Brasilien im EU-Kreuzverhör
Landwirtschaft
Agrarministerin Brasiliens im EU-Agrarausschuss
Auf ihrer Reise in die EU hat die brasilianische Landwirtschaftsministerin
Katia Abreu am Dienstag Halt im EU-Agrarausschuss gemacht und in einem
Kreuzverhör den brasilianischen Weg der Agrarentwicklung beschrieben.
Zero Hunger
Noch in den 1960er Jahren war Brasilien ein Importland für Nahrungsmittel. Die meisten Menschen haben hohe Anteile ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben. Der Reis kam von den Philippinen, Bohnen aus Mexiko, die EU lieferte Milch und Australien das Fleisch. Mit der Entscheidung, den Fokus auf eine eigene Ernährungssicherung zu setzen, haben die Brasilianer europäisches Saatgut und indische Rindergenetik an die tropischen Wachstumsbedingungen angepasst, erläuterte Katia Abreu. Das habe im Land die „Agrarrevolution“ ausgelöst, an dessen Ende heute einer der größten Agrarexporteure der Welt steht [1].
Das Land hat noch etwas anderes geschafft. Mit dem langfristig angelegten Programm „Zero Hunger“ hat Brasilien die schlimmste Armut beseitigt. Auch wenn, wie die Proteste zur Fußballweltmeisterschaft im letzten Jahr aufzeigten, noch längst nicht alle Probleme beseitigt sind. Das Programm war kein „Zaubermittel“. Ein Nachfolgeprogramm will die Haushalte in Ordnung bringen, die Inflation bekämpfen und Familien unterhalb eines bestimmten Einkommens durch Steuerbefreiung unterstützen. Das komme dem ländlichen Raum zugute. Ziel ist der Ausbau der Mittelklasse, die heute nur noch 18 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben und ihr Geld in andere Wohlstandsgüter investiere. Gefördert werden bäuerliche Kooperativen, die über einen gemeinsamen Einkauf und gemeinsame Vermarktung effizienter wirtschaften können.
Auf diesem Weg geht das südamerikanische Land vor allem seinen eigenen Weg. Den Vorwurf der EU-Abgeordneten Maria Heubuch (Grüne) „Sie sind Ministerin der Großlandwirtschaft“, konterte sie mit dem Hinweis, dass mehr als 80 Prozent der fünf Millionen Bauern in Brasilien Kleinbauern sind. Das bestehende Gefälle sei kein Problem des Landes. Nur zwölf Prozent der Bauern seinen Großgrundbesitzer. Im Rahmen einer Agrarreform haben mehr als 80.000 Kleinbauern Land zugeteilt bekommen. Abreu konterte auch den Vorwurf der Enteignung von Indianerland. 13 Prozent der Gesamtfläche des Landes stünden 816.000 Ureinwohnern zur Verfügung.
Regenwald
Europäer fürchten um die Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes. Katia Abreu verweist mehrmals auf das neue Waldgesetz, über das mit Fernerkundung gegen illegale Rodungen vorgegangen wird. 61 Prozent der Landfläche sind als Biotop erhalten und alte Rodungen werden wieder aufgeforstet [2].
Albert Dess (CSU) und Paolo De Castro (italienischer Sozialdemokrat) bescheinigen dem Land die Fortschritte, die es seit den 1980er Jahren gemacht hat.
Gentechnik
Auch im Bereich Gentechnik verteidigt das Land seine eigene Sichtweise. Brasilien baut seit mehr als 15 Jahren gentechnisch veränderte Produkte an, was bei richtiger Anwendung der Pflanzenschutzmittel keine zusätzlichen Gesundheitsgefahren hervorbringe. Schädlinge in den Tropen seien aggressiver als auf dem europäischen Kontinent, weswegen der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen echte Lösungen für den Ackerbau sind. Dennoch berücksichtigt das Land die Meinungsfreiheit und reagiert auf die europäische Nachfrage nach gentechnik-freien Produkten. Das aber, so Abreu, ist eine Frage des Preises. Wer GVO-freie Produkte oder Ökoprodukte fordert, der müsse auch bereite sein, den entsprechenden Preis zu bezahlen. Doch nicht alle könnten sich das leisten. Außerdem hat Brasilien den Exportstatus durch seine internationale Wettbewerbsfähigkeit errungen. Ohne gentechnisch veränderte Baumwolle hätte Brasilien diesen Markt verloren.
Mehr Exporte
Abreu kennt die Zahlen: Steigende Weltbevölkerung, knappe Flächen und veränderter Konsum. Auch Brasilien will seinen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit leisten. Es sei noch genug Potenzial für Produktivitätssteigerungen vorhanden, sagte Abreu. In den nächsten zehn Jahren will das Land 50 Millionen Tonnen mehr Getreide verkaufen.
Gleichzeitig schielt Brasilien aber auf die EU. Brasilien will mehr Schweine- und Rindfleisch in die EU liefern und sieht sich preislich im Vorteil. Zum Unmut des irischen EU-Abgeordneten Luke Ming Flanagan (Parteilos), der den globalen Versorgungsauftrag Brasiliens durch steigenden Export in die Industrieländer konterkariert sieht.
Der Deal mit Europa funktioniert sowieso nur, wenn der Mercosur und die EU sich auf ein Freihandelsabkommen einigen können. Da stehen noch viele Hürden auf dem Weg. Die einen fürchten nach der Abhängigkeit vom brasilianischen Soja eine neue Bindung an brasilianisches Fleisch und die Maul- und Klauenseuche, die Brasilien nicht in den Griff bekomme (John Stuart Agnew, GB), andere wie Albert Dess fürchten um die Nachteile der europäischen Landwirte durch Erfüllung höherer Standards bei der eigenen Produktion.
Nach Katia Abreu muss auch Brasilien noch nachlegen. Die Brasilianer misstrauen dem Welthandel, sagte sie. Der Export nach Brasilien ist für ausländische Unternehmen kein leichtes Unterfangen [3]. Alternativ sprach sich Abreu für eine Stärkung der Welthandelsrunde Doha aus.
Lesestoff:
[1] APEX bringt Brasiliens Produkte in die Welt und auf die Anuga
[2] Brasiliens neues Waldgesetz
[3] Alptraum Bio-Export nach Brasilien
Zuckerrohr der zweiten Generation
Roland Krieg