Bovine Neonatale Pancytopenie

Landwirtschaft

Ursache und Entschädigung beim „Blutschwitzen“

Im Jahr 2006 machten Bauern eine beängstigende Entdeckung. Verendende Kälber lagen mit inneren und äußeren Blutungen im Stall, ohne das es eine erkennbare Ursache gab. Veterinäre zogen alle Register und stellten eine hochgradige Thrombozytopenie mit einer ausgeprägten Leukopenie fest. Auch das Knochenmark war zerstört. Die neue Krankheit erfasste Kälber während der ersten drei Wochen. Die Schädigung des Knochenmarkes führte zu einer Minderproduktion weißer Blutzellen (Leukozyten) und der für die Blutgerinnung erforderlichen Blutplättchen (Thrombozyten).

Der Verdacht

Bald bildete sich ein komplexes Ursachengeschehen heraus, bei dem der Impfstoff „PregSure“ gegen die Bovine Virusdiarhhoe (BVD), ein viraler Infekt bei Rindern, in den Fokus rückte. Wie bei einer Grippeimpfung werden Rinder bei Applikation mit dem BVD-Erreger immunisiert. Es stellte sich jedoch heraus, dass in dem Impfstoff auch Rinderzellen aus der Zellkultur vorhanden sind, auf denen der BVD-Impfstoff kultiviert wurde. Dagegen bildeten Rinder Antikörper, so genannte Alloantikörper aus, die über die Kolostralmilch an die Kälber weitergegeben wurden und das „Blutschwitzen“ hervorruft. Der Hersteller Pfizer (heute Zoetis) nahm 2010 den Impfstoff vom Markt.

Das Forschungsprojekt und Ergebnisse

Im gleichen Jahr startete das große Forschngsprojekt „Ursachenermittlung der Bovinen Neonatalen Pancytopenie“. Unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Doll von der Justus-Liebig-Universität waren das Leibniz-Institut für Nutztierbiologie Dummerstorf, die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und die Ludwig-Maximilians-Universität München an dem Schlussbericht beteiligt, der jetzt veröffentlicht wurde. Die wichtigsten Ergebnisse des Berichtes:

„Die epidemiologischen Untersuchungen ergaben einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Impfung mit „PregSure BVD“ und dem Auftreten von Boviner Neonataler Pancytopenie (BNP). Ein positiver Zusammenahng bestand zudem zwischen Inzidenz von BNP und der Impfhäufigkeit (Grundimmunisierung und regelmäßige Auffrischungs-Impfungen) in den Betrieben sowie der Art der Kolostrumverabreichung (höhere Inzidenz bei Einsatz von Mischkolostrum andererseits.“

„Im Vergleich dazu konnten in Betrieben, in denen die BVD-Schutzimpfung mit zwei anderen BVDV-Inaktivatvakzinen durchgeführt worden waren, bei den Kühen keine oder nur sehr niedrige Alloantikörpertiter festgestellt werden.“

Die Alloantikörper werden vom Rind gebildet, wenn der Abstand zur eigenen Genetik größer wird. Also in Abhängigkeit von der Verwandtschaft zwischen Zellkultur und lebendem Rind. Die Mutterkuh bildet nach der Impfung Alloantikörper aus, wenn sie sich von den Antikörpern im Impfstoff unterscheidet. Diese „Bluter-Mütter“ sind in der Rinderpopulation „vergleichsweise selten“. Wenn das Kalb vom Vater den entsprechenden Antikörper-Typ geerbt hat und über die Kolostralmilch die Alloantikörper der Mutter erhält, dann bildet es die BNP-typischen Veränderungen aus. Es gibt also auch eine genetische Exposition für BNP. Die konnte in der Forschungsarbeit nicht eindeutig identifiziert werden. Vermutlich ist es ein homologes Gen in Zusammenhang mit vermehrter Expression bestimmter Interleukine.

