Brüsseler Agrarrat im Zeichen der Krisen

Landwirtschaft

Brüssel sucht neue Antworten auf alten Wegen

Die ganze Tagesordnung des EU-Agrarministerrates am Montag in Brüssel stand unter den Zeichen der Krisen. Auf der einen Seite fordert die grüne Architektur über die rechtlich nicht verbindlichen Green Deal, die beiden Strategien „From Farm-to-Fork“ (F2F) und dem Erhalt der Biodiversität die rechtlich bindende Grundlage der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) heraus, andererseits drücken die steigenden Kosten bei allen Betriebsmitteln und dem neuen Primat der Ernährungssouveränität im Zuge des Russlandkrieges die Landwirte in die betriebswirtschaftliche Enge. Auf der Suche nach Lösungen für alle Konflikte bleibt Brüssel in den Bahnen, die traditionell und bei der GAP seit 2018 vorgegeben sind. Daher stolpert die Kommission über den Fehler, die GAP über die Zeit der Europawahlen und Neubesetzung der Kommission gegenüber 2018 nur vereinzelt verändert zu haben und mit der grünen Architektur nicht rechtlich bindende Ziele zu verweben. Das wird bei der Direktive zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln überdeutlich, die wohl am Montag als Opfer in die Brüsseler Agrargeschichte eingeht.

Krisenmanagement

Als Reaktion auf die Krise hat EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski verschiedene Maßnahmen vorgestellt, die bis zum Mittwoch als Rechtsgrundlage zu formulieren sind. So wird es jetzt doch eine private Lagerhaltung für Schweinefleisch zur Marktstabilisierung geben, die Krisenreserve wird geöffnet, ökologische Vorrangflächen können für den Futterbau genutzt werden und die Länder können weitere Beihilfen für die Entlastung der Landwirte beschließen. Agrargelder aus der zweiten Säule können schon vor dem 16. Oktober 2022 ausgezahlt werden.

Nationale Strategiepläne

Erfreulicherweise liegen mittlerweile die nationalen Strategiepläne für die Umsetzung der GAP aus allen Ländern vor. Nach Wojciechowski bekommen die 19 Länder, die ihre Pläne pünktlich bis zum Jahresende 2021 eingereicht hatten, zuerst eine Reaktion. Deutschland muss also auf den Monitoringbrief aus Brüssel noch etwas länger warten. Wojciechowski ist zuversichtlich, dass die Verhandlungen mit den Ländern rechtzeitig zur Herbstaussaat abgeschlossen werden können, damit die Verwaltungen ausreichend Zeit haben, die neuen Förderrichtlinien in ihre nationale EDV einzupflegen und rechtlich umzusetzen. Die Kommission hat bereits eine lange Trendliste aus den einzelnen Strategieplänen herausgefiltert.

So setzen bei der Definition des „aktiven Landwirts“ acht Mitgliedsstaaten auf eine Negativliste, während 14 andere auf eine Mindestschwelle an Direktzahlungen setzen. Die liegt bei den meisten Ländern bei 5.000 Euro pro Jahr. Es gibt auch Vorschläge für eine Mindestfläche, deren Angaben zwischen 0,3 und vier Hektar variiert, und einer Mindestausrüstung bei der Tierhaltung.

Bis spätestens zum 01. April will die Kommission die ersten Schreiben an die Länder versandt haben. Es gibt unterschiedlich intensive Nacharbeit, weil Länder verschiedene Punkte nicht exakt genug definiert haben. Insgesamt liegen 250 verschiedene Eco-Schemes vor, was der Agrarkommissar als Erfolg wertet. Aber nicht alle Länder zeigten den gleichen Ehrgeiz. Carbon Farming als neues Element der Wertschöpfungskette werde beispielsweise nicht von allen Mitgliedsländern unterstützt. Gerade bei den rechtlich nicht bindenden Strategien F2F und zur Biodiversität müsse noch deutlich nachverhandelt werden. Hingegen gehen die meisten Länder bei der Förderung über die geforderten drei Prozent der Direktzahlungen hinaus und erreichen in der Spitze 14 Prozent.

