Bundeskongress Ländlicher Raum
Landwirtschaft
Die Entwicklung des Landes wird Chefsache
Mit zunehmender Frequenz gibt es Tagungen und Kongresse über die Entwicklung des ländlichen Raumes. Jetzt ist der Veranstaltungsauftrag auch auf der Regierungsebene angekommen und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) lud am Freitag zu einem Auftaktkongress und stellte zu Beginn einer Reihe weiterer Tagungen in den einzelnen Bundesländern die Frage, ob die Zukunft des ländlichen Raumes ein drohender Niedergang sei oder dieser eine wachsende Attraktivität habe.
Seehofer will einen Marschallplan
Für Bundesminister Horst Seehofer ist der ländliche Raum „ein ungemein wichtiges und spannendes Thema“. Im Zuge der Globalisierung sind die Ebenen Deutschland, Europa und die Welt miteinander verflochten und erfordern daher „eine globale Sicht und regionales Handeln“.
Bis in das 19. Jahrhundert hinein prägten Kirche, Saisonalität und die Landwirtschaft das Land, was von den Städtern als Stillstand angesehen wurde, führte Seehofer aus. Aber auch die Landluft müsse freimachen und die Entwicklung der Regionen beinhalte gleichermaßen die Entwicklung von Stadt und Land. Genutzt werden solle das wirtschaftliche, das soziale und kulturelle Kapital und der Landwirtschaftsminister wehrte sich gegen die „Niedergangslitanei“, die vor allem „von Großstadtjournalisten“ gepflegt werde.
Das Grundgesetz stelle für Seehofer mit dem „normativen Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse“ den Auftrag an den Staat, sich auch um die peripheren Gebiete zu kümmern. Die demographischen Entwicklung und knappe Finanzen seien kein Grund für den Rückzug.
Im Wortlaut GG Artikel 72 (2) – Konkurrierende Gesetzgebung |
Die Landwirtschaft bleibt dabei das Rückgrat des ländlichen Raumes, denn sie versorgt nicht nur die heimische Bevölkerung, sondern hat auch einen großen Anteil an der deutschen Exportwirtschaft. Daher mache es auch keinen Sinn, dass weiterhin Geld ausgegeben werde, damit landwirtschaftliche Produktionsflächen stillgelegt werden, kündigte Seehofer eine Initiative an, dieses zu ändern. Ein Großteil der 923.000 deutschen Handwerksbetriebe liegt im ländlichen Raum, weswegen der nichtagrarische Teil bei der Entwicklung dazu gehört.
Seehofer sieht in den kommenden Aufgaben eine zweite grüne Revolution und möchte mit einem Marshallplan der Ideen zuerst Konzepte aufbauen – die Finanzfrage werde dann später geklärt.
Keine wirklich neuen Ideen vorhanden
Die Schweizer hatten in der Vergangenheit“ ihre Kühe auf den Almen vergoldet“. Jetzt sprechen die Eidgenossen offen von der „Unrentabilität des ländlichen Raumes“, und man könnte sich fragen, ob das Metropolenkonzept Deutschlands nicht eigentlich die gleiche Meinung vertrete. Mit diesen starken Worten kämmte Prof. Dr. Holger Magel von der TU München, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Akademien ländlicher Raum der deutschen Länder und Präsident der entsprechenden Bayrischen Akademie, ordentlich gegen den Strich.
Stichwort Metropolenkonzept In der Raumordnungspolitik wird seit Anfang der 1990er Jahre von besonders geförderten Metropolregionen gesprochen. So sollen vor allem Ballungszentren wirtschaftliche Zugpferde bei der EU-Erweiterung und Globalisierung sein. Mitte 2001 wurde ein Initiativkreis gegründet, der deutsche Metropolregionen als Interessenvertretung gibt. Die Ministerkonferenz für Raumordnung hat Ende April 2005 einen Perspektivbeschluss zur Weiterentwicklung raumordnungspolitischer Leitbilder und Handlungsstrategien anerkannt. Beispiele für Metropolregionen: Nürnberg; Hannover-Braunschweig-Göttingen; Rhein-Neckar; Bremen-Oldenburg. |
Zur Zeit sieht Prof. Magel eine „Inflation an Tagungen zum ländlichen Raum“, die aber nur Bekanntes wiederholten. Fragestellungen werden meist dramatisch gestrickt, um in den Medien Aufmerksamkeit zu erhalten. Solche Tagungen brächten ein politisches Bekenntnis, eine finanzielle Aufmerksamkeit, aber „wirklich fachlich Neues bringen sie nicht“. Sechs Punkte könnten bei der Programmsuche helfen:
1. Generell müsse man sich fragen, ob wirklich überall gleichwertige Lebensverhältnisse erhalten bleiben können, zudem die Bevölkerung selbst damit rechnet, mit einem sinkenden Lebensstandard auszukommen. Es fehlen Messindikatoren bei sinkenden Bevölkerungszahlen
2. „Gleichwertige Lebensverhältnisse beinhalten eher die Chancengleichheit, als allen das Gleiche zu geben. In der kommunalen Politik finde man langsam den Weg von der Disparität zur Differenzierung
3. Für den ländlichen Raum gebe es kein einziges Programm, dass seinen Namen verdient hat. ELER und GAK sind zu landwirtschaftorientiert und die Kommunen müssen viel stärker einbezogen werden
4. Viele Länder haben ein spezielles „Ministry for Rural Development“. Da es das in Deutschland nicht gibt, müsse das BMELV mit einer Führungsrolle die konzeptionelle Vorarbeit leisten und die Finanzmittel konzentrieren
5. Die Ämter für die Flurbereinigung haben sehr viel gutes geleistet und sollen auch weiterhin für den ländlichen Raum aktiv bleiben. Man solle nicht neue Behörden aufbauen, was eher zu einem Gegeneinander und Durcheinander führen könne.
