Brüssel: EU-Agrarrat folgt Kommissionsvorschlag
Landwirtschaft
Agrarkrise: Geld statt Innovationen
Der Montag war einer der wichtigsten Tage des Agrarjahres in Europa. Wegen in allen Sektoren gesunkener Preise sind Tausende von Bauern nach Brüssel gekommen, um ihrem Unmut Luft zu verschaffen und die Sondersitzung der EU-Agrarminister mit Hilfsforderungen zu begleiten. Brennende Reifen und Wasserwerfereinsatz prägten das Bild wie auch friedliche Demonstrationen. Allen voran die Milchbauern, die nach einem kurzen Höhenflug der Preise im Jahr 2014 jetzt um ihre Existenz bangen.
Bamberg 2007 – Brüssel 2015
Speziell für den Milchbereich bleibt die Frage offen, wie denn die Vorbereitung für die Zeit nach Ende der Milchquote ausgesehen hat? Auf dem Bauerntag in Bamberg hatte sich der Bauernverband mehrheitlich entschieden, der EU-Vorgabe zu folgen und das Quotenende einzuleiten [1]. Nach acht Jahren Vorlauf kann der Marktübergang Ende März dieses Jahres also nicht unvorbereitet gekommen sein. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt schob diese Kritik bei seiner Ankunft in Brüssel der EU zu. Er sagte aber auch, dass die Milchquote die Milchkrise 2008/2009 nicht verhindert habe und heute ein Überangebot von Milch auf der Welt besteht. So geht es auch acht Jahre nach der Bamberger Entscheidung wiederholt um die Frage, die Milchbetriebe zu stärken und die Milchproduktion effizienter zu machen. Mit dem Hinweis, dass Ökomilchbauern und Milchlandwirte mit anderen Spezialitäten von der derzeitigen Krise ausgenommen sind, wahrte Schmidt den Blick auf den Binnenmarkt und seinen Möglichkeiten. Ansonsten forderte er in Absprache mit dem Deutschen Bauernverband (DBV) die EU zu einer Exportoffensive auf, neue Märkte zu erschließen.
Was griffig erscheint hat aber seine Tücken, wie der DBV am 01. September selbst erklärte: „Gerade der starke Milchmengenzuwachs außerhalb Europas zeige, dass eine einseitige Begrenzung oder Reduzierung der europäischen oder deutschen Milchproduktion ohne wesentliche Preiseffekte für die deutschen Milcherzeuger bleiben dürfte.“ Preiseffekte treten dann aber auch nicht auf, wenn eine Exportoffensive deutscher und europäischer Milch in den Weltmilchsee führt. Dennoch plädiert der DBV dafür. Grund: Die „schwachen Milchauszahlungspreise [werden] die Milcherzeugung aufgrund notwendiger Kosteneinsparungen weiter dämpfen“. Strukturwandel durch Marktbereinigung.
Schmidt (bei der Begrüßung des österreichischen Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (li.) vor der Sitzung) warnte zu Beginn: „Wenn Intervention zu mehr Produktion führt, dann haben wir nichts erreicht.“ Aber auch die Intervention ist ein zweischneidiges Schwert, wenn sie als Ersatz für eine Quotenregelung eingesetzt wird. Beide wollen die Milchspitze kappen. Beides ist regulatorisch. Beides ist kein freier Markt.
Die Gewinnmargen sind vom Landwirt bis zum Einzelhandel gering. „Faire Preise“ fordert nicht nur Schmidt. Der aber wurde am Montag stellvertretend vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) deswegen kritisiert: „Die Kunden finden in den Geschäften ein breites Angebot vor. Einige Eigenmarkenanbieter führen Regionalmarken mit einer erhöhten Verkaufspreisstellung und geben die Mehrerlöse an die teilnehmenden Landwirte weiter.“ Neben den allseits kritisierten Billigangeboten von 51 Cent je Liter verweist der BVLH auf Bio-Milch, Markenmilch und Milch von regionalen Molkereien, die mehr als einen Euro kosten und dennoch verkauft werden. „Bei der aktuellen Preisdiskussion darf man auch nicht nur die Verbraucherpreise für Trinkmilch im Auge haben“, warnt der Verband. „Die Erzeugerpreise hängen davon ab, zu welchen Preisen die Molkereien die Produkte, die sie aus der angelieferten Rohmilch herstellen, auf den Märkten verkaufen.“ Zudem werden nur 17 Prozent der Rohmilch zu Trinkmilch verarbeitet. Der Milchanteil und damit die Entlohnung für das Produkt, ist mit 47 Prozent bei Käse mehr als zweieinhalb mal so hoch.
