Das Land ausbalancieren
Landwirtschaft
Greifswalder Diskussion über Landnutzung
Zur Zeit treffen sich internationale Experten an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald zur mehrtägigen Konferenz über den „Landnutzungswandel in Europa als Aufgabe für die Renaturierung von Ökosystemen“. Parallel dazu diskutierten Politiker und Wissenschaftler am Mittwoch Abend im Alfred Krupp Wissenschaftskolleg über den Wettbewerb zwischen Naturschutz und Landwirtschaft.
Viele Landnutzungen
Aktuell werden in Deutschland jeden Tag der Landschaft Flächen im Umfang von 150 Fußballfelder durch Straßenbau, Besiedlung oder Gewerbe entzogen. Die EU rechnet bei der derzeitigen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung, dass künftig nur noch 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausreichen, um die Nahrungsmittelversorgung sicher zu stellen. Dem hielt Josef Göppel, Bundestagsabgeordneter und Obmann des CDU/CSU-Umweltausschusses entgegen: „Ein Volk, das weniger wird, darf nicht mehr Land zubetonieren.“
In der Tat gibt es verschiedene Nutzungsrichtungen, die sich gegenüberstehen. Bergbau mit der Gewinnung von Erde und Kies, Flächen für die Deposition, Freizeit- und Erholungsflächen, Wald, Flächen für erneuerbare Energien, Siedlung und an erster Stelle natürlich die Landwirtschaft, zählte Prof. Dr. Wolfgang Haber, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Rates für Landespflege und vormals mit einem Lehrauftrag an der TU München tätig. Nach seinen Ausführungen haben diese unterschiedlichen Nutzungen alle ihre eigenen Lobbyisten, jede Nutzung ihre Investition, ihre Reputation, ihren Stolz und vor allem ihre eigene Politik. Die allgemeine Landnutzung als gestalterisches Element der ländlichen Entwicklung könne daher immer nur einen Minimalkonsens über alle Wettbewerber definieren. Prof. Haber arbeitet bereits seit über 30 Jahren an dem „Konzept der differenzierten Landnutzung“, bei der Flächen und Regionen intensiver Lebensmittelerzeugung mit Naturschutzflächen abwechseln.
Bärbel Höhn, Vorsitzende des Agrarausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne teilte die Flächen sogar nach Bundesländern auf. Während in Mecklenburg-Vorpommern noch flächig fast „unberührte Natur“ vorhanden sei, wurde Nordrhein-Westfalen mit 12 Millionen Menschen und intensivem Bergbau ganz anders gestaltet. Fast jeder Flusskilometer sei genutzt worden und die intensive Landwirtschaft führt zu dem Nitratproblem von Böden und Gewässer.
Neue EU-Länder mit gleichen Problemen
Von den neuen EU-Ländern gibt es nur in Polen und Ungarn eine nennenswerte große Landwirtschaft. Prof. Piotr Illnicki von der Universität Poznan lehrt Umweltschutz und Umweltmanagement. Er gab am Beispiel Polen den Trend aller Länder wieder. Seit den 1950er Jahren werden in Polen die landwirtschaftlichen Betriebe immer größer, wenn sie mit durchschnittlich acht Hektar im europäischen Maßstab aber noch klein bleiben. Klein bleibt auch noch die Bewirtschaftungsintensität: während die Niederlande jährlich rund 10 Kilogramm Pflanzenschutzmittel auf einen Hektar einbringen, sind es in Polen lediglich 0,5 kg. Es fallen aber durch die größer werdenden Betriebe die Flächen heraus, die schwer zu bewirtschaften sind. Trockene Standorte beginnen zu verbuschen und die Vögel ziehen fort. So vollzieht sich in Polen im kleinen Maßstab der gleiche räumliche und wirtschaftliche Intensitätsprozess wie in der gesamten EU. Große Gebiete wie der polnische Norden und Masuren könnten sich anderen Landnutzungen zuwenden.
