Braucht die Milchwirtschaft einen Branchenverband?
Landwirtschaft
DBV-Milchsymposium diskutiert Branchenverband Milch
Nahezu regelmäßig fällt die Milchbranche mit niedrigen Preisen in eine Milchkrise, die weder mit noch ohne Quotenregelung verhindert werden konnte. Am ehesten transportieren die Milchbauern und den auf ihre Kosten forcierten Strukturwandel an die Gesellschaft heran. Das führt zu einer großen Kritik an den genossenschaftlichen Molkereien, hat in den beiden letzten Jahren mehrfache Krisengespräche initiiert und das Bundeslandwirtschaftsministerium zu Milchgipfeln gezwungen. Zuletzt wurde sogar das Agrarmarktstrukturgesetz zur Stärkung der Milcherzeuger geändert. Eines ist sicher: Die nächste Krise kommt bestimmt.
Viel Hoffnung wird in die Gründung eines Branchenverbandes Milch gelegt, der aus mindestens zwei Beteiligten der Wertschöpfungskette bestehen muss. Das würden die Milcherzeuger und die Molkereien unter sich ausmachen; ob der Handel sich daran beteiligt ist fraglich. Angetrieben von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt steht die Gründung einer Branchenorganisation ganz oben auf seiner Agenda. Gleichwohl: Mehr als eine Interessengemeinschaft Milch kam im letzten Jahr nicht heraus. Und die wurde ausschließlich von den sechs Molkereien DMK, Arla, FrieslandCampina, von der Bayerischen Milchindustrie (BMI) und der Molkerei Ammerland getragen. Zusammen verarbeiten sie rund die Hälfte des deutschen Milchaufkommens.
Neuer Anlauf
Dassich der Deutsche Bauernverband für seine Milchbauern für einen Branchenverband ausspricht, ist klar. Das DBV-Milchsymposium lotete am Donnerstag in Berlin die Chancen dafür aus und hatte aus dem Ministerium einen starken Fürsprecher in Staatssekretär Dr. Herrmann Onko Aeikens eingeladen.
Die Milch bleibt nach seiner Einschätzung auch Schwerpunktthema einer neuen Regierung. Die zurückliegende Agrarministerkonferenz zeigte die Zerrissenheit der verschiedenen Ansichten, die nächste Krise besser zu bewältigen. Zwischen dem Ausbau von Kriseninstrumenten bis zu einer Form der Mengenregelung ist alles dabei, nur kein Konsens. Aber die Warnung, dass ein staatliches Finanzpaket aus zwei Teilen für zusammen einer Milliarde Euro wie vor zwei Jahren nicht noch einmal zusammenkommen wird.
Die mengengesteuerte Anpassung an das Angebot über die Gemeinsame Marktordnung bezeichnete Aeikens auch nur als zweitbeste Lösung. Die beste Lösung müsse von den Molkereien kommen. Mit der Berchtesgadener Molkerei habe es schließlich ein gutes Beispiel gegeben, trotz Milchkrise den Erzeugern mit höheren Preisen über das Markttief hinwegzuhelfen, so Aeikens. Ein Branchenverband stehe im Ministerium nach wie vor an erster Stelle. Danach folgt eine staatlich anerkannte Erzeugerorganisation, wobei beides auf freiwilliger Basis erfolgen müsse. Aufgaben sollte die Erschließung von Exportmärkten, die Qualitätssicherung, die Absatzförderung und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Milcherzeugung sein. Für eine zeitlich begrenzte Mengensteuerung hat die EU im Milchpaket den Weg frei gegeben.
Was machen die Nachbarn?
Der Begriff „Mengensteuerung“ ist der Kern der Milchmarktsorgen. Landwirte sichern sich ihre Liquidität durch eine Produktionsausweitung bei niedrigen Milchpreisen, während sich die Molkereien für ihr Exportgeschäft darüber freuen. So auf die Spitze formuliert, verläuft der Graben zwischen Milcherzeugern und Molkereien, der eine Branchenorganisation bislang verhindert hat.
Der DBV hatte drei Vertreter von der AMA in Österreich, dem CNIEL aus Frankreich und von ZuivelNL eingeladen, über ihre Organisationen zu berichteten. Der Blick auf den internationalen Teller fiel jedoch ernüchternd aus.
Innerhalb Österreichs ist die Agrarmarkt Austria mit ihren Qualitätssiegeln sehr bekannt und erfolgreich, führte Exportmanagerin Margret Zeiler aus. 80 Prozent der Beiträge stammen von den Erzeugern, der Rest wird von der EU finanziert. Milchbauern zahlen 0,03 Cent pro Kilo Milch. In Österreich hat die kleinteiligere Milchwirtschaft den EU-Beitritt überlebt. Sicher aber auch, weil die meisten Gebiete des Alpenlandes als benachteiligt gelten und gesondert gefördert werden. Viele Milchbauern haben sich mit dem Tourismus ein zweites Standbein gesichert. Ansonsten haben sich die Verbraucher auch in Österreich von der Realität der Landwirtschaft entfernt. Die Vermittlung eines realistischen Bildes von der Landwirtschaft ist daher eine Hauptaufgabe der zum EU-Beitritt 1995 gegründeten AMA. Für den Export finanziert sie Messeauftritte.