Die Demonstrationen und auch die Forderungen der Agrarminister innerhalb des Weimarer Dreiecks [2] richten sich nahezu alle nach außen: Russland, China, Weltmarktproduktion und taugen in ihrer Lautstärke allemal, von den inneren strukturellen Problemen abzulenken. Produktdifferenzierungen und Marktmacht der Molkereien spielen nach Ergebnissen der Sektoruntersuchung Milch vom Bundeskartellamt aus dem Jahr 2012 eine ebenso große Rolle. Der einzelne Milchbauer steht nicht dem Discounter Aldi gegenüber. Die Marktkonzentration gibt es auch in den vor- und nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft. Die Zahl der Getreidemühlen wird genauso kleiner, wie die Zahl der Molkereien.
Was also ist ein „fairer Preis“? Die österreichischen Bauernbund-Vertreter Jakob Auer und Johannes Abentung sehen keine „normale Preisbildung mehr“ und fordern eine Überwachungsbehörde für bäuerlich hergestellte Lebensmittel. Rechtsanwalt Meinhard Nowak sieht in der Landwirtschaft eine Infrastruktur-Branche, „in der der Wettbewerb nicht funktioniert, obwohl die marktdominierende Stellung des Handels bekannt“ ist, zitiert ihn der österreichische Standard. Da die Preisgestaltung keine Aufgabe der Wettbewerbsbehörde ist, müsse eine Überwachungsbehörde her, wie sie in Österreich den Telekom- oder Strom-Markt reguliert. Vergleichbar für Deutschland wäre das die Aufgabe der Bundesnetzagentur.
Die Märkte im Fokus:
Milchmarkt
Der Erzeugerpreis fiel zwischen Dezember 2013 und Juli 2015 von 40,21 auf 29,66 Cnet je Kilogramm. Zwischen Juni 2014 und 2015 fiel der Preis im EU-Durchschnitt um 20 Prozent. Die Milchmarktbeobachtungsstelle sieht keine kurzfristigen Verbesserungen. Langfristig allerdings seine die Perspektiven nach Analyse von OECD und FAO weiterhin gut.
Der Markt für Schweinefleisch
Gute Preise im letzten Jahr haben die Zahl der Schweineschlachtungen in der EU um 3,2 Prozent, nach Gewicht sogar um 3,7 Prozent in diesem Jahr anwachsen lassen. Wie für den Milchmarkt müsse hier eine Marktbereinigung durchgeführt werden, weil die Prognosen für 2015 von einer weiteren Steigerung der Produktion von 2,5 Prozent ausgehen. Russland wird die größte Schuld zugeschoben, da zwischen 2013 und heute der Export von 740.000 auf 65.000 Tonnen gefallen ist. Allerdings legen die Exporte nach Asien um zweistellige Werte zu.
Rindfleischmarkt
Schwer zu prognostizieren ist der Rindfleischmarkt. 2014 wurden 2,5 Prozent mehr produziert, doch das Absinken der Preise hatte auch einen Abfall der Produktion auf das Niveau von 2012 zufolge. Im August 2015 waren die Rindfleischpreise wieder 4,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Prognosen für 2016 weisen auf einen weiteren Anstieg der Produktion um 0,6 Prozent hin.
Hogan ist krank
Im EU-Agrarministerrat war EU-Agrarkommissar Phil Hogan nicht zugegen. Krankheitsbedingt liegt er mit einem Darmvirus seit Samstag im Krankenhaus. Im Auftrag der Kommission verteidigte sein Stellvertreter Jyrki Katainen den 2003 eingeschlagenen Weg der Marktorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Zur Stützung der Märkte, vor allem des Milch- und Schweinefleischmarktes hat die Kommission ein Geldpaket in Höhe von 500 Millionen Euro vorgeschlagen. Als Begründung wurden Russland, China, die Überproduktion von Milch in der EU, den USA, Australien und Neuseeland, die Trockenheit in Europa, die Tierhaltenden Betrieben die Futtergewinnung vom Grünland verdorrte und die das Auftreten der Afrikanischen Schweinepest im Baltikum und Polen.
Alleine für die Verlängerung des russischen Embargos wurden bereits 220 Millionen Euro an Hilfe ausgegeben. Die neuen Mittel werden als Liquiditätshilfe, zur Marktstabilisierung und zur Aufrechterhaltung der Wertschöpfungskette verausgabt.