Probleme gibt es wohl auch beim Tierwohl. So würden Kriterien wie das Kupierverbot von Schwänzen und das Auslaufen der Käfighaltung der Kommission nicht vollumfänglich gewürdigt. Bei der Förderung des Ökolandbaus hingegen ist der Kommissar wiederum zufrieden. Die Summe aus allen Plänen lässt die Erhöhung des ökologischen Landbaus bis Ende der Förderperiode 2027 von jetzt EU-weiten acht auf 18 Prozent zu.

Hier zeigt sich allerdings auch die Falle. Die Kommission geht von der nationalen Einarbeitung der grünen Architektur in die GAP aus. Die Visegrad-Gruppe (Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn) allerdings äußerte Bedenken, denen sich Bulgarien, Kroatien, Rumänien und die Slowakei anschlossen. Die Länder geben nach eigenen Angaben durchschnittlich 45,52 Prozent der Gelder für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen aus. Die Ziele seien notwendig, aber die weiteren Kriterien aus F2F dürften nicht als rechtsverbindlich angesehen werden. Gerade für die Reduzierung der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln müssten die länderspezifischen Ausgangsbedingungen berücksichtigt werden. Die Reduktion Anwendung und des Risikos dürften nur als Durchschnitt für die gesamte EU und nicht für einzelne Länder gelten. Die Visegrad-Länder liegen mit 1,35 Kilogramm Pflanzenschutzmittel pro Hektar bereits unter dem EU-Durchschnitt von 2,10 kg/ha.

Mit Blick auf die Arbeiten des Joint Research Komitees über den Produktionsrückgang forderte der ungarische Landwirtschaftsminister István Nagy erneut eine konkrete Folgenabschätzung, weil sich die Lebensmittelversorgung durch den Russlandkrieg verändert habe.

Staatssekretärin Silvia Bender aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hingegen forderte, dass mit dem Ziel der Ernährungssouveränität die Klima- und Umweltziele nicht in Hintergrund rücken dürfen. Eine langfristige Ernährungsversorgung gebe es nur mit Berücksichtigung der Umweltsysteme und voller Funktionalität der Ökosysteme.

Elisabeth Köstinger rückt von dem Ökoprimat ab. Die Landwirtschaftsministerin in Österreich möchte mit der Kommission über die nationalen Strategiepläne nur an den rechtlich verbindlichen GAP-Zielen verhandeln. Sie verweist auf das World Food Programm der Vereinten Nationen, das für seine Ernährungshilfe für den globalen Süden zur Hälfte auf Schwarzmeergetreide angewiesen ist. Das sei, auch wenn Nichtregierungsorganisationen laut werden, zu berücksichtigen: „Wir müssen anbauen und produzieren!“. So eine Situation hatte Europa seit vielen Jahrzehnten nicht mehr.

Bei Janusz Wojciechowski sind die Bedenken angekommen. „Die Landwirtschaftspolitik  ist zu einer Sicherheitspolitik geworden.“ Dennoch ist das Thema Lebensmittelversorgung in den nationalen Strategieplänen vorhanden. Die regionalen und kurzen Wertschöpfungsketten seien die Lösung für ein resilientes Agrar- und Ernährungssystem. Am Mittwoch wird die Kommission ein Papier zur Lebensmittelsicherheit vorstellen.