Das ist in Frankreich nicht anders, wo der CNIEL die Aufgaben bereits seit 1973 umsetzt. Neben dem Bauernverband FNPL sind auch die Vertreter der genossenschaftlichen und privaten Molkereien vertreten. Die Milchbauern zahlen pro 1.000 kg Milch 1,22, von den Molkereien kommen 0,22 Euro hinzu. Die Förderung der wirtschaftlichen Betriebsqualität, Qualitätssicherung bei der Milch und Kommunikation sind ebenfalls die Hauptaufgaben des Verbandes. Die Möglichkeit, sich als Branchenverband von der EU anerkennen zu lassen, hat der CNIEL genutzt, berichtete Michel Débes. Im Gegenzug muss sich der CNIEL alle, auch regionalen Aktionen, in Brüssel genehmigen lassen. Das die französischen Milchpreise in der Krise über den deutschen lagen, führte Débes auf die langfristige Arbeit des CNIEL zurück. Die Franzosen verstärken vor allem im Käsebereich ihre Exportbemühungen. Dennoch erlebt das Land einen tiefen Umbruch im Agrarsektor [1].
In den Niederlanden mussten die „Productshapen“ 2015 aufgelöst werden. Ähnlich wie in Deutschland bei der CMA waren die Beitragsregeln politisch strittig. Allerdings hatten die Productshapen auch Aufgaben der Landwirtschaftskammern übernommen und die Niederländer beugten dem inhaltlichen Verlust vor. „Zuivel“ heißt Milcherzeugnis und die ZuivelNL vertritt derzeit 17.000 Betriebe, 25 Molkereien mit 50 Produktionsstandorten und 300 Großhändler. Sie repräsentiert 14 Milliarden Kilogramm Milch im Jahr, von denen lediglich 35 Prozent heimisch verzehrt werden. 43 Prozent gehen ins EU-Ausland und 22 Prozent in Drittstaaten, führte Jorrit Jorritsma aus. Das kleine Nachbarland hat am Weltmilchmarkt einen Anteil von fünf Prozent. Der 22-prozentige Anteil für Drittstaaten soll bis 2020 auf 40 Prozent wachsen. Dafür fördert ZuivelNL die Innovationen in den Molkereien, sichert die Qualität der Milch und verbessert die Ausbildung. Öffentlichkeitsarbeit, Tierwohl und Nachhaltigkeit sind die drei künftigen Schwerpunktthemen.
Helfen der Branche nicht
Mengengestaltung, Preisgestaltung und ordentliche Lieferverträge lauten die Forderungen der Milchbauern. Doch genau diese Themen haben AMA, CNIEL und ZuivelNL in ihrer Arbeit ausgeschlossen.
So gesehen folgt die Interessengemeinschaft Milch den Beispielen aus den Nachbarländern. Der IGM-Vorsitzende Thomas Stürtz will mit der IGM gemeinsame Positionen zu den Themen Tierwohl, aber auch Milchpreise und Lieferverträge verfassen, die jedoch nur empfehlenden Charakter haben. Dazu kommen strategische Empfehlungen für den Markt und Betrieb sowie die Branchenpositionierung gegenüber Verbänden, der Politik und dem Kartellamt. Offen sei die IGM für die Weiterentwicklung zu einem Branchenverband. Nach Prüfung gebe das EU-Recht keine Allgemeinverbindlichkeit für die gesamte Branche her. Mengen und Preise dürfen nicht gestaltet werden, unterstreicht Stürtz.
Dann folgten seine IGM-Ausführungen zu den Lieferverträgender herrschenden Sicht der genossenschaftlichen Molkereien: Andienpflicht und Abnahmegarantie seien wichtig für die Solidargemeinschaft Milchwirtschaft; Anteilseignerschaft und Lieferbeziehung seien untrennbar; die Lieferbeziehung kann nur unternehmensspezifisch geändert werden, was vom zeitlich begrenzten „Standstill“ von FrieslandCampina bis zu einem generellen „Nein“ von Arla für gerechte Lieferbeziehungen für Milchbauern in sieben Ländern, reicht; es gebe kein inverses Angebotsverhalten, bei dem Milchbauern zum Ausgleich für sinkende Preise mehr Milch erzeugten; Festpreismodelle schränkten den Markt für „freie Milch“ ein; dem Wechsel vom genossenschaftlichen zum „schuldnerischen Einzelvertrag“ „lehnen wir ganz klar ab“, weil das die großen Erzeuger bevorteilte, die langfristig bessere Preise durchsetzen könnten; Marktabsicherungen wie es Ammerland bereits für seine Milchbauern macht, stehe die IGM offen; bei freiwilligen Mengenbegrenzungen sei die Marktwirkung unklar.
