Das Eichhörnchen über den Wipfeln

Landwirtschaft

Waldbodenkalkung im Oberharz

Uwe Schmid schaut sich den Oberharz derzeit von oben an. Nahe der Ortschaft Tanne, südlich von Wernigerode kreist der Pilot mit seinem Eichhörnchen knapp über den Waldwipfeln. Eichhörnchen? Das ist der offizielle Name des Eurokopters AS 350, mit dem Schmid bei jeder Runde eine Tonne Kalk über den Wald streut. Bodenkalkung ist das Thema, dass Sachsen-Anhalt nach 20 Jahren zunächst einmal mit einer Fläche von 600 Hektar in Angriff genommen hat.

Wie düngen auf dem Feld

Eine Tonne erdfeuchten Kalk nimmt der Trichter unter dem Hubschrauber auf. Das Zielgebiet wurde vorher kartiert und digitalisiert. Schmid sieht die Karte auf einem kleinen Monitor, der ihm anzeigt, wo er gerade ist, was er schon gestreut hat und welche Bahnen er noch fliegen muss. Auf 12 Meter Streubreite wird der Kalk mittels rotierenden Pralltellers unter dem Behälter ausgestreut. Wasserschutzzonen der nahen Rappbodetalsperre und Naturschutzgebiete sind ausgeklammert und der Monitor zeigt Schmid an, wenn er sich einer verbotenen Zone nähert. Fast auf einen Meter genau kann er den Kalk ausbringen. Nicht anders wie düngen auf dem Feld.
Am „Tankplatz“ lädt ein Schaufellader den Korb schnell wieder voll, Schmid steuert mit dem Eichhörnchen gleich wieder die nächste Bahn an. Drei Tonnen Kalk werden je Hektar ausgebracht, 80 Hektar schafft Schmid an einem Arbeitstag. Nicht nur im Harz. Er fliegt in der Eifel, dem Hunsrück, auch in Belgien und den Niederlanden ist er schon gewesen. Die Firma Helix Fluggesellschaft aus Baden-Württemberg sorgt mit einer ausgeklügelten Logistik, dass das Eichhörnchen ständig in Bewegung bleibt. Die Ladeplätze werden vorher sondiert, zwei Lkw bringen im Wechsel frischen Kalk an den Platz und der Radlader braucht nur eine Schaufel, um den nur kurz auf dem Boden ruhenden Tank zu beladen.

Bodenversauerung

Seit Anfang der 1980er Jahre wurden bundesweit Waldschäden festgestellt. Wegen des verstärkten Säureeintrags über die Luft, dem sauren Regen, versauern die Böden. Die Blatt- und Nadelmasse der Bäume verfärbt sich, das Feinwurzelsystem der Bäume wird angegriffen, basische Nährstoffe ausgewaschen und die Wasserqualität verschlechtert sich. Mit Hilfe von Umweltschutzverordnungen hat die Industrie die Luftverschmutzung wirkungsvoll reduzieren können, doch der Waldboden hat ein langes Gedächtnis und ist immer noch versauert, erklärt Joachim Bauling vom Forstbetrieb Oberharz. Die aktuelle Bodenzustandsuntersuchung belegt die bundesweite Situation. Die Wälder im Harz sind nach wie vor besonders stark betroffen.
Die Versauerung der Waldböden führt zur Auswaschung basischer Nährstoffe wie Calcium, Magnesium und Kalium. Baden-Württemberg hat die pH-Werte des Schwarzwaldes zwischen 1927 und heute verglichen. Die pH-wert liegt heute ein bis zwei Punkte niedriger. Rund 3 pH weisen auch die Harzböden auf, die nach einer Kalkung über mehrere Jahre um 0,2 pH-Werte wieder ansteigen sollen. Es wird nur moderat gekalkt
Das kalken revitalisiert nicht nur die Fichten, die im Harz als Zielbäume im Vordergrund stehen. Das Anheben des pH-Wertes sichert auch den Lebensraum Waldboden. Ein mehr basischer Wert wirkt sich günstig auf die Bodenlebewesen aus, die durch ihr Dasein wiederum dem Boden eine Struktur geben und stabilisieren. Regenwürmer kommen mit einem pH-Wert von weniger als 5 nicht mehr so gut aus. Darunter gehen auch die Bakterientätigkeiten zurück. Der Stoffkreislauf im versauerten Waldboden wird meist nur noch von Pilzen bestimmt.
So will Joachim Bauling mit der Kalkung nicht nur die Säuren im Waldboden neutralisieren, die Wurzeln sollen eine günstigere Bodenchemie vorfinden und insgesamt können sich der Humuszustand und die Bodenvegetaion verbessern. Langfristig werden mit einer Kalkung die Stickstoff-Speicherungskapazitäten des Waldbodens und die Wasserqualität im Waldeinzugsgebiet verbessert.

Pilotprojekt

Doch gerade der Oberharz ist ein sensibles Gebiet. Trinkwassergewinnung und Naturschutzgebiete, die im Zusammenspiel mit dem Tourismus einen wirtschaftlicher Faktor der Region sind, dürfen nicht gekalkt werden. Vorher wurden die Flächen gezielt ausgewählt und per GPS auf den Monitor von Hubschrauberpilot Uwe Schmid übertragen. Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt Göttingen begleitet den Prozess wissenschaftlich. Nach Bernd Dost, Leiter des Landesforstbetriebes, sind insgesamt mehrere Tausend Hektar im Harz zu kalken.
Uwe Schmid könnte das ganze Jahr über fliegen. Bei Null Grad ist die Luft auch so dicht, dass sein Hubschrauber den besten Auftrieb hat. Aber Kalk auf eine Schneedecke auszubringen, macht keinen Sinn. Nach Joachim Bauling sind auch Setz- und Brutzeiten für den Überflug tabu.
Der verwendete magnesiumhaltige Naturkalk stammt aus dem Südharz, wurde lediglich gemahlen und wird erdfeucht angeliefert. So fällt er schnell zu Boden und erreicht sein Ziel. Mit Testbahnen prüfen die Förster, ob der Kalk gleichmäßig ausgebracht wurde.

Ausbringtechnik

In Deutschland wird Kalk entweder im Wald verblasen oder mit dem Hubschrauber ausgebracht. Das Verblasen ist eine preiswerte und energiesparende Methode, setzt aber ein feines Verteilungsnetz voraus. Die Reichweite der Gebläse liegt zwischen 30 und 50 Meter.
Die Ausbringung per Hubschrauber hat Vorteile bei der Homogenität der Ausbringung und eine geringere Verdriftung. Der finanzielle Aufwand ist höher. Nach Bernd Dost liegen sie im Oberharz bei rund 170 Euro je Hektar. Da der Wald mittlerweile als Rohstofflieferant eine Renaissance erfährt, spielen gute Holzpreise die Kosten wieder ein.
Der Hubschrauber kann große zusammenhängende Gebiete effizient bearbeiten. Viele kleine unzusammenhängende Privatforsten machen den Überflug unmöglich. Im Gegensatz zur Schädlingsbekämpfung müssen die Kleinwaldbesitzer für eine Kalkung ihre Zustimmung geben. Bei Forstbetriebsgemeinschaften ist das einfacher.

Roland Krieg (Text und Fotos)

Zurück