BNP äußert sich als eine komplexe Krankheit, deren Verlauf sowohl direkte und indirekte Ursachen aufweist. Direkt steht sie über „alloreaktive Immunoglobuline“ mit dem Impfstoff in Verbindung, indirekt mit der nachfolgenden Zytophagozytose, verursacht durch Eindringen von Fremdzellen in den Körper, deren Oberfläche mit Antikörpern bedeckt ist (opsonierende Wirkung).

Was sagt Zoetis?

Schon 2011 hatte Pfizer auf die geringe Häufigkeit der Krankheit hingewiesen und Bauern vor allem zu einer sorgsamen Kolostralmilchfütterung von nicht geimpften Tieren geraten. In einer aktuellen englischsprachigen Mitteilung, die Herd-und-Hof.de vorliegt, berichtet die Nachfolgefirma Zoetis, dass zwischen 2007 und Ende 2013 rund 7.700 BNP-Fälle in ganz Europa bekannt geworden sind. Im gleichen Zeitintervall wurden etwa 200 Millionen Kälber geboren. In Kenntnis des Abschlussberichtes sind für die Veterinärmediziner noch etliche Fragen offen:

Das Auftreten der Krankheit variiert stark zwischen EU-Ländern, innerhalb eines Landes und auch zwischen einzelnen Betrieben. Rund die Hälfte der Erkrankungen fand in Deutschland statt. Eine regionale Analyse habe ergeben, dass BNP in Gebieten mit intensiver Verwendung von PregSure BVD eine geringe Krankheitsrate zeige und dass die Krankheit auch auf Betrieben auftrat, wo der Impfstoff keine Verwendung fand.

Offene Fragen – Wissenschaft

Die BNP hat Modellcharakter, weil den Wissenschaftlern viele Facetten eines komplexen Krankheitsgeschehens offenbar wurden. So soll die Forschungsarbeit auch Grundlage werden, um über unerwünschte Impfnebenwirkungen zu arbeiten.

Offene Fragen – Politik

Das Thema war am Mittwoch auch Gegenstand im Bundestag. Dr. Kirsten Tackmann (Die Linke) wollte wissen, ob vor dem Hintergrund von BNP eine Änderung des Zulassungsverfahrens für veterinärmedizinische Impfstoffe notwendig sei.

Peter Bleser, Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, zitiert den epidemiologischen Zusammenhang zwischen Krankheit und Impfstoff aus dem Abschlussbericht, verweist aber auch auf die genetische und individuelle Prädisposition.

Gleichwohl verlangt das Paul-Ehrlich-Institut bei der Neuzulassung von Rinderimpfstoffen „den Nachweis, dass diese keine Alloantikörperbildung induzieren“, heißt es im Abschlussbericht. Geeignete Tests sind aber noch in der Evaluation.

Eine ganz praktische Frage ist die nach einer Entschädigung. Weil die Betriebe „null Chancen hatten“, so Dr. Tackmann, hätte sich ein Nothilfefonds aus Gründen der „höheren Gewalt“ realisieren lassen. Bleser sieht die Bundesregierung nicht in der Verantwortung, weil „es sich um ein privatrechtliches Problem, das zwischen den Marktbeteiligten geregelt werden muss“ handelt.

Die gegen BVD geimpften „Bluter-Mütter“ scheiden lebenslang die Alloantikörper aus, weswegen das Blutschwitzen vereinzelt auch heute noch auftritt. Da bundesweit kein einziger Fall von Entschädigung durch die Firma Pfizer bekannt ist haben sich Landwirte im westfälischen Hünxe zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Sie steht allen betroffenen Landwirten offen, will Informationen sammeln, Fälle systematisieren und individuelle Schadensersatzansprüche anwaltlich geltend machen.

Lesestoff:

Der Abschlussbericht: Ursachenermittlung der Bovinen Neonatalen Pancytopenie; Forschungsvorhaben zur Bereitstellung wissenschaftlicher Entscheidungshilfe für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV); Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLV); Förderkennzeichen: 2809HS025 http://download.ble.de/09HS025/09HS025.pdf

Die Interessengemeinschaft finden Sie hier: www.ig-blutschwitzer.de

Roland Krieg

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