BUND fordert Halbierung des Antibiotikaeinsatzes
Landwirtschaft
Resistente Keime im Geflügelfleisch
Angesichts der Diskussion um den hohen Einsatz von Antibiotika fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Reduzierung der verwendeten Antibiotika um 50 Prozent bis zum Jahr 2015. Anlass war die Vorstellung einer Untersuchung in Berlin über Keime in Geflügelfleisch.
Resistente Keime als Folge des Antibiotika-einsatzes
Nachdem Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen im
letzten Jahr detailliert über den hohen Einsatz von Antibiotika in der
Geflügelfleischproduktion berichtet haben, hat der BUND in einer Stichprobe von
Fleisch aus Supermärkten und Discountern die Keimbesiedlung analysiert. In der
Hälfte der Proben wurden sie fündig.
Kritisch sind vor allem die MRSA- und ESBL-Keime. Methicilin
resistente Staphyloccocus aureus (MRSA) werden als „multiresistente
Krankenhauskeime“ bezeichnet. Sie rufen bei Menschen Schwächungen des
Immunsystems und Blutvergiftungen hervor. Extended spectrum Beta-Laktamasen
(ESBL) sind Enzyme von Darmbakterien, die Antibiotika unwirksam machen. Nach Einschätzung
der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA sterben in Europa jährlich rund
25.000 Menschen durch Infektionen, die nicht mehr durch Antibiotika behandelt
werden können, weil sie mit resistenten Keimen infiziert sind.
Zwei Drittel der in Deutschland eingesetzten
Antibiotika werden von Tierärzten in der Tierhaltung eingesetzt. Die Berichte
aus NRW und Niedersachsen haben gezeigt, dass bis zu 80 Prozent der Tiere mit
den Medikamenten behandelt werden, oftmals auch nur ein bis zwei Tage – zu kurz
um zu heilen, aber lang genug, um Resistenzen auszubilden, so Dr. Kathrin
Birkel vom BUND in ihrer Analyse zur Resistenzbildung.
Passivität der Bundesregierung
Für Verbraucher besteht das Risiko, dass sie die
resistenten Keime aufnehmen und aufgrund fehlender Kennzeichnung keine
Auswahlmöglichkeiten haben, so Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND. Er wirft Bundesland-wirtschaftsministerin
Ilse Aigner Passivität vor, da sie erst nach der Studie aus Nordrhein-Westfalen
aktiv wurde. In der Verantwortung und als Hebel für die Verbraucherpolitik
sieht Prof. Weiger den Handel, der belastete Ware nicht mehr nachfragen sollte.
Vor allem solle sich die Bundesärztekammer dazu äußern,
denn die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Krankenhauskeime mittlerweile
ubiquitär, also überall verbreitet sind, forderte Weiger.
Bislang haben sich vor allem Politik und Bauern mit ihrer
Standesvertretung zum Thema Antibiotika geäußert. Die Veterinäre selbst
verhalten sich angesichts ihrer tragenden Rolle bei dem Thema verhältnismäßig
ruhig.
Das liegt nach BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning an
der Freiwilligkeit von Leitlinien, die durchaus vernünftig ausgestaltet sind,
erklärt sie gegenüber Herd-und-Hof.de. Zahlen aus den Niederlanden belegen,
dass nur rund fünf Prozent der Tierärzte für 80 Prozent der Verschreibungen
verantwortlich sind. Der Begriff der „Autobahntierärzte“ ist aber auch in
Deutschland bekannt.
Damit dieses Thema nicht wie die gesamte Tierhaltung populistisch
wird, ist Aufklärung nach allen Seiten notwendig. Das schreibt Prof. Dr. Peter
Kunzmann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Jahresalmanach 2011/12
der Vieh und Fleisch Handelszeitung. Prof.
Kunzmann ist Mitglied der Ethik-Kommission der Fakultät für Sozial- und
Verhaltenswissenschaften und warnt angesichts einer ausufernden Diskussion: „Vor
allem die Tierhalter und ihre Tierärzte werden dann einen sozialen Rang
einnehmen wie die Versuchstierleute und die Zirkusdompteure: irgendwie
notwendig, aber unanständig.“1)
Forderungen
„Es ist ein Systemproblem!“, fasst Prof. Weiger
zusammen. Die Tierhaltung halte mit Neuland und der ökologischen Landwirtschaft
Alternativen parat.