Ausgaben nach Maßnahmen
Seit August 2014 hat die EU für den Agrarsektor 150 Millionen Euro für die Wegnahme von Obst und Gemüse vom Markt ausgegeben, Für das Einlagern von Magermilchpulver, Butter und Käse waren es 13 Millionen Euro, die vier vom Embargo Russland am meisten betroffenen Länder (Baltikum und Finnland) erhielten 40 Millionen Euro für den Milchsektor und für das Einlagern von 60.000 Schweinefleisch wurden 17 Millionen Euro ausgezahlt.
Neu: Das 500 Millionen-Paket der Kommission
Die Liquiditätshilfe wird direkt an die 28 Mitgliedsländer verteilt. Zudem können die Länder bis zu 70 Prozent der Direktzahlungen 2016 noch in diesem Jahr, ab dem 16. Oktober auszahlen.
Für den Milchmarkt wird es ein neues Lagerhaltungssystem Milchpulver und Käse geben, das für Schweinefleisch wird in privater Lagerhaltung fortgeführt und das Marketing für Milch und Schweinefleisch werde verstärkt. Dazu wird die Marketinghilfe im nächsten Jahr um 81 Millionen Euro und die Kofinanzierung durch die EU von 50 auf 70 (Milch) und 80 Prozent (Schweinefleisch) erhöht. Die Milchmarktbeobachtungsstelle soll exaktere Daten ermitteln können, nicht tarifäre Handelsbarrieren in Drittländern sollen abgebaut und Marketingaktionen dort verstärkt werden.
Für den Bereich der Wertschöpfungskette soll eine „High Level Gruppe“ gebildet werden, die Kreditzugang, Risikoabsicherung, Ausschöpfung der Maßnahmen aus dem bestehendem Milchpaket und Vorziehen dessen Reform um zwei Jahre auf 2016. Zusätzlich hat die Kommission zwei weitere, soziale Aspekte benannt. Nicht nur das Schulmilchprogramm soll ausgebaut werden, die Flüchtlinge in Europa sollen im Rahmen einer gesunden Ernährung in den Genuss von Milchpulver gelangen.
Keine Änderung der Intervention
Im Vorfeld wünschten sich viele Verbände einen höheren Interventionspreis und eine längere Aufbewahrungsdauer. Die Kommission hat sich entschieden dagegen ausgesprochen. Änderungen bei den Interventionsparametern widersprächen der Marktorientierung und lösten das aktuelle Problem nicht, sagte Katainen. Änderungen würden die Wettbewerbsfähigkeit Europas minimieren und den Druck auf die Preise nur verschieben.
Kommissionssitzung statt Agrarrat?
Die für 18:00 Uhr am Montag angesetzte Pressekonferenz begann erst um 20:37. Fernand Etgen, Ratsvorsitzender und Landwirtschaftsminister in Luxemburg, blieb knapp und präzise. Die meisten Agrarminister haben sich über das am Nachmittag bereits vorgestellte Hilfspaket gefreut. Aus dem Rat könne er mitteilen, dass ein geringfügiges Interesse an Interventionen bei bestimmten Produkten wie Magermilch bestehe.
Es blieb Jyrki Katainen vorbehalten, die Probleme nicht nur in den zyklischen Marktbewegungen, sondern auch in der Struktur der Landwirtschaft zusehen. Details seien aber noch offen. Eine Sondersitzung des Ausschusses und der informelle Agrarrat in der nächsten Woche sollen zügig alle Fragen geklärt haben, damit das Hilfspaket schnell bei den Landwirten ankommt. Es wurden noch kein Verteilungsschlüssel für die 500 Millionen Euro vereinbart, Höhe und Volumen der Intervention bleiben offen, aber auch Katainen warnt, dass eine Erhöhung des Interventionspreises keinen Anreiz für die Produktion in das Lager sein dürfe. Angesichts des starken Interesses Frankreichs an der Intervention, könne sich Katainen eine temporäre Erhöhung der vorstellen.
Die vorgeschlagene High Level Group soll die Möglichkeiten für Kostensenkungen in der Landwirtschaft ausloten und Instrumente erarbeiten, Preisvolatilitäten abzufedern, sagte Etgen zum Schluss.
Eine Wende in der Haltung zur Landwirtschaftspolitik ist erwartungsgemäß nicht in Sicht. Die EU öffnet erneut das Schatzkästchen. Die 500 Millionen sollen aus Verschiebungen des aktuellen Agrarbudgets kommen. Die Krisenreserve werde nicht angetastet, versprachen Katainen und Etgen.
Lesestoff:
[1] DBV wendet sich gegen die Quote
[2] Agrarmarkt: Lösungen dringend gesucht
Roland Krieg; Fotos: Screenshot EU-Videos Doorstep und Pressekonferenz