Das Berichtsheft von Julia Klöckner
Landwirtschaft
Ein Jahr NGO und Verbraucher
Da darf man richtig neidisch werden: Julia Klöckner hat am Dienstag nach einem Jahr Amtszeit ein Berichtsheft vorgelegt. So ordentlich mit römischen und arabischen Zahlen, Überschriften in verschiedenen Größen und Seitenzahlen, wie das in der Schulzeit nur die Mädchen hinbekommen. Keine Fettflecken, keine Eselsohren. Die 20 Seiten finden Sie auf der Seite des Ministeriums https://www.bmel.de/
Davon soll hier aber nicht die Rede sein. Auch nicht von den quantitativen Werten: Neun Gesetzentwürfe, fünf Kabinettsvorlagen, 17 Ministerverordnungen. Solche Zahlen gehören in ein Berichtsheft, entscheiden am Ende jedoch nicht, ob Politiker erfolgreich waren oder nicht. Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft soll hier auch nicht bewertet werden. Die Kritiker haben ihre Aufgabe bereits vorige Woche erfüllt und mindestens ebenso viele Seiten vollgeschrieben. „Die große Klöckner-Show“, wie es bei der Berliner taz heißt.
Wichtiger ist doch, welche Fortschritte Nichtregierungsorganisationen und Verbraucher in den letzten 12 Monaten gemacht haben, um vorgelegte Ergebnisse sachlich zu beurteilen?
Biodiversität
Insekten sind die Delfine der Gegenwart. Alles hängt an der Krefelder Insektenstudie. Ein wirkliches Insektenmonitoring aber gibt es noch nicht. Die Tiere werden nach Gewicht bemessen und wenn ein schwerer Käfer fehlt, ist das augenscheinlicher als wenn 20 Mücken nicht mehr summen. NGO und Wähler fordern ohne Grundlage.
Der Erfolg des bayerischen Volksbegehrens für mehr Artenvielfalt 2018 hat alle überrascht. Wie würde der Bayerische Gerichtshof entscheiden? Im gleichen Jahr gab es das Volksbegehren gegen den Flächenverbrauch, der in Bayern bundesweit am höchsten ist. Auch versiegelte Landschaften mindern Insekten und andere Arten. Der Entscheid wurde kassiert, weil die Umsetzung in die Hoheit der kommunalen Entscheidung eingriffe. Bayern legt die Prioritäten fest: Kommunen, Insekten, Landwirte.
Glyphosat
Institute, die Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend einstufen: Die internationale Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation IARC hat Glyphosat als A2 eingestuft. Da stehen auch Acrylamid, Malaria in endemischen Gebieten, Nitrat, rotes Fleisch, Heißgetränke ab 65 Grad Celsius.
Als wahrscheinlich nicht krebserregend stufen Glyphosat folgende Institute ein (Auszug): Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die Weltgesundheitsorganisation WHO (Joint Meeting on Pesticide Residues) und die Europäische Chemikalienagentur.
Kritiker fordern, den beschlossenen Ausstieg sofort zu vollziehen.
Pflanzenschutzmittel (andere)
Die Zulassungspraxis in Deutschland ist von der EU kritisiert worden. Vor allem, weil zu viele Behörden mitmischen. Zwischen Julia Klöckner und der Umweltministerin Svenja Schulze gibt es keinen direkten Kampf. Dafür mischen sich jetzt die jeweils nachfolgenden Bundesbehörden gegenseitig auf. Das dem Umweltministerium unterstellte Umweltbundesamt fordert die Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Artenvielfalt bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), im Dienste des BMEL, hat bis zur Klärung alle anstehenden Zulassungen erst einmal bis zum Jahresende befristet.
Reviermarkierungen setzen sich subsidiär fort.
Lebensmittelampel
Ursachen und Zusammenhänge für Übergewicht und Adipositas sind so großflächig und eng miteinander verzahnt, dass der Gesundheitskongress an der TU Berlin in dieser Woche folgerichtig einen integrierten Ansatz im Gesundheitssystem verlangt. Der rote Aufkleber suggeriert Lösungen, die wegen der Vielfalt an Lösungen, keine kausalen messbaren Effekte aufweisen werden.
