Business as usual beim Antibiotikaeinsatz

Landwirtschaft

Die Gesundheitswaffe Antibiotika wird stumpf

Jedes verabreichte Antibiotikum setzt Bakterien unter Druck. Sie vermehren sich trotzdem und geben ihre Erbinformationen weiter. Die Wirkung eines Antibiotikums erwischt nicht alle Bakterien und diejenigen, die sich auf natürliche Weise so verändert haben, dass sie dem für den Menschen lebensrettende Medikament entwischen, ist dann resistent gegen den Wirkstoff. Es ist ein Wettkampf zwischen Antibiotika und Bakterien, den das Medikament verliert. Resistenzen entwickeln sich bei Bakterien schneller als neue Wirkstoffe auf den Markt kommen. Oft ist das Bakterium beim Markteintritt des Medikaments bereits immun.

One Health

Im Fokus des übereifrigen und daher missbräuchlichen Einsatzes von Antibiotika steht immer wieder die Landwirtschaft. Doch  das lenkt von der ganzen Humanmedizin ab, die zusammen mit den Tieren und der Umwelt als „One Health“-Komplex anzusehen ist. In diesem Sommer haben Wissenschaftler in einer Arbeit die pharmazeutische Verschmutzung der Natur beklagt, die auch seitens der Humanmedizin immer weiter um sich greift [1].

Unverhältnismäßiger Einsatz

Das Thema drängt zu Beginn der „World Antimicrobal Awareness Week“, die am Wochenende begann und bis zu 24. November andauert. „Innovative Antibiotika werden aufgrund zunehmender Resistenz dringender gebraucht. Zum Einsatz dürfen sie nur sparsam kommen, etwa als Reserve für den Notfall. Dabei ist ihre Entwicklung ebenso komplex wie kostenintensiv. Das sagt Alexander Herzog, Generalsekretär der „Pharmig“, der freiwilligen Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie, die mit 120 Mitgliedern rund 95 Prozent des Medikamenten-Marktes abdecken.

Steigende Opferzahlen

Für Herzog geht es um eine „ernsthafte Gefahr für die globale Gesundheitsvorsorge“. Vorhandene Antibiotika werden „nach wie vor zu häufig eingesetzt“. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rechnet bis 2050 jährlich mit zehn Millionen Todesopfern durch Antibiotikaresistenzen. Die Europäische Union beispielsweise ist mit ihrer Strategie zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes durch aus erfolgreich. Gleichzeitig aber werde immer wieder auf die sogenannten Reserveantibiotika zurückgegriffen.

AMR Action Fund

Forschung und Entwicklung sind aufwendig und dauern ihre Zeit. Firmen sind immer wieder mit Rückschlägen konfrontiert und haben nicht das notwendige Kapital. Der von der pharmazeutischen Industrie 2020 als Public-Private-Partnership mitgegründete Aktionsfonds gegen Antibiotikaresistenzen AMR Action Funds sei der erste Schritt, die nächste Generation von Antibiotika zu erforschen.

Fast eine Milliarde US-Dollar im Fonds sollen die „Antibiotika-Pipeline“ aufrecht erhalten. Selbst wenn Startups neue Wirkstoffe entwickelt haben, refinanziert sich die Forschung durch den sparsamen Gebrauch nicht. Große Firmen steigen aus der Forschung aus.

Der Fonds will bis 2030 zwei bis vier neue Antibiotika auf den Markt gebracht haben.

World Antimicrobal Awareness Week

Die WHO hat 2015 mit einer Bewusstseinswoche zur Aufklärung der Antibiotikaresistenzen begonnen. In diesem Jahr geht es gezielt um den Ansatz One Health, der alle Sektoren auffordert, gemeinsam Auswege aus der Krise zu finden. Doch die Woche verklingt, weil auch die Mitglieder des AMR Funds keine Aktionen starten.

Bakteriophagen

Das neueste Forschungskind sind Phagen gegen multiresistente Keime. Bakteriophagen sind Viren, die ausschließlich Bakterien infizieren  und sich nicht auf menschlichen und tierischen Zellen vermehren. Daher gelten sie als ungefährlich für Menschen. Nachdem der Phage sein Bakterium identifiziert hat, schleust er sein Erbgut in die Zelle, das neue Phagen produziert und dabei zugrunde geht. Forscher am Fraunhofer ITEM in Hannover haben ein Aerosol aus Phagen gegen Mukoviszidose entwickelt, das bereits in klinischen Studien ist.

Postantibiotische Apokalypse

Die Abschätzung der WHO über die Todesfälle sind für den gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, „apokalyptische Folgen für das deutsche Gesundheitssystem“. Schon alleine in der Bundesrepublik versterben pro Jahr 9.600 Menschen wegen unwirksamer Antibiotika. Die Mitgliedspartei in der Ampelregierung will den „europäischen Gesundheitsraum nutzen, um den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen zu stärken.“ Es brauche aber ein starkes Anreizsystem für die Forschung der Pharmaindustrie. Für Deutschland kann sich Ullmann die Ansiedlung forschender Unternehmen vorstellen.

Ullmann blickt auf das Unternehmen Novartis USA. Dort erprobt das Unternehmen neue digitale Vermarktungsmodule wie Interviews, Personalisierung und Webseminare für Arztportale und mit You Tube-Filmchen. Dort hat der Weg „Personalized Education and Knowledge“ (PEAK) auch schon seinen Spitznamen „Netflix-Modell“ weg, den der liberale Politiker ins Spiel bringt. Mehr als 90 Mini-Dokumentationen soll das Pharmaunternehmen für die USA bereits auf den Weg gebracht haben.

Lesestoff:

[1] Die Apotheke in der Natur: Leseclub 32/2022

Roland Krieg

© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html

Zurück