Clothianidin: Mehr als nur Abrieb

Landwirtschaft

Clothianidin: Mehr als nur Abrieb

Die Imker, der BUND und PAN haben am Donnerstag die Diskussion um das badische Bienensterben genutzt, den Fokus auf die Pflanzenschutzmittel zu legen. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagte BUND-Sprecherin Katja Vaupel zu Herd-und-Hof.de. In der Tat berührt die „Abrieb-Diskussion“ weitere problembehaftete Einzelthemen, die in ihrer Summe zu anderen Ansätzen führen könnten.

Neonicotinoide
Clothianidin ist ein erst 2006 zugelassener Wirkstoff der Gruppe der Neonicotinoide. Gehandelt wird der Wirkstoff im Produkt Poncho, dem zunächst die Zulassung für den Maisanbau gestrichen wurde. Verwandte Stoffe in den Handelspräparaten Safari, Calypso oder Gaucho runden diese Wirkstoffgruppe ab. Sie wirken systemisch, durchdringen also mit dem allgemeinen Nährstoffstrom die Pflanze von den Wurzeln aufwärts bis in die Blüte und wirken giftig auf die Synapsen der Nervenenden von Lebewesen. Deshalb ist Clothianidin in Frankreich verboten und die Zulassung für Imidachloprid für Sonnenblumen seit 1999 und für Mais seit 2004 ausgesetzt, beschrieb Dr. Bonmatin vom französischen Wissenschaftszentrum CNRS auf dem badischen Expertenhearing. In seiner speziellen Analyse kommt er zu dem Ergebnis, dass die Neonicotinoide bis zu einer Konzentration bis zu 0,1 Nanogramm Wirkstoff je Gramm Substanz keine Wirkungen auf Bienen haben, doch die Exposition für die Bienen zwischen 1 ng/g im Nektar und 10 ng/g im Pollen variiert. Sein Fazit: Im Kontext der allgemeinen Schwäche der Bienenvölker, besteht die Hilfe für die Bestäuber darin, den Druck von Chemikalien aus der Umwelt zu reduzieren.

Technische Lösung
Nun führte Dr. Hans-Josef Diehl, Leiter der Entwicklung und Beratung bei Poncho-Hersteller Bayer in Karlsruhe an, dass die Mittel bei sachgerechter Anwendung für die Bienen sicher sind.
Die genaue Analyse des Bienentods hat ein außergewöhnliches Zusammenspiel verschiedener Komponenten hervorgebracht. Die behandelten Saatgutpartien hatten einen höheren Staubabrieb des aufgetragenen Mittels und die verwendete Drilltechnik mit Saugluftsystemen sorgte für mehr Abrieb, der verfrachtet werden konnte. Hinzu kam, dass witterungsbedingt die Aussaat gleichzeitig auf mehreren Tausend Hektar erfolgte, was nach Angaben des Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) den Abrieb zusätzlich konzentrierte und durch Trockenheit und östliche Winde weiter verfrachtet wurde. Gleichzeitig blühten Obst- und Rapsflächen, die den ausgiebigen Bienenflug begünstigten.
Deshalb führt Dr. Diehl als Qualitätsverbesserung die Verbesserung der Beizqualität für einen geringeren Abrieb an und den Einsatz verbesserter Sämaschinentechnik: „Wir sind überzeugt, dass es gute Lösungen mit geeigneten technischen Maßnahmen gibt.“
Das ist mit der emotionalen Beziehung der Imker zu ihren Bienen überhaupt nicht vereinbar. Die von Bayer zugesagten zwei Millionen Euro „Finanzhilfe“ seinen, so Manfred Hederer (DBIB), nicht reell. Den Wert eines Bienenvolkes gibt er mit 600 Euro an, die Gelder entsprächen einer Entschädigung in Höhe von 90 Euro. Außerdem sind die 11.500 geschädigten Bienenvölker nur die offizielle Zahl, denn oftmals hat es nur ein bis drei Völker bei einem Imker getroffen, der manchmal weder die Ursache erkannt, noch einen Schaden angemeldet hat. Die Dunkelziffer der geschädigten Völker sei doppelt so hoch.
Die Komplexität der Ursachen befreit Umwelt, Mensch und Technik nicht von einer möglichen Wiederholung. Die Beizmittel sind für die kommende Rapsaussaat wieder zugelassen. Zum einen haften die Beizmittel beim runden Rapssaatkorn besser als beim unförmigen Maiskorn, zudem vermindern Absaugschläuche die Staubfreisetzung:

Verdriftete Wirkstoffmengen Clothianidin auf Raps
(nach Abluftführung Drillmaschine)

Abstand

nach oben

nach unten

Abdriftarm

Kontrolle

1 m

112,2

88,7

5,8

10,8

3 m

49,9

83,4

5,0

10,8

5 m

72,0

37,2

3,8

10,8

25 m

18,6

10,7

12,2

10,8

Nach: Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg (BW)

Auch Cornelia Behm, agrarpolitische Sprecherin der Bundesgrünen rechnet nicht mit vergleichbaren Ausmaßen „bei Anwendung anderer Saatmethoden“. Allein die Imker und der BUND rechnen damit, dass im August Vergleichbares geschieht.