Lebensmittelverschwendung
Das gilt auch für die kritisierten Reste-Boxen und das Schreiben von Einkaufszetteln. Wenn alte Konzepte nicht wirken oder der Einkaufszettel an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigeht – Wo soll das Umdenken im Kopf beginnen? Was hat denn bereits funktioniert?
Fleischgenuss
Die Kritiker sind seit den 1980er Jahren mit ihren Kritiken alt geworden. Die junge Generation hingegen geht ihren eigenen Weg. Sie isst wieder mehr Fleisch, jettet um die Welt und spricht von Umweltschutz. Die letzten Monate haben gezeigt, dass auch die Biokunden preisehrgeizig sind und Bio lieber im Discounter als im Naturkostladen kaufen.
Digitalisierung
Dieser Hype ist so jung, dass er in der Praxis kaum über eine Automatisierung herausgekommen ist. Was die Digitalisierung wirklich bedeutet, konnten weder die Wissenschaftler im Bundestag noch zuletzt im Europaparlament benennen. Die Sorgen um Größe (von Betrieben und Firmen) und Datensicherheit endet am Ende beim persönlichen Nutzen. Sonst wären Facebook und Google bereits kaputt boykottiert. In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebsleiter in Deutschland nahezu halbieren. Schon alleine deshalb, weil es keine Betriebsnachfolger gibt. Das Agrargewerbe muss sich fragen, wer die Millioneninvestitionen in die Digitalisierung refinanzieren kann?
Agrarsubventionen
Nur ein kleiner Exkurs zurück auf die Grüne Woche: Das Agrarbündnis konnte kein Land benennen, das eine flächendeckendere Umweltpolitik in der Landwirtschaft umsetzt als Deutschland.
Fazit
In den letzten 12 Monaten sind die Erwartungen und Forderungen von Wählern und Organisationen nicht sachlicher geworden. Deren Berichtshefte fielen weder positiver noch negativer als die Vorlage aus Berlin aus. Verkürzte Lösungen treffen nicht den Kern. Sachkenntnisse finden keinen Weg in die Entscheidungsfindung.
Die wirklichen Fehler
Von den meisten unbemerkt betreibt das BMEL mittlerweile eine eigene Agrarpolitik, die sich von der Verbandspolitik unterscheidet. Das wurde besonders bei der Ackerbaustrategie des Bauernverbandes sichtbar. Doch die Verschiebung des Endes der Ferkelkastration war ein strategischer Fehler. Die Branche hat fünf Jahre geschlafen, ihre Landwirte darauf vorzubereiten. Derzeit sieht es auch nicht so aus, als dass sie es in den beiden nächsten Jahren schafft. Die vermeintliche Berliner Rücksicht auf die kleinen Betriebe wird als vermeintliche Verbandspolitik ausgelegt. Doch des Pudels Kern: Die unrealistische Schmerzfreiheit im Tierschutzgesetz.
Das nächste Gewitter sind die Tierschutztransporte. Die Länder starten Verbote, können sich aber bei den Alternativen nicht durchsetzen. Die Umleitung der Tiertransporte aus Schleswig-Holstein zum internationalen Sammelpunkt in Niedersachsen müssen nach einem Gerichtsentscheid die Amtstierärzte zulassen. Die Holsteiner sind nur für den Transport nach Niedersachsen zuständig; auch wenn sie wissen, dass es danach weitergeht. Das zu einem Berliner Problem zu machen ist keine Lösung. Die Lösung besteht darin, dass Julia Klöckner die Position der Amtstierärzte stärkt. Die sind nach den Tieren im Lkw die Verlierer Nummer eins.
Beim Tierschutzlabel eilt Klöckner in die falsche Richtung. Was in Dänemark und den Niederlanden funktioniert, geht nicht in Deutschland. Mittlerweile steht das Label, das derzeit auf dem Stand des Vorgängers ist, isoliert zwischen Verbands- und LEH-Siegeln. Da zeigt sich das Problem der heutigen Politik: Im föderalen System gibt es bei der Berücksichtigung zu vieler Details keinen Gewinner. Da muss ganz Berlin einen Paradigmenwechsel durchführen. Mehr als Leitplanken sind in der modernen Medienwelt nicht drin, die alten Zeiten der Bonner Republik sind vorbei. Die politische Unterstützung der erfolgreichen Branchen-Initiative Tierwohl wäre zielführender gewesen.
Roland Krieg