Chemie-Chaos bei endokrinen Disruptoren?

Landwirtschaft

EU-Kommission unter Druck bei endokrinen Disruptoren

Ein geringerer IQ, Übergewicht bei Erwachsenen und Autismus: Krankheiten, die mit endokrinen Disruptoren in Verbindung gebracht werden. Hinter dem technologischen Begriff steht die Bezeichnung „Hormon störende Substanzen“. Es sind „alte Bekannte“, um die es geht: Phtalate, Bisphenol A oder Dioxine [1]. Zeit für eine Befassung wird es, denn die Folgekosten im EU-Gesundheitswesen werden von einer aktuellen Studie auf mehr als 157 Milliarden Euro geschätzt [2]. Doch trotz Versprechen bis Ende 2013 Kriterien für endokrine Substanzen zu veröffentlichen, ist nichts mehr passiert.

Umweltorganisationen wie das Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN) kritisieren daher die EU und sagen, mindestens 27 Substanzen wie in Holzschutzmitteln und Haushaltsinsektiziden hätten verboten werden müssen [3]. Schweden wird deshalb die Kommission und den EU-Rat verklagen. Auch deshalb war das Thema am Montagabend Gegenstand einer hitzigen Debatte des Europaparlaments in Straßburg.

Nicola Caputo von den italienischen Sozialdemokraten befragte EU-Gesundheitskommissar Vytenis Povilas Andriukaitis eindringlich, warum die Kommission ihre Vorsätze verworfen hat. Zahlreiche Abgeordnete mutmaßen den Druck der agrarchemischen Lobby, weil durch ein Verbot nicht nur ein Mittel, sondern eine ganze Wertschöpfungskette eingestellt werden müsste. Außerdem nähme die EU bei den derzeitigen Verhandlungen zum TTIP Rücksicht auf die USA.

Andriukaitis betonte, dass die Gesundheit in der EU ein hohes Maß einnehme, das Thema aber sehr komplex sei. Das räumt auch das PAN ein: Abschätzungen zur realen Exposition gegenüber Menschen und Umwelt sind schwer ermittelbar. „Der derzeitige Kenntnisstand zur Vermarktung, Verwendung, zu Eintragspfaden und Umweltbelastungen sowie zur Exposition von Menschen gegenüber Bioziden ist unzureichend.“ Der Gesundheitskommissar wehrte sich vor allem gegen den Vorwurf des britischen Guardian, ein unterdrücktes EU-Papier liste 31 Pflanzenschutzmittel, die verboten werden müssten, im Wert von mehreren Milliarden Euro auf. Ihm sei so ein offizielles Papier nicht bekannt.

Viele Länder allerdings hätten Bedenken gegen endokrine Disruptoren. Bei der Umsetzung und Aufstellung von Kriterien betrete die EU jedoch Neuland. Trotz der vorliegenden Studie gingen die wissenschaftlichen Meinungen über die Substanzen auseinander, sagte Andriukaitis. Im Januar hat die Kommission eine Konsultation abgeschlossen und werde über die Substanzen eine Konferenz einberufen.

Der Abgeordnete Caputo forderte ein Forschungszentrum für endokrine Disruptoren und Jens Giesecke von der CDU sagte: „Es gibt keine einfachen Lösungen und wir brauchen eine umfangreiche Folgenabschätzung.“

Ungeteilt ist diese Meinung nicht. Julie Girling von den britischen Konservativen kennt keine Studie mit kausalen Zusammenhängen und verweist auf die Richtlinie REACh, die alle chemischen Stoffe in der EU umfangreich bewertet [4].

Christel Schaldemose von den dänischen Sozialdemokraten bringt es auf den Punkt: Es herrsche ein Chemiechaos vor und die Bürger verstünden nicht, warum es bei der Kommission zu einer Verzögerung gekommen sei. Klare Aussagen sind bei Andriukaitis aus der neuen Kommission angesagt.

Etwas bewegt sich doch. Erst Mitte Januar hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Wert für Bisphenol A nach umfangreicher Neubewertung von bisher 50 auf vier Mikrogramm gesenkt [5].

Lesestoff:

[1] EP will besser vor endokrinen Disruptoren schützen

[2] Trasande l. et al: Estimating Burden and Disease Costs of Exposure to Endocrine-Disrupting Chemicals in the European Union. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism DOI: http://dx.doi.org/10.1210/jc.2014-4324 05 März 2015

[3] www.pan-germany.org

[4] REACh: Kompromiss zwischen Verbraucher und Industrie

[5] www.efsa.europa.eu

Roland Krieg

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