Eiweißstrategie

Europa braucht sowohl für die menschliche, als auch für die tierische Ernährung Eiweißpflanzen. Auf der bilateralen Eiweißpflanzenkonferenz von Frankreich und Österreich im Dezember 2021 wussten die Minister noch nicht, wie drängend das Thema noch werden wird, führte Elisabeth Köstinger aus. Österreich hat federführend mit 18 weiteren Ländern, darunter auch Deutschland, ein Papier für die Intensivierung des heimischen Proteinpflanzenanbaus erstellt. Forschung, Züchtung, Anbau und Verwertung von Eiweißpflanzen, wie Sojabohnen, Ackerbohnen und Erbsen, aber auch Lupinen, müssten intensiviert werden. Die Länder haben auf der Basis der EU-Entscheidung aus dem Jahr 2018 eigene Eiweißpflanzenstrategien aufgebaut. Jetzt solle die Kommission eine Strategie für die gesamte EU erstellen.

Für die Resilienz des Agrar- und Ernährungssystems sei das eine logische Weiterentwicklung, führte Silvia Bender hinzu. Die Strategie helfe auch bei der Umsetzung von entwaldungsfeien Lieferketten. Allerdings müsse sowohl hinsichtlich der Human- und Tierernährung bei Forschung und Innovation die Koexistenz zwischen Ökolandbau, GVO-freiem Anbau und konventioneller Landbewirtschaftung berücksichtigt werden. Für den niederländischen Agrarminister Henk Staghouwer sind Eiweißpflanzen ein Beitrag zum Greening.

Die neue GAP biete viele Möglichkeiten, die nationalen Strategien auszuweiten und umzusetzen, entgegnete Wojciechowski. Er sieht keine Notwendigkeit für eine EU-weite eigene Strategie.

Revision der Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie

Ob am Mittwoch die Revision der Pflanzenschutz-Richtlinie vorgestellt wurde, wird sich erst nach der Kommissionssitzung zeigen. Auf der Tagesordnung geplanter Themen steht sie noch. Mit der Revision der Richtlinie 2009/128/EG zum „Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden“ bekommen nach ersten Veröffentlichungen des Entwurfs, Biologische Pflanzenschutzmittel einen eigenen Rechtsrahmen. Die Reduktionsziele nach der F2F-Strategie, das Risiko und die Mittelanwendung bis 2030 um 50 Prozent zu senken, werden rechtsverbindlich.

Die Federführung liegt bei der EU-Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und ist Bestandteil der F2F-Strategie. Die osteuropäischen Länder, zusammen mit Österreich, sind wegen der Lebensmittelsicherheit besorgt, wie stellvertretend der polnische Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk ausführte. Auch hier unterstreicht Silvia Bender die Notwendigkeit, die Nachhaltigkeit als Baustein für eine sichere Ernährungsversorgung zu erhalten. Es müsse mehr Entwicklung für neue Stoffe und Methoden gegen Pflanzenkrankheiten geben.

Die federführende Kommissarin Stella Kyriakides kennt die Gegenargumente, weil die Voraussetzungen zwischen den EU-Ländern sehr unterschiedlich sind. Das stehe aber auch bereits in der F2F-Strategie und die Länder könnten eigene Ziele formulieren. Nach Kyriakides brauche die Landwirtschaft einen sorgfältigen Weg für eine langfristige Vision. Eine Verschiebung um wenige Wochen wäre noch erträglich, aber länger können Umwelt und Menschen nicht warten. Alle müssten ihrer Verantwortung gerecht werden, auch wenn es zu schmerzhaften Entscheidungen komme.

Der französische Landwirtschaftsminister Julien Denormandie gibt der Kommissarin Recht. Man könne das Steuer auf dem grünen Weg nicht wieder herumreißen. Wojciechowski hingegen prognostiziert, dass die Richtlinie nicht besprochen wird. Im Fokus der Agrar-Kommission haben die rechtlichen Pflichten der nationalen Strategiepläne und die GAP. Er hat für Mittwoch ein Papier für mehr Lebensmittelsicherheit vor dem Hintergrund des Russlandkrieges angekündigt.

Geografische Herkunftsangaben

Beliebt sind die verschiedenen gesetzlich geschützten Herkunftsangaben, über die Hersteller ihre Produkte erfolgreich bewerben können und die in den Handelsverträgen auch gegenseitig anerkannt werden. Bislang ist die Genehmigung in der Agrarkommission verankert. Doch soll sie bald in das Amt für geistiges Eigentum überführt werden.