6. Zentraler Ansatzpunkt für einen Verwaltungsansatz sind die Kommunen, für den Gedankenansatz die Bürger. In den Kommunen können die Bürger abgeholt und beteiligt werden. Es müsse ein Leitbildprozess und ein Wertediskussion begonnen werden, die das Bürgerengagement wecken. „Das ist der Schlüssel für die Zukunft schlechthin.“
Vor allem mit dem letzten Punkt könne der ländliche Raum eine Pionierarbeit leisten, der für andere „Verantwortungsgemeinschaften“ wegweisend sei: Der Gesundheitsbereich ist ein Beispiel für eine „nachlassende Sozialgemeinschaft“.
So beobachtet Prof. Magel den wachsenden „Kannibalismus“ auf dem Land. Gemeinden werben mit Vergünstigungen bei ihren Schulen die Schüler aus den Nachbargemeinden ab. Verbilligte Baugrundstücke verhindern Ansiedlungen in den Nachbargemeinden. Solche Strategien müssen ein Ende haben.
Zentrifugalkräfte des Raumes
Die Nachmittagsdiskussion zeigte, welche unterschiedlichen Ansichten und Vorstellungen existieren, die zusammengebracht werden müssen.
Bischof Axel Noack von der Evangelischen Kirche Sachsen hat Angst vor Dörfern, die zu Wüstungen werden. Hingegen möchte Bauernpräsident Gert Sonnleiter das Wachstum seines Heimatdorfes von 20 auf 26 Einwohner als Zeichen sehen, dass die Abwanderung nicht überbewertet werden müsse.
Hans Jörg Duppré, Präsident des Deutschen Landkreistages bestätigte, dass das Thema in den Kommunen angekommen ist, aber die Verantwortlichen noch keine Konsequenzen zu ziehen wüsten. Dörfer mit Neubau- und Gewerbegebiete, „verrotten“ innerlich. So würden Familien vom Kauf eines alten Hauses wieder Abstand nehmen, wenn ihnen der Denkmalschutz den Einbau eines modernen Bades verbietet. Hier müsse etwas geändert werden. Auch Dr. Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hält funktionierende kleine Einheiten für richtig: Wenn die Zwergschule bleibt, dann bleiben auch die Familien. Zufrieden zeigte er sich mit der Rückführung der Pendlerpauschale und Eigenheimzulage, denn diese würden die Zersiedelungstendenzen fördern.
Das Publikum benannte noch zwei weitere Haken in der ländlichen Entwicklung: Der Niedergang des Landes werde durch die Privatisierung der öffentlichen Daseinsversorgung vorangetrieben. Erst gehen die Post und die Bahn und demnächst noch die Wasserversorgung. Man müsse bei allen Projekten die „Macht- und Verteilungsfragen“ stellen: Im Ballungsraum München werde für einen Millionenaufwand der Transrapid geplant, während in der Peripherie die letzte Buslinie eingestellt werde. Soll die Bioenergie in kleinen Einheiten genutzt werden die dann den Energieversorgungsunternehmen (EVU) etwa wegnimmt, oder soll die Bioenergie durch die großen EVU genutzt werden? Die „Aldisierung“ und „Lidlsierung“ des Lebensmitteleinzelhandels schaffe zwar Fleischwerke auf dem Land, aber keine Arbeitsplätze im traditionellen Handwerk.
Gert Sonnleitner entgegnete, dass die Übergänge von kleinen und großen Betrieben fließend sind und Größenordnungen daher nicht als Auswahlkriterium für Programme herhalten können. Duppré hält die Privatisierung tatsächlich für einen Irrweg und forderte neue Verteilungskriterien, nach denen Gelder vergeben werden sollen.
Der Wandel in der Theorie
Die OECD hat in diesem Jahr „Das neue Paradigma für den ländlichen Raum“ herausgebracht. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beschreibt prägnant die notwendigen Veränderungen in einer Tabelle:
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Altes Konzept |
Neues Konzept |
Zielsetzungen |
Ausgleich, Agrareinkommen, Agrarwettbewerbsfähigkeit |
Wettbewerbsfähigkeit ländlicher Räume, Valorisierung lokaler Aktiva, Ausschöpfung ungenutzter Ressourcen |
Wichtigster Zielsektor |
Landwirtschaft |
Verschiedene Sektoren ländlicher Volkswirtschaften (ländlicher Tourismus, Verarbeitendes Gewerbe) |
Wichtigste Instrumente |
Subventionen |
Investitionen |
Wichtigste Akteure |
Nationale Regierungen, Landwirte |
Alle Regierungsebenen (supranational, national, regional und lokal), verschiedene lokale Stakeholder (öffentlich, privat, NRO |
Q: OECD 2006 |
Lesestoff:
OECD-Berichte über die Politik für den ländlichen Raum: „Das neue Paradigma für den ländlichen Raum", OECD Publishing 2006; ISBN 9264023909
Nationaler Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung ländlicher Räume 2007-2013, BMELV September 2006: www.bmelv.de
Die Kongressreihe hat sich eine eigene Internettseite eingerichtet: www.bundeskongress-laendliche-raeume.de
Regionen Aktiv: Mit allen Regionen in Deutschland: www.modellregionen.de
Die beiden letzten Tagungen auf Herd-und-Hof.de finden Sie hier: Den Kongress der Grünen Bundestagsfraktion und den MeLa-Kongress in Mecklenburg-Vorpommern. Schaubuttern alleine reicht nicht.
Roland Krieg