Brandenburg: Landessortenversuche auf der Kippe

Landwirtschaft

Leere Kassen gefährden Landessortenversuche in Brandenburg

„Die Landessortenversuche spiegeln die landwirtschaftliche Praxis nahezu ein zu eins wider.“ Genau deswegen informieren sich die Bauern in der wöchentlichen Bauernzeitung, die mit Tabellen und Beschreibungen eine Übersicht über die geprüften Sorten gibt. Denn Weizen ist nicht Weizen und Gerste ist nicht Gerste:


Erkenntnisse, dass Lomerit dreijährig ein „ausgewogenes Leistungsniveau“ oder Kathleen auf der Löß-Ackerebene ein „schwächeres Ertragsniveau“ zeigt, sind bei der Sortenwahl für das nächste Jahr hilfreich. Wer die richtige Sortenentscheidung getroffen hat, kann sich mitunter auch über einen Mehrerlös von über 100 Euro je Hektar freuen.

Großer Aufwand

Um solche Ergebnisse zu erzielen ist ein großer und dauerhafter Aufwand notwendig. Dirk Ilgenstein, Präsident des Landesamtes für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF) zählt gegenüber Herd-und-Hof.de auf: An insgesamt elf Orten werden in Brandenburg auf 3.068 Parzellen Sortenversuche durchgeführt. Im Jahr 2010 waren es 284 Pflanzensorten. Mit 142 Sorten wurde Getreide am meisten getestet, gefolgt von Mais (85 Sorten), Obst (40) und Körnerleguminosen (17).

Haushaltszwänge

Der Brandenburger Haushalt mit geplanten zehn Milliarden Euro kommt aber nicht ohne Kürzungen in allen Bereichen aus. Die rot-rot Koalition macht auch bei Bildung, Wissenschaft und der Landeshauptstadt Potsdam nicht Halt. Die chronisch leeren Kassen haben beim Finanzministerium im April 2010 sogar zur Gründung eines „Stabilitätsrates“ geführt. Ein erheblicher Stellenabbau ist von der Landesregierung geplant, der auch die Landwirtschaft betrifft. Das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (MIL) wurde aufgefordert, bis zur Jahresmitte einen entsprechenden Plan aufzustellen, der eine Abwicklung der Landessortenversuche vorsieht. Der Landesbauernverband fürchtet einen „Kahlschlag im landwirtschaftlichen Versuchswesen“.
Das Unternehmen Haushaltssanierung hat mittlerweile den Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) auf den Plan gerufen. Geschäftsführer Dr. Carl-Stephan Schäfer hält den Rückzug für einen Fehler: „Das Versuchswesen als neutrales System leistet einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der deutschen Landwirtschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit.“

Was bleibt, was geht?

Im Ministerium sei niemand über die Entscheidung glücklich, sagte Sprecher Dr. Jens-Uwe Schade zu Herd-und-Hof.de. Aber die finanziellen Vorgaben sind eindeutig. Dr. Schade verweist auf die unterschiedlichen Versuche. Pflichtversuche wie beispielsweise zum Pflanzenschutz als vorgabe der EU oder der Bunderegierung bleiben erhalten. Die Sortenversuche allerdings sind eine freiwillig übernommene Aufgabe. Wenn gekürzt werden muss, dann stehen freiwillige Aufgaben als erstes auf dem Prüfstand.
Das Ministerium hat mittlerweile verschiedene Arbeitsgruppen im Ministerium gebildet, wie die AG Pflanzenbau oder AG Struktur, die jetzt zum ersten Mal tagten und bis Jahresende ein Konzept für Planstellen und Budget vorlegen wollen. Zu bedenken sei auch, dass der neue Flughafen für Berlin und Brandenburg eine neue Stelle für phytosanitäre Kontrollen brauche. Generell werde überlegt, welche Möglichkeiten es gibt, Sortenversuche gegen Gebühren oder in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen durchzuführen.
Nach LELF-Präsident Dirk Ilgenstein gibt es bei der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen gute Erfahrungen, da der Sparkurs des Landes nicht neu ist. Das Landesamt arbeitet schon länger mit externen Dienstleistern zusammen und wertet die Ergebnisse nur noch aus. Die Zusammenarbeit mit den anderen Bundesländern bleibe auch erhalten.

Nicht mehr zu stoppen?

Das MIL sieht kaum noch eine Chance, die Kürzungen für den Agrarbereich abzuwenden. Das teilt wohl mittlerweile auch die Opposition. Im Sommer kritisierte Dieter Dombrowski, Generalsekretär und agrarpolitischer Sprecher der CDU in Brandenburg, noch die Planungen. Gegenüber der Märkischen Allgemeinen Zeitung sagte er im Juli, er halte es „für eine falsche Entscheidung“, den Rotstift beim Versuchswesen anzusetzen. Die Sortenversuche seien für die Qualitätssicherung in der Landwirtschaft notwendig. Nach dem die Arbeitsgruppen jetzt getagt haben, wollte sich Dombrowski gegenüber Herd-und-Hof.de trotz mehrmaliger Anfragen nicht mehr dazu äußern. Es sei nur noch eine „interne Pressemitteilung“ formuliert worden, hieß es aus der Fraktion.
Demgegenüber teilte Cornelia Behm, Sprecherin für den ländlichen Raum der bündnisgrünen Bundestagsfraktion aus dem brandenburgischen Potsdam-Mittelmark Herd-und-Hof.de mit, dass ein „Stellenabbau sicherlich verhindert werden“ kann - wenn der politische Wille vorhanden sei.
Im brandenburgischen MIL „konkurrieren Landwirtschaft und Verkehr um die Haushaltsmittel“. Die SPD setze traditionell auf die vermeintliche Jobmaschine Straßenbau und lasse das Bewusstsein vermissen, dass eine leistungsfähige Landwirtschaft auf Forschung und Entwicklung angewiesen sei.
Behm fürchtet, dass mit dem Rückzug des Landes aus dem landwirtschaftlichen Versuchswesen die Saatgutentwicklung sich auf immer weniger Kulturpflanzen mit negativen Folgen für die Fruchtfolgenvielfalt konzentriere.

Regionale und überregionale Verantwortung

Dr. Schäfer vom BDP verweist darauf, dass der Standort Brandenburg wegen seiner spezifischen Boden-Klima-Parameter für die Landwirtschaft von großer Bedeutung sei. Sortenversuche in der Mark erlauben Rückschlüsse auf Trockentoleranz und Standfestigkeit auf leichten Böden – „beides Eigenschaften, die aufgrund des Klimawandels immer wichtiger werden“. Daher müsse die öffentliche Hand sich weiter ihrer Verantwortung stellen, das Sortenprüfwesen zu erhalten.
Die Brandenburger Bauern könnten auch ganz im Regen stehen, denn „mit regionalen Besonderheiten in Brandenburg befassen sich global agierende Konzerne nicht“, kommentiert Behm.
Landesbauernpräsident Udo Folgart warnte schon im Sommer. „Wir Landwirte brauchen – gerade in Zeiten in denen ein Witterungsextrem das Andere jagt – unbedingt ein arbeits- und funktionsfähiges landwirtschaftliches Versuchswesen“.

Roland Krieg

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