Der Jet-Set Beetle
Es gibt noch einen Grund, den das BVL für das Bienensterben anführt. Die besonders hohe Ausbringmenge des Wirkstoffs von 125 g/ha. Das liegt daran, dass vor einem Jahr der Diabrotica nicht nur den Ortenaukreis in helle Aufregung versetzte. Der Maiswurzelbohrer wurde das erste Mal in Deutschalnd gefunden. Der potenzielle Schaden ist enorm, weswegen die EU den Käfer zunächst mit strengen Quarantänemaßnahmen bekämpfen will. Der badische Bauernverband allerdings will seinen Bauern nicht zumuten, drei Jahre auf den Wiederanbau warten zu müssen und setzt sich dafür ein, den Käfer bereits als endemisches Insekt zu führen. Dann kann seine Bekämpfung in die Pflanzenschutzroutine eingegliedert werden.
Wer also nicht auf den Maisanbau verzichten wollte, der musste beizen. Die Firma Bayer versagte Herd-und-Hof.de eine Antwort, welche Alternativen es zu Clothianidin gibt und an welchen gerade geforscht Susan Haffmanns  PANwird. Susan Haffmans vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) weiß auch warum: Es ist ein Milliardengeschäft, das nicht nur auf dem heimischen Markt läuft. Die Agrarfirmen legen ihre Exportlisten zwar nicht offen, aber ein Vergleich zwischen produzierter Wirkstoffmenge und in Deutschland verkaufter Ware lasse vermuten, dass die zehnfache Menge Clothianidin im Ausland abgesetzt werde. Chlothianidin und Imidachloprid erzielten 2007 nach Angaben von Bayer einen Umsatz von 793 Mio. Euro.
Wer Alternativen sucht, wird bei den Umweltorganisationen fündig. Werde Mais in einer dreigliedrigen Fruchtfolge eingebunden, hilft das der Pflanze nicht nur gegen den Maiswurzelbohrer, sondern auch gegen Drahtwürmer. Dadurch kann anbautechnisch bereits einer Massenvermehrung der Schädlinge entgegengewirkt werden. Dass das Aussetzen der Zulassungen wie in Frankreich zu keinen Versorgungsproblemen führen muss, belegt Susan Haffmans mit den 2,8 Mio. Hektar Maisanbaufläche, die unsere Nachbarn noch führen.
Aber auch die konventionelle Züchtung hat Alternativen parat: Eine weitgehend gegen Diabrotica resistente Maispflanze hat die Saatgutfirma Südwestsaat in Ungarn bereits getestet. 2012 soll sie an die hiesigen Klimabedingungen angepasst und einsatzbereit sein.

Vier Millionen für die Forschung
In den USA sind die Ursachen für das rätselhafte Verschwinden der Bienen, dem Colony Collapse Disorder (CCD), immer noch nicht aufgeklärt. Am Donnerstag hat das amerikanische Agrarministerium mitgeteilt, dass vier Millionen US-Dollar Forschungsgelder an die Universität von Georgia vergeben werden, um CCD zu erforschen. Die Bestäubungsleistung der amerikanischen Bienen werden mit 15 Milliarden US-Dollar angegeben. Ed Schafer, US-Agrarminister, hofft, dass die Gelder letztlich den Imkern helfen, diese Leistungen wieder zu erbringen. Im Winter 2006/07 haben mehr als ein Viertel aller amerikanischer Imker massive Bienenverluste gemeldet.
roRo

Bioenergiedörfer
Mais und Raps. Zwei Pflanzen, die auch für den Energiesektor bedeutend sind. Nicht nur für den großflächigen Anbau in Nordostdeutschland. Jühnde ist Deutschlands bekanntestes Bioenergiedorf. Aber auch der Südwesten stellt um. Mauenheim ist das erste Bioenergiedorf Baden-Württembergs und zeigt, dass auch in kleinteiligen Agrarstrukturen Strom- und Wärmeunabhängigkeit realisierbar sind. Jedes Jahr soll ein weiteres Dorf hinzukommen. 6.500 Tonnen Energiepflanzen braucht Mauenheim jährlich. Mit Luzerne und Klee ist die Basis breit aufgestellt. Aber am Mais kommt auch Mauenheim nicht vorbei. Also auch nicht die Landschaft, in denen immer mehr Bioenergiedörfer entstehen.

Mehr als Abrieb aufgewirbelt
Ein Imker hatte Herd-und-Hof.de vorgerechnet, dass Clothianidin 330 Millionen badische Bienen geschädigt und getötet hat. Die Bienen sind nach Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk „zweifelsohne“ die Leidtragenden und die Imker bräuchten wieder eine Perspektive im Oberrheingraben, „damit sie auch zukünftig hochwertigen Honig produzieren können.“ Beim 1. Varroa-Symposium in Baden-Württemberg am 29.06. betonte Hauk, dass Lehren aus dem aktuellen Vorfall gezogen werden müssten: Die Imker, die Berater, die Zulassungsbehörden und die Industrie.
Hubert Weiger   BUNDDer Sprung auf die anderen Diskussionsfelder sollte aufweisen, dass es nicht nur der Abrieb des Beizmittels ist, der eine Lösung braucht. Die technische Luftführung an der Sämaschine löst nicht die Fruchtfolgegestaltung in kleinen Agrarstrukturen für die autonome Energieversorgung. Die Lösung sollte also nicht zu kleinteilig angelegt werden.
Und: Beklagt werden ja auch nur die Bienen. Auswirkungen auf andere Wildinsekten sind gar nicht erfasst worden, sagte Hubert Weiger vom BUND.

Roland Krieg; Fotos: roRo

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