IGM blockt BO
Mit der Gründung der Interessengemeinschaft Milch sind die Molkereien den Milchbauern zuvor gekommen. Auch wenn es die Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu einer Branchenorganisation kommt, haben die Molkereien mit der IGM ohne Bauern der BO mit Bauern schon den Weg gepflastert. Stürtz betonte: „Das Geld wird in der Molkereien erwirtschaftet“.
Fazit
Ein Branchenverband wird die Wunschthemen Mengenregulierung, Preisgestaltung und Lieferverträge nicht aufnehmen. Das haben die Beispiele aus den Nachbarländern gezeigt. Daher wird der Branchenverband grundsätzliche Fragen nach Marktgestaltung genauso wenig klären, wie die Frage, wer eigentlich Milch erzeugen darf. Jorritsma erklärte, dass die niederländische Milch auf 60 Prozent der Landesfläche erzeugt wird. Das Land hat kein Flächenpotenzial mehr. Nicht nur in der Milcherzeugung geht es um die Frage, wer die „licence to produce“ erhält. Durch die Deckelung des Phosphateintrags sind zwischen 150.000 bis 180.000 Milchkühe aus der Produktion ausgeschieden, ohne dass es zu einem Einbruch in der Milcherzeugung gekommen ist. Wie lange darf der deutsche Milchbetrieb im Nebenerwerb noch produzieren, obwohl sein Sektor Milch unrentabel ist, nur noch von den Direktzahlungen zusammengehalten wird und im Notfall die Milch auch für 20 Cent verkauft wird?
Die Niederländer haben den Schritt zur durchorganisierten Milchwirtschaft eingeschlagen und mit der Stärkung des Exportanteils ein klares Ziel formuliert. Ohne eine klare Zielstellung wird der Branchenverband nur ein weiteres Puzzleteil der deutschen „Überstrukturierung“, wie es DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken formulierte. Für den Export gibt es die Gefa, für die Qualitätssicherung und Kommunikation die Landesmilchverbände, die wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sogar schon zusammenarbeiten.
Die Landwirte konnten die ausländischen Vertreter nicht zu Antworten bewegen, wie viel Milchbauern AMA, CNIEL und ZuivelNL in den Krisen gerettet haben. Zumal wird der Lebensmittelhandel außerhalb der Branchenvertretung seine Alleingänge beim Tierwohl, wie die Vorgabe für gentechnisch freies Futter und dem Auslisten von Milch aus dem Anbindestall nicht aufgeben und die Landwirte weiter unter Druck setzen.
Ein Branchenverband gewinnt seine Berechtigung aus der Ausgestaltung einer Vision für die Milchwirtschaft zusammen mit den Bauern und dem Auflösen der IGM als Bewahrer des status quo.
Am ehesten werden sich die Landwirte noch bewegen – müssen – wie es Peter Manderfeld von der Molkerei Hochwald und stellvertretender Vorsitzender der IGM sagte: Vom Rohstofflieferanten Milch weg zum Dienstleister für gesellschaftliche Aufgaben.
Hilft die Schweiz?
Ein Vertreter aus der Schweiz war nicht eingeladen. Schade. Denn die Schweiz hat eine Branchenorganisation, ist aber als Drittland natürlich nicht den EU-Marktordnungen unterworfen. Das aber hält Bayerns Agrarminister Helmut Brunner nicht davon ab, sich bei den Nachbarn nach Möglichkeiten umzuschauen [2].
Die Schweizer Branchenorganisation bietet Standardlieferverträge, die Preis und Umgang mit Überschussmilch regeln [3]. Allerdings auch auf Molkereiebene. Das hat aber auch in der Schweiz den forcierten Strukturwandel nach Auslauf der Quote nicht verhindert. So abgeschottet ist die Schweiz nicht mehr und die Milchbauern leiden ebenfalls unter volatileren Preisen. Dort rentiert sich das Melken nicht mehr für alle, berichtet der Landwirtschaftliche Informationsdienst lid.ch im Sommer dieses Jahres. Eine Erhöhung der Richtpreise haben die Molkereien abgelehnt. Das für seinen Käse berühmte Alpenland leidet gerade in diesem Sektor unter deutschen Billigimporten. Großhändler und die Gastronomie steigen derzeit auf deutschen Käse um, der nach der Zeitung Blick nur 3,90 statt 8,29 Franken pro kg Schweizer Käse kostet.
Lesestoff:
[1] Frankreich stürzt im Agrarsektor ab: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/nur-frankreichs-bauernkrise.html
[2] Gleiche Sorgen, gleiche Modelle: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/brunner-wirft-einen-blick-auf-die-schweiz.html
Roland Krieg