Auch Storchenland will essen
Prof. Haber wies im Verlauf der Diskussion auf einen Haken des Naturschutzes hin: Selbst wenn große Regionen sich der Erholung und des Naturschutzes widmen, so müssen diese Menschen auch ernährt werden. Und das, so Haber, gehe nur, wenn die Landwirtschaft in anderen Gebieten intensiviert werde. So sah es auch Matthias Meissner von der Umweltstiftung Euronatur. Drei verschiedene Landwirtschaften prophezeit er: Die landwirtschaftliche Nicht-Nutzung, weil kein wirtschaftlicher Gewinn erzielt werden kann, eine Landwirtschaft, die natürliche Ressourcen schont und die Kulturlandschaft offen hält und als drittes die Landwirtschaft, die billige Lebensmittel mit all ihren Folgen herstellt.
Entlohnung ökologischer Leistung
Prof. Michael Succow vom Lehrstuhl für Geobotanik und Landschaftsökologie, sowie Träger des alternativen Nobelpreises, zog Parallelen zwischen der Gesellschaftsform und ihrem Umgang mit den Menschen und der Landbewirtschaftung. Der „Leistungsfall Mensch“ als Träger der Gesellschaft mit hohem Nutzen wird auf die Dauer zum Pflegefall, während der „Sozialfall Mensch“, der weniger gebraucht wird, von der Gesellschaft immerhin alimentiert wird. So gebe es auch einen „Leistungsfall Landwirtschaft“, die hoch effektiv mit negativen Folgen für die Umwelt überhitzt, sowie den „Sozialfall Landwirtschaft“, die zur Brache wird und Arbeitsplätze verliert. Moore sind die ersten Opfer der Leistungslandwirtschaft. Mit dem einhergehenden Verlust, Kohlendioxid und Wasser zu binden, gehen Werte verloren, die überhaupt keinen ökonomischen Preis haben. Daher fordert Prof. Succow eine „Monetarisierung und Inwertsetzung der ökologischen Leistungen“.
Zur Zeit werden immer größere Traktoren mit immer höherer Zugkraft entwickelt. Weil sie durch ständiges Befahren den Boden verdichten, müsse die nächste Ausbaustufe noch größer und stärker werden. Die Agrartechnik muss eine intelligente Technologie entwickeln, die Wildkräuter mechanisch bekämpft oder abflammt. eine gut entwickelte Mulchtechnik bringt organische Substanz in den Boden und spart auf den trockenen Standorten die Bewässerung.
Göppel fügte hinzu, dass mit intelligenter Technik und intelligenter Landwirtschaft das Einsparen von Ressourcen gemeint ist: „Viele Bauern sehnen sich danach“, denn nach nur zwei Vegetationsperioden erkennen sie bereits die Probleme der intensiven Bewirtschaftung. Die Lösung seien regionale Strategien. Rund 140 Landschaftspflegeverbände gibt es in Deutschland. Nach Göppel müsste in jedem Landkreis ein Verband aus Kommunen, Bauern und Naturschutz bestehen.
Allianzen statt Politik
Die knapper werdenden Gelder für den ländlichen Raum konnte auch die Diskussion in Greifswald nicht vermehren. Die Runde setzte aber auf die Nachhaltigkeit der regionalen Allianzen, denn 2013 könnten auch die Direktzahlungen der ersten Säule fortfallen. Rund die Hälfte der bäuerlichen Einkommen stammen aus den verschiedenen Fördertöpfen, so Bärbel Höhn. Entweder die Bauern hören mit der Produktion auf, oder die Erzeugerpreise und damit die Lebensmittelpreise steigen. Zumindest werde sich das Preisgefüge für Lebensmittel in Zukunft ändern. Ob die Verbraucher die Bauern direkt über die Lebensmittelpreise bezahlen oder indirekt über durch Steuergelder finanzierte Fördertöpfe bleibe eigentlich gleich, hieß es aus dem Publikum.
Einen Wechsel der Agrarpolitik hält Göppel für möglich und verwies auf die grünen Wiesen des Allgäus. Die waren früher einmal blau vom angebauten Lein. Das zeige, dass tiefgreifende Änderungen möglich sind, wenn Allianzen für die Umwelt „eine kritische Masse“ in der Politik erreicht haben.
Weitere Texte:
Landwirtschaft und Umweltschutz wurden u.a. im April auch vom Deutschen Bauernverband ausführlich betrachtet. Die Geheimnisse zwischen der ersten und zweiten Säule der EU-Agrarpolitik und der allgemeinen Enttäuschung über die Kürzungen zeigten ein Gespräch mit Cornelia Behm (Grüne) und eine Podiumsdiskussion in diesem Jahr auf der Internationalen Grüne Woche.
Roland Krieg