15 EU-Länder, ohne Deutschland, haben sich zu einem „Freundeskries der geografischen Angaben“ zusammen geschlossen. die an dem bewährtem System festhalten wollen. Sie wollen die Hoheit über die Label in der Agrarkommission behalten, wehren sich gegen die zwanghafte Aufnahme von Nachhaltigkeitsaspekten wegen den zum sehr traditionellen Produkten und wollen, weil es über die gleiche Kommission geht, die erzeugergemeinschaften weite stärken sowie die Förderung für Absatz und Weiterbildung über die GAP behalten.

Fischerei

Die Fischerei ist vor allem durch die steigenden Dieselkosten betroffen, so dass Fischer vereinzelt schon gar nicht mehr auf das Meer zum Fischen fahren. Zudem fehlt nach EU-Umwelt- und Meereskommissar Virginijius Sinkevičius ukrainisches Getreide als Fischfutter für die Aquakultur. Sinkevičius will prüfen, welche Hilfsmaßnahmen über den Fischereifonds möglich sind.

Weitere Themen

Die niederländische Delegation hat einen Vorschlag für die Wiedernutzung von natürlichen Nährstoffen als Dünger eingebracht. Um den hohen Düngerpreisen entgegenzuwirken sollen im Sinne der Kreislaufwirtschaft regionale Nährstoffquellen wie organische Abfälle für die Erstellung von Dünger genutzt werden können. Die Niederländer beziehen sich auf eine Forschungsarbeit der EU zur Nitratrichtlinie 91/676/EEC, für hygienische Mindeststandards Stickstoffdünger aus Abfall zu gewinnen. Die EU solle dafür eine Rechtsausnahme erlassen.

Slowenien hat einen Vortrag gehalten, dass die alternative Unkrautbekämpfung für Glyphosat an Bahndämmen und Straßenbegleitgrün wegen der fehlenden Wirkung auf die Wurzeln der Unkräuter und Ungräser ihre Wirkung verfehlen. Um nicht wieder zum Glyphosat zurückkehren zu müssen, fordert die Delegation die Erforschung von geeigneten Alternativen.

Auch die großen Beutegreifer waren wieder Thema im Ministerrat. Ziel ist nach Julien Denormandie ein ausgewogenes Zusammenleben von Wolf und Bär mit Menschen und Weidetieren. Die topographischen Rahmenbedingungen variieren zwischen den betroffenen Ländern und die Intensität der Rissvorfälle ist ebenfalls heterogen. Als Basis für einen wirksamen Schutz von Weidetieren und Beutegreifern plus Entschädigung für Weidetierhalter brauche die EU ein einheitliches System zur Populationsmessung, damit Schutz der Beutegreifer und Entnahmen ordentlich erfolgen können.

Ukraine

Die Minister hatten ein Videogespräch mit dem ukrainischen Landwirtschaftsminister Roman Leshchenko, der seine Wünsche in Form von Saatgut und Diesel für die ukrainischen Landwirte vortrug und für die Aufnahme von Flüchtenden in die EU warb. Nach Lechchenko will die Ukraine neben der Eigenversorgung auch weiterhin exportieren, um sich zu finanzieren. Allerdings ist der Weg über das Schwarze Meer mittlerweile versperrt.

In dem Zusammenhang wurde Agrarkommissar Janusz Wojciechowski deutlich. Russland zerstört gezielt Lagerbestände von Lebensmitteln, die Produktionsgrundlage für den Anbau und Zuchtbetriebe rund um Kherson. Putin setze den Hunger als Waffe seiner imperialen Politik ein. Für die Frühjahrsaussaat brauchen die ukrainischen Landwirte mindestens 50.000 Tonnen Diesel. „Wir müssen den Landwirten helfen, die trotz Bombardierung weiter arbeiten wollen.“

Roland Krieg

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