter Koordination
von Prof. Klaus Doll (Leiter der Klinik für Wiederkäuer der JLU) ins Leben
gerufen, an dem sich Wissenschaftler von vier tierärztlichen Bildungsstätten in
Deutschland beteiligen. Kürzlich konnte von Veterinärmedizinern der JLU gezeigt
werden, dass im Kolostrum von Kühen, bei deren Kälbern BNP aufgetreten ist,
Antikörper nachzuweisen sind, die mit weißen Blutzellen der Kälber reagieren.
Mütterliche Antikörper reagieren mit weißen Blutzellen vom Kalb
Einem
Forscherteam um Prof. Till Rümenapf aus dem Institut für Virologie der JLU ist
es jetzt gelungen, MHC-I als Zielantigen zu identifizieren, gegen das die
mütterlichen, BNP auslösenden Antikörper gerichtet sind. MHC-I kommt auf allen
Körperzellen vor und spielt eine zentrale Rolle im Immunsystem. Es hat sich
gezeigt, dass bei manchen Muttertieren Antikörper gegen solche Varianten von
MHC-I gebildet werden, die auch im BVD Impfstoff enthalten sind, vermutlich als
Verunreinigung durch die im Produktionsprozess verwendeten Zellen. Hat das Kalb
zufällig das gleiche MHC-I Molekül, binden die mütterlichen Antikörper daran
und führen zur Zerstörung der blutbildenden Zellen. Dies weist auf die
potentielle Gefahr für alle Impfstoffe hin, bei deren Herstellung Zellen
derselben Spezies verwendet werden, für die der Impfstoff vorgesehen ist.
Andere Impfstoffe gegen BVD mit anderen Zusammensetzungen verursachten diese
Probleme jedoch nicht, betonen die Gießener Veterinärmediziner.
Die
Forschungsergebnisse von Fabian Deutskens und Kollegen wurden jetzt in Veterinary
Research publiziert und sind dort frei zugänglich (open access).
Lesestoff:
Fabian Deutskens, Benjamin Lamp, Christiane M Riedel, Eveline Wentz, Günter Lochnit, Klaus Doll, Heinz-Jürgen Thiel, Till Rümenapf Vaccine-induced antibodies linked to Bovine Neonatal Pancytopenia (BNP) recognize cattle Major Histocompatibility Complex class I (MHC I) Veterinary Research 2011, 42:97 doi:10.1186/1297-9716-42-97
Charlotte Brückner-Ihl (JLU); roRo