Aktuell fordert der BUND ein klares Reduktionsziel des
Antibiotikaeinsatzes von der Bundesregierung und legt mit 50 Prozent bis zum
Jahr 2015 eine Orientierungsmarke vor. Wegen des gesamten Haltungssystems müsse
die Bundesregierung Mindeststandards für die artgerechte Tierhaltung
definieren. Humanantibiotika dürfen nicht mehr in der Veterinärmedizin
eingesetzt werden. Hier haben sich die Dänen und Franzosen bei Cephalosporinen schon
für eine zweijährige Anwendungspause ausgesprochen. Letztlich müsse die
freiwillige Leitlinie der Veterinäre verpflichtend werden und vor einem
Medikamenteneinsatz müsse überhaupt erst getestet werden, welcher Keim behandelt
werden soll.
Der BUND spricht sich für eine Trennung von
Verschreibung und Verkauf von Medikamenten aus. Mit dem so genannten
Dispensierrecht genießen die Veterinäre eine Ausnahmestellung vom
Apothekenmonopol.
Branche und Bundesregierung zu zögerlich
Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat vergangene Woche
zusammen mit dem Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) eine gemeinsame
Erklärung zum Thema Antibiotika veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem. „DBV
und BPT weisen darauf hin, dass Tierarzneimittel, insbesondere Antibiotika,
dazu dienen, kranke Tiere zu heilen. Es wäre mit dem Tierschutz nicht
vereinbar, kranke Tiere nicht zu behandeln und leiden zu lassen.“ Ein
Monitoring innerhalb der Branche soll „konkretere Aussagen zum
Antibiotikaeinsatz treffen“ helfen. Der BUND hingegen fordert unabhängiges
Monitoring mit transparenten Datensätzen und spricht nicht das Recht zu heilen
ab, sondern kritisiert die unnötigen Behandlungen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat am
Wochenende angekündet, das Arzneimittelrecht zu ändern. Reinhild Benning
fordert die Bundeslandwirtschaftsministerin zur Mitteilung von Details auf.
Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der
Linken, forderte am Montag angesichts der Ankündigung Aigners und der
Untersuchung des BUND auch die „Verbesserung der Stallhygiene, des
Bestandsmanagements und eine integrierte tierärztliche Bestandsbetreuung“.
Tackmann kündete einen entsprechenden Antrag der Fraktion im Bundestag an.
Die SPD hat einen Antrag zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes
schon gestellt, der Mitte Dezember in den Agrarausschuss überwiesen wurde.
Reduzierung und Überwachung
Das Bundeslandwirtschaftsministerium verfolgt das Thema
mit den Begriffen Reduzierung und Überwachung, wie ein Sprecher am Montag mitteilte.
Im politischen Ansatz gebe es keinen Dissens mit den Umweltverbänden. Es sei
aber auch klar, dass die Bundesländer in der Verantwortung stünden, die
vorhandenen Möglichkeiten der Überwachung und Intervention umzusetzen. Da gebe
es Dissens mit einem Bundesland, das eigene Untersuchungen vorgelegt hat. Im
Ministerium verstehe man nicht, warum dem Minister [gemeint sind
Nordrhein-Westfalen und Agrarminister Johannes Remmel; roRo] die Hände gebunden
sein sollten.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium weist noch einmal darauf
hin, dass Antibiotika nicht als Wachstumsförderer eingesetzt werden dürfen.
Nach dem Arzneimittelgesetz dürfen sie auch nicht zur Überdeckung von
Krankheiten, die beispielsweise durch Haltungsmängel entstehen, verabreicht
werden. Verstöße sind strafbar und müssen geahndet werden, betont der Sprecher.
Heute wird es im Ministerium ein Hintergrundgespräch
zum Thema geben und nach der Ressortabstimmung ein Gesetzentwurf in den
kommenden Wochen vorgelegt. Der Kernpunkt der Gesetzesänderung zielt auf die
Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes auf das notwendigste Maß und auf die
Erweiterung der Befugnisse der zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden
der Länder ab.
Lesestoff:
1) vfz-Almanach 2011/2012 der Vieh und Fleisch Handelszeitung, S. 6
Das Statement von DBV und bpt finden Sie auf www.bauernverband.de
Vorhandene Aktionspläne zur Reduzierung des
Antibiotikaeinsatzes
Auch Öko-Test hat im neuen Heft mit dem Thema getitelt
Das Thema wird auf der für den 21. Januar angekündeten Demonstration zur Grünen Woche weiter getragen: www.wir-haben-es-satt.de
Roland Krieg (Text und Fotos)